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Als Reaktion auf ein Gerichtsurteil hatte sich der Bundestag mit breiter Mehrheit dafür ausgesprochen, das Recht auf rituelle Beschneidungen gesetzlich zu regeln
© dapd

Unüberlegter Schnellschuss?: Vermehrt Zweifel an Beschneidungs-Resolution

Nach der Bundestagsresolution zum Thema Beschneidung werden jetzt immer mehr Zweifel laut, ob man tatsächlich ein Gesetz vorlegen kann. Es mehrt sich der Eindruck, der Beschluss sei ein "Schnellschuss" gewesen.

Von Antje Sirleschtov

Es ist noch keine fünf Tage her, da verabschiedete der Bundestag mehrheitlich eine Resolution, in der die Abgeordneten die Bundesregierung auffordern, möglichst rasch einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das religiös motivierte Beschneiden von kleinen Jungen in Deutschland straffrei macht. Union, SPD und auch FDP stimmten der Resolution zu, weite Teile der Grünen und der Linksfraktion enthielten sich.

Doch schon jetzt tauchen in Regierung und Bundestag ernste Zweifel auf, ob man ein solches Gesetz überhaupt vorlegen kann. In der Resolution heißt es, die Bundesregierung möge „im Herbst 2012 unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist“.

Dieser Konflikt jedoch, sagt nun der rechtspolitische Sprecher und Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Christian Ahrendt, „ist nicht regelbar“. Es sei nicht möglich, gesetzlich zu regeln, dass die körperliche Unversehrtheit eines Kindes aus religiösen Gründen verletzt werden kann, sagte Ahrendt dem Tagesspiegel. Weiter gibt er zu bedenken, dass es ein Grundrecht des Kindes auf Ausübung seiner Religionsfreiheit gebe, welches ihm genommen wird, wenn es im Kleinkindalter beschnitten wird. Dass der Bundestag am vergangenen Donnerstag in einer fraktionsübergreifenden Entschließung dennoch die Bundesregierung zu einer gesetzlichen Regelung aufgefordert hat, bezeichnete der Jurist Ahrendt als „unüberlegten Schnellschuss“. Er selbst hatte in der vorangegangenen Fraktionssitzung angekündigt, der Resolution nicht zustimmen zu wollen und bei der Abstimmung dann den Saal verlassen.

Ahrendts Parteifreundin, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die jetzt den Auftrag hat, das Gesetz im Herbst vorzulegen, hält es für schwierig, ein juristisch wasserfestes Gesetz für die Beschneidung von Jungen zu erarbeiten. Die Sache sei „komplizierter, als ein einfaches Sätzchen irgendwo einzufügen“, sagte die Ministerin dem „Spiegel“. Leutheusser-Schnarrenberger sagte, nach den jüngsten „emotionalen Debatten“ sei nicht auszuschließen, dass eine gesetzliche Regelung der Beschneidung am Ende vor dem Bundesverfassungsgericht landen werde. „Da werden die Richter zu beurteilen haben, ob sie die Grundrechtsabwägung teilen, die wir vornehmen werden“, sagte die Ministerin.

Offener Brief von Medizinern und Juristen

Auch die Kinderbeauftragte der SPD-Fraktion, Marlene Rupprecht, sagte, mehr als die Hälfte ihrer Fraktion sei der Auffassung, bei dem Bundestagsantrag handele es sich um einen „Schnellschuss“. Sie bewertete Beschneidung auch bei Jungen als „Form der Verstümmelung“. Man brauche kein neues Gesetz, erklärte Rupprecht. Die Gesetze seien eindeutig: „Das Wohl des Kindes ist vorrangig zu berücksichtigen.“

Nach einer repräsentativem Emnid-Umfrage für das Magazin halten lediglich 40 Prozent der Deutschen eine gesetzliche Beschneidungserlaubnis für richtig, 48 Prozent sprechen sich dagegen aus.

Namhafte Mediziner und Juristen appellierten am Wochenende an Regierung und Bundestag, keine vorschnellen Beschlüsse zu fassen. Das Thema sei dazu zu sensibel, heißt es in einem offenen Brief. Der Gesetzgeber müsse das Kindeswohl in den Mittelpunkt rücken. In dem Schreiben ist die Rede von einer „bemerkenswerten Verleugnungshaltung und Empathieverweigerung gegenüber den kleinen Jungen, denen durch die genitale Beschneidung erhebliches Leid zugefügt wird“. Den Vorwurf – unter assoziativem Verweis auf den Holocaust –, durch ein Verbot der rituellenJungenbeschneidung würde jüdisches Leben in Deutschland unmöglich, wiesen die Unterzeichner zurück.

Hintergrund des Parlamentsvotums ist ein Urteil des Landgerichts Köln, das kürzlich die Beschneidung eines vierjährigen Jungen als rechtswidrige Körperverletzung gewertet hatte. Der Bundestag verurteilte zugleich erneut die in Deutschland verbotene weibliche Genitalverstümmelung, die häufig ebenfalls religiös begründet wird.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, lobte im „Focus“ erneut den Vorstoß für eine gesetzliche Regelung zu Beschneidungen. „Demoskopie ist eine Sache, Verantwortungsbewusstsein etwas anderes“, sagte er mit Blick auf die wachsende Zahl von Gegnern eines entsprechenden Gesetzes. Auch die Organisationen Unicef, Terre de Femmes sowie die Beratungsstelle „Zartbitter“ äußerten Bedenken dagegen, Intimität und körperliche Unversehrtheit von Kindern zu verletzen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte vergangene Woche die rasche Vorlage eines Gesetzentwurfs angemahnt, weil sie um den Ruf Deutschlands im Ausland fürchtet. mit epd

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