Friedensgutachten: Verhängnisvolle Interventionen
Die deutschen Friedensforschungsinstitute fordern ein Umdenken der Politik. Sie kritisieren Militäreinsatze, Waffenlieferungen an fundamentalistische Regime und den Umgang mit Flüchtlingen.
Die fünf führenden deutschen Friedensforschungsinstitute haben massive Kritik an der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung geübt. Auch im Umgang mit Flüchtlingen und Migranten setzt die schwarz-rote Koalition aus ihrer Sicht falsche Signale. Bei der Vorstellung ihres aktuellen Friedensgutachtens verurteilten sie insbesondere die Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien und Katar, weil diese fundamentalistisches Gedankengut verbreiteten und Terrororganisationen finanzierten. „Dass Deutschland Waffen an Länder wie Saudi-Arabien liefert, ist skandalös“, sagte Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Der deutsche Rüstungsexport in das islamische Königreich sei zwar unter der großen Koalition eingeschränkt worden, ergänzte Max Mutschler vom Bonner International Center for Conversion, es würden aber weiter unter anderem Komponenten für Kampfflugzeuge geliefert, mit denen Riad fragwürdige Kriege wie den im Jemen führe.
Die Forscher sprachen sie auch gegen weitere Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga im Irak aus. Die deutsche Hilfe habe dazu beigetragen, Konflikte innerhalb des Irak anzuheizen, außerdem würden die Waffen weiterverbreitet. „Wir warnen davor, bei Konflikten eine Möglichkeit der Einwirkung von außen zu überschätzen“, sagte Johannsen weiter. In den meisten Fällen führten militärische Interventionen zum totalen Staatsversagen und stellten keine Friedenslösung dar. Als Beispiele nannte sie die Entwicklung im Irak und in Libyen nach dem Sturz von Saddam Hussein und Muammar al Gaddafi. Die deutsche Beteiligung am Krieg gegen den IS in Syrien sei zudem völkerrechtlich nicht gerechtfertigt. „Die Anschläge in Paris sind keine Grundlage dafür.“
Reform der UN statt nationale Alleingänge
Statt Interventionen einzelner oder mehrerer Nationalstaaten – sogenannte Koalitionen der Willigen – gelte es, robuste UN-Einsätze zu fördern. „Dazu sollte Deutschland finanziell und personell einen größeren Beitrag leisten." Die Friedensforschungsinstitute erinnerten daran, dass die UN-Charta die Aufstellung eigener Einheiten der Weltorganisation und auch einen eigenen UN-Generalstab vorsähen. „Diesen Gedanken sollte man wieder aufgreifen", sagte Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden. Hart gingen die Wissenschaftler auch mit der deutschen Flüchtlingspolitik ins Gericht. „Die Pläne der Bundesregierung, Flüchtlinge nach Afghanistan zurückzuschicken, grenzt an Zynismus“, so Johannsen. Denn weite Teile Afghanistans seien heute wieder in Hand von Taliban. Das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei bezeichnete sie als organisierten Menschenhandel. Das „Outsourcen“ von Problemen könne keine Lösung sein. Stattdessen müsse die EU zu neuer Solidarität zurückfinden. Johannsen: „Was zumeist Flüchtlingskrise heißt, ist keine Krise der Flüchtlinge, sondern eine Krise der Politik.“ Angesichts der Herausforderungen bei der Integration von Flüchtlingen mahnte sie nicht nur ein Einwanderungsgesetz an, sondern plädierte auch für die Einrichtung eines Migrations- und Integrationsministeriums nach dem Vorbild Frankreichs. „Die Aufgabe wird über Jahrzehnte ein Thema ersten Ranges bleiben.“ Kurzfristig seien vor allem Sozialprogramme gegen Jugendarbeitslosigkeit erforderlich, um junge Männer nicht in die Arme von Islamisten zu treiben. „Dafür müssen wir auch Haushaltsdefizite in Kauf nehmen.“ Wer Integration wolle, dürfe die Augen nicht vor prekären Verhältnissen verschließen, erläuterte Johannsen. „Verdrängungsängste leisten der Ausbreitung von Fremdenfeindlichkeit Vorschub.“