Der Papst tritt zurück: „Vergleichbar mit dem Fall der Mauer“
Rainer Kampling ist Professor für Katholische Theologie an der Freien Universität. Im Interview spricht er über die Bedeutung des angekündigten Amtsverzichts von Benedikt XVI.
Ein als konservativ bekannter Papst verabschiedet sich auf überaus moderne Weise – er kündigt quasi zum Monatsende. Eine Wende für die Kirche?
Es stimmt, wir stecken mitten in einem historischem Wechsel. Dieser Rücktritt ist für die katholische Kirche in seiner Bedeutung dem Fall der Mauer vergleichbar. Ihn modern zu nennen, ist aber selbst zu modern gedacht. Nicht das Monatsende ist entscheidend, sondern der liturgische Kalender. Mit dem Abschied zum 28. Februar ermöglicht der amtierende Papst die Wahl seines Nachfolgers bis Ostern, zum Höhepunkt des Kirchenjahres. Eine moderne Überlegung wäre vielleicht, dass die mediale Präsenz des Papstes an Ostern so massiv ist. Ein scheidender Papst, der noch einmal den Segen „urbi et orbi“ spendet, das wäre heikel. Ich würde es aber mit vielen Fragezeichen versehen, dass das eine Rolle gespielt hat.
Wie geht es weiter?
Man darf gespannt sein, inwieweit dieser Übergang überhaupt funktioniert. Es gibt keine Regeln, keinen Entwurf dafür. Er ist jetzt formaljuristisch entschieden worden; der 28. Februar 20 Uhr wird behandelt wie sonst der Sterbezeitpunkt des Papstes. Benedikt lebt aber weiter. Wird auch der Siegelring zerstört, die Siegel des bisherigen Papstes? Wird er wieder Professor Joseph Ratzinger? Wie kann er sich äußern? Die Kirche muss dafür jetzt Formen und Rituale des Vortrags entwickeln.
Beschädigt der Rücktritt des Papstes nicht das Amt? Ein Amt, von dem man zurücktreten kann, ist eines wie jedes andere.
Im Gegenteil: Dieser Rücktritt zeigt noch einmal die Macht des Papstes als alleiniges Oberhaupt der Kirche. Als solcher tut er, was zwar kirchenrechtlich möglich war – und er hat ja in seiner Begründung für die Aufgabe des Amtes ausführlich den Kanon zitiert –, das aber keiner für möglich gehalten hätte. Nur der Papst kann das. Zudem dauerte das Pontifikat seines Vorgängers Johannes Paul II. so lange, dass die Grenze zwischen Amt und Person undeutlich geworden ist. Sie verwischte natürlich auch, weil er ein Charismatiker war und sein Amt in extenso, in geradezu radikaler Weise, ausfüllte, in ein öffentlich sichtbares Leiden hinein. Benedikt erklärt nun definitiv: Nicht ich bin das Amt, sondern das Amt ist mir gegeben worden. Das ist zutiefst katholisch und geht auf Augustinus zurück. Dass er erklärt, der Kirche in Zukunft im Gebet zu dienen, ist ein Rückgriff auf mittelalterliche Vorstellungen. Insofern stärkt dieser Rücktritt das Amtscharisma sogar. Den persönlichen Mythos von Benedikt festigt dieser Rücktritt ohnehin: Er wird als der erste Papst der Neuzeit in die Kirchengeschichte eingehen, der zurückgetreten ist.
Dabei wurde gerade die Wahl Ratzingers seinerzeit als ein Signal für ein „Weiter so“ in der Kirche angesehen.
Ja, er wurde als Garant der Kontinuität gewählt und entschied sich für den Bruch. Dieser Mann war ein Paradox. Ausgerechnet er hat den Begriff des Übergangspapstes in geradezu atemberaubender Weise neu definiert. Das setzt noch in anderer Weise ein Zeichen: Er wird die einzige Möglichkeit der Klausur nutzen, die es im Vatikan gibt. Das heißt, ein Papst geht ins Schweigen. Davor habe ich hohen menschlichen Respekt.
Stimmt es, dass er nun schon der zweite Papst in Folge ist, der an der römischen Kurie gescheitert ist, seinem eigenen Regierungsapparat?
Ach was, die Kurie ist die Kurie. Meinen Sie, in der Deutschen Bank müssten sich die Spitzen nicht mit dem Apparat auseinandersetzen? Und Ratzinger kannte die Kurie seit vielen Jahren. Man kann ihm abnehmen, dass er wirklich seiner schwindenden Kräfte wegen verzichtet. Er ist 85 Jahre alt! Wir leben leider in einer Welt, die die Menschen nicht mehr in Ruhe alt werden lassen kann.
Was bleibt vom Pontifikat von Benedikt?
Was bleibt, ist die Re-Theologisierung des Papstamtes, die Wiedererweckung einer katholischen Lehrmeinung, die ausgestorben war. Wobei es ein Mythos ist, dass er verständlich war. Seine Redeform mutete den Zuhörern viel zu, das war schwerste Theologie. Ein Problem, das sein Pontifikat geschaffen, aber nicht gelöst hat, ist die Annäherung an die Piusbrüder. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass er dafür in den verbleibenden beiden Wochen noch eine Lösung finden wird. Sein Nachfolger wird sich damit auseinanderzusetzen haben. Es einfach offenzulassen, geht nicht, denn es laufen ja Verhandlungen zwischen beiden Seiten.
Ein Fehler?
Benedikt ist den Piusbrüdern für meinen Geschmack zu weit entgegengekommen. Er hat guten Glaubens gedacht, es gehe um Rituale, in Wirklichkeit geht es um eine häretische Gruppe, die nicht friedensfähig sein will.
Was bleibt von seinem Management der Missbrauchsskandale?
Das Thema Pädophilie wird die Kirche vorerst nicht loslassen. Die Richtlinien, die Benedikt dazu wollte, sind aber sehr nachvollziehbar, ich sehe da wenige, die ihm einen Mangel an Ernst oder Problembewusstsein vorwerfen. Nun muss das allerdings in den Bistümern ankommen und umgesetzt werden.
Erwarten Sie ein besseres Verhältnis zu den Protestanten, in der Ökumene insgesamt? Der Papst hat vor allem die evangelische Kirche in Deutschland vor den Kopf gestoßen.
Ich würde eher sagen, er hat da das Verdienst, die Problemfelder zwischen katholischer und evangelischer Kirche benannt zu haben. Auch uns Theologen hat er darauf gestoßen.
Was halten Sie von den möglichen Nachfolgern, die jetzt genannt werden?
Ich wünschte mir, da gäbe es etwas mehr Respekt vor dem Amt, das ja auch ein politisches ist. Sollte es in den letzten Wochen noch nötig werden, grundsätzliche Entscheidungen zu treffen, wäre seine Autorität zusätzlich beschädigt. Eine Nachfolgedebatte würde die Lage für ihn noch schwieriger machen.
Das Gespräch führte Andrea Dernbach
Rainer Kampling
ist Professor für
Katholische Theologie an der FU Berlin.
Zu Schwerpunkten
seiner Arbeit gehören die Ökumene und
der jüdisch-christliche Dialog.
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