Elektroschrott in Afrika: Vergiftete Flammen
Es ist ein verbotenes Geschäft. Und es ist ein unmoralisches Geschäft. Aber es floriert: Europäer verkaufen ihren Elektroschrott nach Afrika. Die Ärmsten der Armen verdienen mit den Kupfer- und Aluminiumresten ein paar Cent. Und werden sterbenskrank davon.
Bevor er sich über das Feuer bückt, hält er die Luft an und zieht sich das Polohemd vor die Nase. Dann drischt Steven Nkrumah mit einem dünnen Holzstiel auf den lodernden Haufen zu seinen Füßen. Das Feuer zischt, grüne und gelbe Funken sprühen in den Flammen.
Sein Feuer darf nicht ausgehen. Es ist nicht das einzige hier in Agbogbloshie, einem Marktviertel in Accra, Ghana, das eingehüllt ist in schwarzen Rauch und Gestank. In Agbogbloshie, der Müllhalde.
Die Flammen lassen die Plastikisolierungen der Kupferkabel schmelzen, die der 12-jährige Steven in sein Feuer gelegt hat. Die Kupferkabel stammen aus einem Computermonitor, der einmal in einem Kölner Büro gestanden hat.
Das Kupfer wird Steven später an Metallhändler verkaufen. Ein Kilo bringt etwas mehr als einen Euro. Manchmal bekommt er das an einem Nachmittag zusammen, mal dauert es zwei Tage. Das hängt davon ab, wie viel Elektroschrott aus Europa und den USA über Nacht in Agbogbloshie landet.
Weniger als ein Drittel wird ordnungsgemäß entsorgt
Es ist ein verbotenes Geschäft. Es ist auch unmoralisch, weil es Menschen, die arm sind, auch noch krank macht. Und es floriert. Rechnerleistungen verdoppeln sich alle zwei Jahre, Flachbildschirme verdrängen Röhrenmonitore, und neue Internet-Handys lassen die Modelle vom Vorjahr alt aussehen. 750 000 Tonnen Elektrogeräte werden allein in Deutschland pro Jahr ausgemustert. 2005 wurden Gesetze erlassen, die die Entsorgung regeln, die Rohstoffe retten und Giftstoffe minimieren sollen. Ökologisch fortschrittlich, ökonomisch aber belastend. Weniger als ein Drittel des anfallenden Elektroschrotts werde ordnungsgemäß entsorgt, schätzt man beim Bundesverband für Sekundärrohstoffe und Entsorgung. Stattdessen wählen immer mehr Firmen den billigen Weg: Sie deklarieren den Elektroschrott als Handelsware und exportieren ihn nach Indien, China und Westafrika.
Dabei gehört Deutschland, anders als die USA, die sich dem Vertragswerk bis heute verweigern, seit 1995 zu den Unterzeichnern der Basler Konvention, die die "grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle und ihre Entsorgung", also auch den Export von Elektroschrott, stoppen soll.
Steven schaut auf den verrußten Boden, der mit alten Leiterplatten, Plastiksplittern und angebrannten Computerverkleidungen übersät ist. Er hustet krampfartig. Seine Augen sind rot, seine Lymphknoten geschwollen. Was er täglich einatmet, ist ein Giftcocktail. Die Zutaten: das Nervengift Blei, krebserregendes Kadmium, Dioxine und vieles mehr.
Blei und Kadmium überall - und Dioxin
Greenpeace hat vor einigen Wochen Bodenproben auf der Müllhalde entnommen. Die Konzentration von Blei und Kadmium lag um das Hundertfache über dem Normalwert. Auch hohe Werte an chlorierten Dioxinen wiesen die Proben nach. "Viele der Chemikalien sind hochgiftig. Sie können Nervensystem, Gehirn und das sich entwickelnde Fortpflanzungssystem schädigen", sagt Kevin Bridgen, der Leiter der Studie.
Ähnliche Befunde hatte die Umweltschutzorganisation vor drei Jahren in der chinesischen Provinz Giuyu festgehalten, die lange als größtes Auffangbecken für den globalen Elektroschrott galt. Nachdem amerikanische Dokumentarfilmer die Nebenwirkungen für Mensch und Natur in die Öffentlichkeit getragen hatten, beschränkten die Behörden den Import von Giftmüll. Seitdem landet westlicher Elektroschrott auch in Accra.
"Vor drei, vier Jahren habe ich immer mehr Lastwagen mit alten Computern und Fernsehern nach Agbogbloshie fahren sehen", sagt Mike Anane, 42, ein Umweltaktivist aus Accra. Seitdem beschäftigt er sich mit dem Giftmüll aus Europa und den USA. "Wir gehen unter in Lawinen von Elektroschrott", sagt er. Ghana habe kein Recycling-System für die hochgefährlichen Stoffe, die regelmäßig in Agbogbloshie landen. Ein schmaler Fluss, der Odawna, durchzieht das Viertel. An dem einen Ufer stapeln sich die Kochbananen und Maniokwurzeln der Marktleute, am anderen ausgeweidete Computergehäuse und zerschlagene Bildröhren - und bei jedem Regen sickern aus diesen Gerippen Schwermetalle in den Boden.
Export trotz Verbots
Trotz des Basler Verbots werden laut Greenpeace weltweit jedes Jahr bis zu 50 Millionen Tonnen Elektroschrott exportiert, mehr als zwei Drittel davon in Entwicklungsländer. Das liegt auch daran, dass die Kontrolle schwierig ist. So werden in Deutschland die Recycling-Fachbetriebe zwar regelmäßig überprüft - aber die Schrottsammler, deren Handzettel an tausenden Haustüren kleben, kaum. Ein Teil der Händler verschifft die Altgeräte dann um die halbe Welt, während der europäische Zoll nur stichprobenartig kontrolliert.
Abgesehen davon, dass man den meisten Rechnern von außen sowieso nicht ansieht, ob sie brauchbar sind. Mike Anane in Ghana sagt: "Neun von zehn Rechnern, die in Ghana ankommen, sind schlichtweg Schrott."
Täglich werden am Frachtterminal von Tema, Ghanas größtem Hafen, eine Autostunde östlich von Accra, Container mit Gefahrgut aus Hamburg, Rotterdam oder Antwerpen ausgeladen. Freitags ist es besonders hektisch. Importeure wie Emmanuel Asare müssen ihre Ladungen dann sofort in die Stadt bekommen, denn Sonnabend ist in Accra der Hauptgeschäftstag. Asare, ein hochgewachsener Mann in den Fünfzigern, trägt eine neongelbe Sicherheitsweste. Unruhig läuft er vor dem Container umher, der für ihn aus Bremen angekommen ist. "Schnell! Die Kühlschränke nach rechts, die Fahrräder nach links!", ruft er seinen Trägern zu. Die haben vor dem Container bereits Röhrenfernseher und ein Dutzend alter Computer gestapelt. Auf einem Rechner klebt unter dem CD-Laufwerk das Etikett eines EDV-Service in Bremerhaven.
"Michael from Germany" verkauft am Hafen
Asare besitzt in Accra einen Gebrauchtwarenladen. In den 90ern hat er in Bremen gelebt und spricht einige Brocken Deutsch. Wo er die Ware her hat? "Aus Recycling-Firma, das ist gut", sagt er und grinst. Dort arbeite sein Cousin, und der versorge ihn regelmäßig mit Elektrogeräten. Ein paar kaputte seien dabei, aber mit vielen könne er gutes Geld machen. Asare entschuldigt sich. Er hat es eilig, die Ware muss in den Laden. Der alte Pentium-II-Rechner vom EDV-Service in Bremerhaven könnte Asare knapp 100 Euro bringen. Falls er noch funktioniert.
Direkt am Hafen stehen auch einige Europäer, die ihre eigenen Container voll alter Computer und Fernseher nach Tema gebracht haben. Sie verramschen die Geräte gleich hier zu Sonderpreisen - dafür darf der Käufer sie nicht prüfen. Auf so einen Deal hat sich der Ladenbesitzer Kissi eingelassen. Er hat am Hafen rund 100 Computer von einem blonden Mann gekauft, der sich als "Michael from Germany" vorgestellt hat.
Nun sitzt der 30-jährige Kissi in seinem kleinen Geschäft wenige Gehminuten von Agbogbloshie entfernt. Eine Neonröhre wirft grelles Licht auf Computer, Kopierer und Drucker, die sich auf 20 Quadratmetern in die Höhe stapeln. "Alles aus Deutschland", sagt Kissi. "Ich konnte nur einen Computer testen, dann musste ich die Ladung kaufen. Sonst hätte sie mir jemand anderes weggeschnappt." Mehr als zehn Interessenten hatten sich um "Michael from Germany" gedrängt. Als Kissi in seinem Laden die Waren dann geprüft hat, stellte er fest, dass mehr als 60 Computer kaputt sind. Was er damit macht? "Die werfe ich weg. In Agbogbloshie."
Er soll bitte still sein. Sonst würde das Image des Landes leiden
Es sind Geschichten wie diese, die Mike Anane aufregen. "Skrupellose Typen mischen ein paar funktionierende Rechner unter den Schrott und verseuchen damit unser Land. Und die Regierung unternimmt nichts!", schimpft er. Immer wenn er bei der Umweltbehörde oder beim Gesundheitsministerium vorspreche, höre er dieselbe Antwort. Er möge bitte Stillschweigen bewahren. Das Image des Landes würde sonst leiden.
Es gibt Momente, in denen er sich entsetzlich machtlos fühlt. Wenn er monatelang keinen Termin beim Chef der Umweltbehörde bekommt. Oder wenn er daran denkt, dass der Odawna-Fluss, der durch das Viertel fließt, früher Hunderte Familien ernährt hat. Wer heute ein Fischernetz ins Wasser wirft, wird nur noch Trümmer des IT-Zeitalters herausziehen. Der Fluss ist tot. Träge schiebt er sich durch Accra und spült einen Kilometer hinter Agbogbloshie den Müll in den Golf von Guinea.
Anane macht mit einer Digitalkamera Bilder der Müllberge am Ufer. Mehrmals pro Woche geht er auf den Schrottplatz. Jedes Mal atmet auch er die giftigen Dämpfe ein. "Aber irgendwer muss ja den Kindern helfen, die hier täglich ihr Leben gefährden", sagt er. Gerade filmt er einen Haufen, auf dem sich zwei Meter hoch die Gehäuse alter iMacs türmen. Auf jedem Rechner ist ein Aufkleber. Früher haben Kinder der Taylor Elementary School in Arlington bei Washington daran gelernt. Anane zeigt auf einen Jungen, der über die Müllhaufen humpelt. "Kindern wie ihm will ich helfen", sagt Anane. Der Junge trägt eine Plastiktüte, aus der eine Aluminiumplatte lugt. Es ist Steven. Am Vormittag hat er noch Kupferdrähte verbrannt. Nun findet er kein Kupfer mehr, also sammelt er Aluminium.
Vier Jungen, ein Karren voller Monitore. Sie gehen zu den Feuern
Steven wohnt mit Mutter und kleinem Bruder im Slum gleich hinter dem Markt. Jeden Morgen gegen sechs Uhr kommt er auf den Schrottplatz. Zur Schule kann er nicht gehen, weil die Familie nicht das Geld hat für Bücher und Schulessen. Vier Jungen ziehen mit einem Karren voller Monitore und Fernseher vorbei. Steven läuft ihnen hinterher. Sie gehen zu den Feuern. Jeder Junge greift sich ein altes Elektrogerät, für Steven bleibt ein klobiger Philips-Fernseher. Mit voller Kraft schleudert er ihn vom Karren. Dann schmettert er einen Stein, so groß wie sein Kopf, gegen den Bildschirm. Es kracht und klirrt. Partikel wirbeln durch die Luft. Dass sie gefährlich sind, Blei und Kadmium enthalten, weiß Steven nicht. Er schleudert den Stein nochmal gegen den Fernseher, dann rüttelt er mit seinen Händen so lange an der Verkleidung, bis er das Plastik abgebrochen hat. Nach fünf Minuten ist der Fernseher komplett zerlegt. Was ihm bleibt, ist ein Aluminiumrahmen, keine 50 Cent wert. Keine gute Ausbeute. Aber morgen kommt er ja wieder.
Nur sonntags geht er nicht zum Schrottplatz. Dann ist er morgens in der Kirche und nachmittags am Boola Beach, erzählt er. Das ist der Strand, an dem der Odawna ins Meer fließt. Boola bedeutet Müll.
Fabian Reinbold[Accra]
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität