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Polizisten durchsuchen am Morgen nach dem Axt-Angriff eines Afghanen das Gelände neben einem Weg bei Würzburg nach Spuren.
© dpa
Update

Axt-Angriff bei Würzburg: Verfassungsschutz sieht im Nizza-Anschlag mögliches Vorbild

Der Verfassungsschutz hält einen Zusammenhang des Axt-Angriffs eines 17-jährigen Afghanen bei Würzburg mit dem Anschlag in Nizza für denkbar. Inzwischen gibt es mehrere Hinweise auf einen islamistischen Hintergrund.

Nach dem Axt-Angriff des 17-jährigen Afghanen in einem Regionalzug bei Würzburg verdichten sich die Hinweise auf einen islamistischen Hintergrund. „Es gibt Indizien, die in eine Richtung weisen“, sagte ein Sprecher des bayerischen Verfassungsschutzes dem Tagesspiegel. Der Fund der Fahne der Terrormiliz IS im Zimmer des Afghanen bei seinen Pflegeeltern sei ein „deutliches Indiz, dass es einen Radikalisierungsprozess gab, den der junge Mann durchlaufen hat“. Zudem meldete die IS-nahe Nachrichtenagentur Amak am Dienstagvormittag, dass der IS den Anschlag für sich beansprucht. Der Afghane sei ein "Kämpfer" des IS, meldet die Agentur.

Der Verfassungsschutz hält es zudem für möglich, dass der Anschlag von Nizza eine Rolle beim Tatmotiv des Afghanen gespielt hat. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte am Morgen berichtet, im Zimmer des Afghanen sei eine handgemalte IS-Fahne entdeckt worden. Nach bislang unbestätigten Meldungen soll der Jugendliche bei der Tat „Allahu akbar“ (Gott ist am größten) gerufen haben.

„Ein Zusammenhang mit Nizza ist durchaus denkbar“, sagte der Verfassungsschützer. Ein solcher Anschlag könne, auch wegen der enormen medialen Wirkung, „einer Person, die eine Radikalisierung durchlaufen hat, einen Schub geben“. Schon kurz nach der Amokfahrt in Nizza, bei der 84 Menschen getötet wurden, hatten deutsche Sicherheitskreise vor einer noch höheren Gefahr von Nachahmertaten als sonst schon bei islamistischen Anschlägen gewarnt.

Die Experten betonten, Nizza habe gezeigt, dass für einen Anschlag mit großer Wirkung keine aufwändige Vorbereitung notwendig sei, sondern der Einsatz eines alltäglichen Geräts als Tatmittel, in diesem Fall ein Lkw, schon völlig reiche. Der afghanische Jugendliche in Würzburg könnte nun, vermutet der Verfassungsschutz, mit dem Alltagsgerät Axt versucht haben, eine ähnliche Wirkung zu erreichen.

Vor „Do-it-yourself-Anschlägen“ hatte zudem kürzlich der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, gewarnt. Es sei erstaunlich, dass da bislang nicht mehr passiert sei, hieß es am Dienstag in Sicherheitskreisen. Die Terrormiliz IS und Al Qaida rufen schon länger ihre Anhänger dazu auf, mit allen möglichen Gegenständen so genannte Ungläubige zu attackieren.

Der IS-Sprecher Abu Mohammed al Adnani hatte im September 2014 in einer Audiobotschaft im Internet militante Salafisten weltweit animiert, auf eigene Faust Europäer anzugreifen – mit Steinen, Messern, Autos, Gift. Im Februar hatte in Hannover die 15-jährige Salafistin Safia S. am Hauptbahnhof mit einem Messer einem Bundespolizisten in den Hals gestochen. Der Beamte überlebte nur knapp. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen die Jugendliche. Die Behörde hat den Verdacht, der IS habe das Mädchen zu einer „Märtyreroperation“ angestiftet.

Radikalisierung durch Salafisten wird untersucht

Wie lange der junge Afghane bereits in Deutschland ist, war zunächst unklar. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sprach am Morgen im ZDF davon, er sei vor zwei Jahren als Asylbewerber registriert worden. Ein Sprecher des bayerischen Verfassungsschutzes gab hingegen an, der Mann habe sich seit einem Jahr in Deutschland aufgehalten. Es werde untersucht, ob ihn eine salafistische Gruppierung radikalisiert haben könnte. Nach Tagesspiegel-Informationen war der junge Mann am 30. Juni 2015 eingereist.

Dem Verfassungsschutz war im vergangenen Jahr in Aschaffenburg, etwa 80 Kilometer von Würzburg entfernt, eine Truppe aufgefallen, die gezielt junge Flüchtlinge ansprach, die unbegleitet nach Deutschland gekommen waren. Die Gruppierung namens „Islamische Jugend Aschaffenburg“ sei „sehr rege“ gewesen, sagte der Verfassungsschützer. In einem Video habe sie geäußert, gerade an junge  Leute müsse man herantreten.

Die Gruppierung habe zudem bekannte Prediger aus der Salafistenszene eingeladen, darunter den Ex-Boxer Pierre Vogel sowie Sven Lau. Beide sind Konvertiten. Sven Lau  hatte im September 2014 in Wuppertal die Patrouille einer „Scharia-Polizei“ organisiert, die junge Muslime vor Spielhallen und Gaststätten ansprach und vor westlichem Amüsement warnte. Unabhängig davon sitzt Lau seit Dezember 2015 in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, eine terroristische Gruppierung unterstützt zu haben, die mit dem IS liiert ist.

Die Radikalisierung junger, unbegleiteter Flüchtlinge laufe vermutlich auch über eine Art Schneeballsystem, heißt es in Sicherheitskreisen. Eine Gruppierung wie die Islamische Jugend Aschaffenburg agitiere Jugendliche, die ihrerseits Freunde ansprechen und somit die Radikalisierung weitertragen. Auf diese Weise könnte auch der Afghane mit salafistischer Propaganda in Berührung gekommen sein. Oder über das Internet oder beides. Die Islamische Jugend Aschaffenburg sei inzwischen allerdings weitgehend inaktiv, sagte der Sprecher des bayerischen Verfassungsschutzes. Angesichts der Berichterstattung in den Medien über die Gruppierung habe diese kaum noch Räume mieten können.

Die salafistische Agitation sei gerade bei unbegleiteten, jungen Flüchtlingen eine Gefahr, sagte der Sprecher des bayerischen Verfassungsschutzes. Die Jugendlichen seien der deutschen Sprache nicht mächtig und fühlten sich einsam. Die Salafisten kämen zu ihnen hin mit der Botschaft, „wir sind Brüder und Schwestern, wir nehmen dich an“. Der bayerische Verfassungsschutz hat wegen der islamistischen Einflussnahme auf Flüchtlinge generell einen Flyer zu islamistischen Anwerbeversuchen erstellt. Inzwischen seien 30.000 Stück abgesetzt worden, sagte der Sprecher. Die Nachfrage sei enorm, gerade auch bei den Betreibern von Flüchtlingsunterkünften.

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