Politik: Verfassungsschutz lässt sich durchleuchten
Historiker sollen NS-Vergangenheit des Nachrichtendienstes in der Zeit von 1950 bis 1975 aufarbeiten
Der Fall war peinlich, für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und damit auch für die Bundesregierung. Anfang der 70er Jahre wurde bekannt, dass der damalige BfV-Präsident Hubert Schrübbers dem NS-Regime als Staatsanwalt gedient hatte. So verurteilte 1941 auf seine Anklage hin ein Gericht im westfälischen Hamm einen Kommunisten zu anderthalb Jahren Haft – der Mann hatte 20 Reichspfennig für inhaftierte Genossen gespendet. Schrübbers, der seit 1955 als BfV-Chef amtierte, war auf dem Posten nicht mehr zu halten und musste 1972, kurz vor seiner Pensionierung, zurücktreten. Nur ein peinlicher Einzelfall oder steckt doch mehr dahinter?
Knapp 40 Jahre später will es das BfV genau wissen. Der Nachrichtendienst hat jetzt ein „Forschungsvorhaben“ in eigener Sache gestartet. Mit einem anspruchsvollen Titel: Die „Organisationsgeschichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz 1950 bis 1975 unter besonderer Berücksichtigung der NS-Bezüge früherer Mitarbeiter in der Gründungsphase“ soll aufgearbeitet werden. Allerdings nicht vom BfV selbst, sondern von zwei Professoren der Ruhr-Universität Bochum, den Historikern Constantin Goschler und Michael Wala. Die Wissenschaftler würden „in keiner Weise von uns beeinflusst“, sagte BfV-Präsident Heinz Fromm am Dienstag bei der Vorstellung des Vorhabens in der Zentrale des Amtes in Köln. Eher zufällig war es auch der 61. Geburtstag der Behörde, am 27. September 1950 wurde die Gründung im Bundesgesetzblatt verkündet.
Fromm, der seit dem Jahr 2000 den Nachrichtendienst leitet, wollte schon länger recherchiert haben, welche braunen Flecken die Frühgeschichte der Behörde aufweist. So viele wie beim Auswärtigen Amt, das sich ebenfalls einer Untersuchung gestellt hat, oder wie beim Bundesnachrichtendienst, wo nach und nach gruselige Details wie die Kooperation mit einem ehemaligen Vergasungsspezialisten der SS bekannt werden? Im Jahr 2007 erteilte Fromm den Auftrag, die Akten des BfV, viele liegen im Bundesarchiv in Koblenz, für ein Forschungsprojekt aufzuarbeiten. Ende 2010 wurde das Vorhaben öffentlich ausgeschrieben und im August dieses Jahres der Vertrag mit den Bochumer Historikern geschlossen. Sie haben nun drei Jahre Zeit, um in Koblenz wie in Köln Unterlagen zu wälzen. Und nicht nur hier.
Sie würden auch Archive in den USA und in Großbritannien einbeziehen, betonten Goschler und Wala. Auf womöglich geschönte Lebensläufe in Personalakten von NS-belasteten Ex-Mitarbeitern des BfV wollen sich die Historiker nicht verlassen. Und es geht noch um mehr: nach Goschlers Aussage sollen die „Spielregeln“ des Umgangs mit einstigen Nazis im BfV transparent werden – und damit auch ein Stück Mentalitätsgeschichte der jungen Bundesrepublik erforscht werden. Der Fall Schrübbers, so scheint es, könnte ein Gradmesser sein.
Frank Jansen
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