Trotz Waffenruhe in Syrien: US-geführte Koalition bombardiert versehentlich Assads Truppen
Bei Luftangriffen der US-geführten Koalition sind offenbar Dutzende syrische Soldaten getötet worden. Die USA bestätigten einen Luftschlag. Man sei aber davon ausgegangen, IS-Kämpfer zu treffen.
Syrischen Staatsmedien und den russischen Streitkräften zufolge haben Kampfflugzeuge der US-geführten Koalition am Samstag Stellungen der syrischen Regierungstruppen angegriffen. Die russische Armee sprach von mehr als 60 getöteten syrischen Soldaten. Moskau steht in dem Bürgerkrieg auf Seiten von Damaskus. Bereits zuvor hatten die USA und Russland wieder offen über das richtige Vorgehen in Syrien gestritten. Die Angriffe seien am Abend (Ortszeit) nahe dem Flughafen von Deir Essor im Osten des Landes erfolgt, berichtete das syrische Staatsfernsehen am Samstag unter Berufung auf die Armee. Es habe "Opfer" gegeben, eine genaue Zahl wurde zunächst nicht genannt.
Dagegen erklärten die russischen Streitkräfte, dass mehr als 62 syrische Soldaten bei den Angriffen getötet und rund 100 weitere verletzt worden seien. Demnach drangen zwei F-16- und zwei A-10-Kampfflugzeuge vom Irak aus in den syrischen Luftraum ein. Die Jets hätten vier Angriffe gegen die von der Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) umzingelten Stellungen der Regierungstruppen geflogen. Kurz nach den Angriffen hätten die IS-Kämpfer eine Offensive begonnen. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, schloss nicht aus, dass die Attacke ein Versehen sei. Er führte den Fehler zurück auf die Weigerung der USA, ihr militärisches Vorgehen gegen terroristische Gruppen in Syrien mit Russland abzustimmen.
Das US-Zentralkommando sagt, Russland sei informiert gewesen
Das US-Zentralkommando bestätigte, dass ein Luftschlag südlich von Deir al Sour ausgeführt worden sei - aber in dem Glauben, eine Kampfstellung des IS zu treffen. Die Angriffe seien sofort eingestellt worden, nachdem russische Vertreter die Koalition darüber unterrichtet hätten, dass die attackierten Menschen und Fahrzeuge möglicherweise zum syrischen Militär gehörten. Der Ort des Angriffes liege in einem Gebiet, das die Koalition bereits in der Vergangenheit angegriffen habe, hieß es in der Mitteilung des Zentralkommandos weiter. Russische Offizielle seien aus Gründen der Flugsicherheit im Luftraum vorab über den Angriff informiert worden. Weiter wurde auf die "komplexe" Situation in Syrien mit verschiedenen militärischen Kräften und Milizen in nächster Nähe zueinander verwiesen. "Aber Koalitionskräfte würden keine syrische Einheit wissentlich und absichtlich angreifen."
Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte gab die Zahl der Getöteten mit mindestens 80 an. Die angreifenden Kampfflugzeuge hätten jedoch nicht identifiziert werden können, teilte ihr Leiter Rami Abdel Rahman mit. Die Beobachtungsstelle steht der syrischen Opposition nahe und stützt sich auf ein breites Netzwerk von Informanten Syrien. Ihre Informationen sind von unabhängiger Seite kaum zu überprüfen.
Die seit knapp einer Woche geltende Waffenruhe ist ohnehin brüchig. Diese war am Montag in Kraft getreten. Sie galt zunächst 48 Stunden, am Mittwoch wurde sie für zwei Tage verlängert. Am Freitag dann bot Russland eine erneute Verlängerung um 72 Stunden an - eine solche wurde offiziell aber nicht verkündet. Zudem gilt die Waffenruhe grundsätzlich nicht für Gebiete, in denen Dschihadisten aktiv sind.
Schon zuvor hatten sich Moskau und Washington Vorwürfe gemacht
Sollte die Feuerpause sieben Tage halten, wollen Moskau und Washington entsprechend ihrer Einigung eigentlich über ein gemeinsames Vorgehen gegen die Dschihadisten in Syrien beraten. In der Erklärung der russischen Armee zu den Luftangriffen hieß es nun: "Wenn den Luftangriffen ein Irrtum bei den Zielkoordinaten zugrunde liegt, wäre dies eine direkte Folge der Weigerung der USA, ihre Einsätze gegen die terroristischen Gruppen in Syrien zu koordinieren."
Bereits zuvor hatten beide Seiten neue Vorwürfe gegeneinander gerichtet. Russlands Staatschef Wladimir Putin warf der Gegenseite einen "gefährlichen Pfad" vor. Seine Truppen vor Ort und die syrische Führung hielten sich an die Waffenruhe, sagte Putin nach Angaben der russischen Nachrichtenagenturen. Allerdings nutzten die von den USA unterstützten Rebellen den Stopp der Kampfhandlungen, um sich "neu zu organisieren". Washington habe "offensichtlich das Bestreben, die Möglichkeit zur Bekämpfung der rechtmäßigen Regierung in Syrien" zu behalten.
Putin gab zugleich den USA die Verantwortung dafür, dass über das Thema nicht im Sicherheitsrat beraten wurde. "Ich verstehe nicht, weshalb wir irgendein Abkommen verheimlichen sollen." Die für Freitag angesetzte Dringlichkeitssitzung war abgesagt worden, weil dabei auch über die Vereinbarung zur Waffenruhe gesprochen werden sollte. Die USA fürchteten, mit der Offenlegung der detaillierten Vereinbarung die von ihnen unterstützten Rebellen in Syrien zu gefährden. Unter anderem hatte Frankreich darauf bestanden, über die Einzelheiten der Vereinbarung informiert zu werden, bevor eine Resolution dazu verabschiedet wird.
Die von den Außenministern Russlands und der USA ausgehandelte Vereinbarung sieht auch Hilfslieferungen für die notleidende Bevölkerung vor. US-Präsident Barack Obama warf der syrischen Führung vor, die humanitäre Hilfe zu blockieren. Washington machte zugleich eine militärische Kooperation mit Moskau im Kampf gegen Dschihadisten davon abhängig, dass die Hilfslieferungen die Bevölkerung erreichen. Neben dem diplomatischen Streit bedrohten zudem auch immer wieder aufflammende Gefechte die Waffenruhe. (AFP/dpa)