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Zwei amerikanische "Air Force F-15E Strike Eagle" auf dem Weg zum Gegner.
© dpa

Kampf gegen den "Islamischen Staat": US-Experten zweifeln am Luftkampf gegen die IS-Miliz

Die Kritik an Amerikas Strategie wird lauter. Die USA können noch so viele Bomben über IS-Stellungen abwerfen - entscheiden werden sie den Konflikt in Syrien und Irak damit nicht, heißt es. Kritiker fordern daher, Luftangriffe auch von Soldaten am Boden zu steuern.

Als Jen Psaki zuletzt gefragt wurde, wo genau die USA im Krieg gegen den Islamischen Staat eigentlich Geländegewinne verbucht haben, geriet die US-Außenamtssprecherin ins Stottern. „Einen Moment. Entschuldigung, ich werde sie finden“, sagte sie, und blätterte nervös in ihren Unterlagen. „Bedeutet das, es gibt keine?“, fragte ein Reporter - und erntete Gelächter.

Doch die Lage ist weitaus ernster: Wollen die USA und ihre Verbündeten die Terrormiliz IS nicht in die Knie zwingen, oder können sie es nicht? Seit etwa 60 Tagen werfen die USA nun Bomben über Irak und später auch dem benachbarten Syrien ab. Und wenngleich der gefährlich rasche Vormarsch des IS etwas verlangsamt wurde, ist die insgesamt zaghaft wirkende Operation alles andere als ein Erfolg. In der nordsyrischen Stadt Kobane droht ein Massaker der Dschihadisten an den belagerten Kurden. Die „Los Angeles Times“ spricht schon jetzt von einer „offenkundigen Niederlage“.
Glaubt man Militärstrategen und den Analysten der Thinktanks in Washington, haben sich die Extremisten tatsächlich sehr schnell auf die Luftangriffe der USA und ihrer Verbündeten eingestellt. Und schon vor Beginn der Angriffe im Irak Anfang August und Ende September im benachbarten Syrien war im Pentagon und in Militärkreisen umstritten, was Kampfjets, Bomber, Drohnen und Tomahawk-Marschflugkörper gegen die schätzungsweise bis zu 30 000 IS-Kämpfer anrichten können, die in der Region einen Gottesstaat errichten wollen.

Die Bombardements gegen Nazi-Deutschland und Japan als Vorbild

Grundlage des Kampfes ist eine schon im Zweiten Weltkrieg bei den Bombardements gegen Nazi-Deutschland und Japan entwickelte Strategie des US-Militärs, die Oberst Clint Hinote von der Luftwaffe in einem Beitrag für den Council on Foreign Relations beschreibt. Damals ging es darum, Ziele je nach ihrer strategischen Bedeutung im Krieg auszuwählen und anzugreifen. Je mehr Anführer getroffen werden, desto kürzer soll demnach der Krieg sein, und die Verluste auf beiden Seiten sein.
Mit der Entwicklung von Präzisions- und Tarnkappenwaffen in den 80er Jahren wurde diese Taktik für die Operation „Desert Storm“ im Zweiten Golfkrieg weiter ausgebaut. Doch auch nach dem Luftkrieg gegen Diktator Saddam Hussein blieb strittig, ob der Feind allein aus der Luft tatsächlich wie gewünscht gelähmt werden kann - und ob selbst das nicht zu noch mehr Chaos und Bedrohung am Boden führen kann.
Weil mangels Spezialtruppen auf syrischem Boden wichtige Erkenntnisse fehlen, um IS-Anführer gezielt zu töten, soll die Organisation als Ganzes unter Druck gesetzt werden. Das heißt: Es braucht Angriffe auf Hauptquartiere, Trainingslager, Ölraffinerien und Kommandozentren, zugleich aber auf Waffenlager, bewaffnete Fahrzeuge, Kampfpositionen.
„Während einige denken mögen, dass dies IS lähmen wird, glauben die meisten militärischen Anführer das nicht“, schreibt Hinote. Vielmehr passe IS sich an, indem Hauptquartiere geräumt, Truppen zerstreut und neue Möglichkeiten für Training und Nachschub gefunden würden.

Die Bedrohung durch den IS könnte sich ausbreiten, etwa auf Nigeria, Somalia, Jemen und Libyen

Auch Pentagon-Sprecher John Kirby sagt, die Extremisten hätten sich verteilt, versteckten sich in der Bevölkerung und kommunizierten anders. Immerhin könnten sie nun nicht mehr ganz so frei agieren.
Doch für durchschlagende militärische Erfolge braucht es nach Einschätzung vieler Experten eine zumindest begrenzte Zahl von US-Truppen am Boden, die Ziele identifizieren, markieren und damit die Luftangriffe präzise ausrichten. Diesen Job können Aufnahmen von Überwachungsflügen und Satellitenbilder einfach nicht ersetzen.
„Präsidenten der Vereinigten Staaten müssen alle Optionen auf dem Tisch lassen“, kritisierte der frühere Verteidigungsminister und CIA-Direktor Leon Panetta. Dazu gehörten auch Soldaten am Boden. Er fürchtet schon jetzt, dass die Bedrohung durch den IS sich ausbreiten könnte, etwa auf Nigeria, Somalia, Jemen und Libyen. „Ich denke, wir blicken so etwas wie einer Art 30-jährigem Krieg entgegen.“ Das Timing ist ein entscheidender Faktor, mahnt Jean-Pierre Filiu, Nahost-Experte am Pariser Institut für politische Studien - allein wegen der drohenden Gefahr terroristischer Anschläge. Doch weil ein Strategiewechsel der USA nicht in Sicht scheint, steuert US-Präsident Barack Obama in dem Konflikt auf eine äußerst gefährliche Lage zu.
James Jeffrey, ehemaliger US-Botschafter im Irak, beschreibt das bestmögliche End-Szenario so, dass IS ähnlich wie Al-Kaida auf eine Gruppe von Terrorzellen mit begrenztem politischen und militärischem Einfluss reduziert wird. Doch so wie sich Al-Kaida unmöglich auf der Stelle zerstören lässt, ist es auch mit IS, sagt Jeffrey. (dpa)

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