Brexit und Zuwanderung: "Us and them" passt nicht zu Europa
Das britische Innenministerium verblüfft mit einem harten Zuwanderungskonzept. Es widerspricht dem Anspruch, auch nach dem Austritt eine enge Partnerschaft mit der EU zu pflegen. Ein Kommentar.
Falls die britische Regierung so etwas hat wie einen Brexit-Kompass, dann muss das ein ungewöhnliches Instrument sein, das in mehrere Richtungen gleichzeitig weist. Am Mittwoch präsentierte das Londoner Austrittsministerium ein weiteres Papier zur künftigen Partnerschaft mit der Europäischen Union – eine enge Wissenschaftskooperation auf Basis von EU-Programmen soll es geben, weil alles andere dem eigenen Land natürlich massiv schaden würde.
Gleichzeitig wurden detaillierte Vorstellungen des Innenministeriums zur künftigen Einwanderungspolitik bekannt, in dem die glatte Gegenrichtung eingeschlagen wird: Den Partnern jenseits der Meere (Kanal und Irische See) wird recht deutlich vermittelt, dass Partnerschaft hier ihre Grenzen hat. Migrationspolitisch kehrt Großbritannien, würde das Papier offizielle Regierungspolitik, gegenüber Europa zum Status des „Wir und ihr“ zurück. Ganz praktisch heißt das bereits für Urlauber und Einkaufstouristen aus der EU, dass man wieder einen Reisepass braucht.
Das Ende der völlig freien Mobilität konnte man zwar erwarten. Immerhin haben sowohl die regierenden Konservativen als auch die oppositionelle Labour Party das Ergebnis des Austrittsreferendums von 2016, basierend allein auf Umfragen und unter Druck der Rechtspopulisten von Nigel Farages United Kingdom Independence Party, zu einem Votum gegen Einwanderung umgedeutet. Dabei sagt das Papier des Innenministeriums ausdrücklich, dass Zuwanderung aus der EU dem Land keine größeren wirtschaftlichen Probleme verursacht.
Im Gegenteil ist es so: Großbritannien profitiert wie wenige Länder der EU von der Freizügigkeit und ist in mehrfacher Hinsicht sogar davon abhängig. Der nationale Gesundheitsdienst etwa, ein Teil der Landwirtschaft und eine Reihe von Dienstleistungsbranchen würden ohne Mitarbeiter aus der EU, ob langjährig oder nur saisonal, gar nicht funktionieren. Im Übrigen: Großbritannien hatte und hat viel Zuwanderung aus der EU auch wegen seines stark deregulierten Arbeitsmarktes und der geringen bürokratischen Hürden für Selbständige und Unternehmensgründer. Das war jahrzehntelange Tory-Politik im Namen des möglichst freien Marktes (etwas weniger radikal hat Tony Blairs New Labour auch so gehandelt).
Dass diese Politik mittlerweile in der eigenen Bevölkerung nicht mehr ankommt, wurde schon vor dem Referendum deutlich. Aber statt die Arbeitsmarktpolitik zu ändern, wurde aus Angst vor den fremdenfeindlichen Kräften auf der Insel genau deren Anliegen aufgenommen: das Ende oder jedenfalls die Beschränkung der angeblich überhöhten Zuwanderung aus der EU.
Rückfall in die Gastarbeiter-Ära
So plant die Londoner Regierung offenbar die Rückkehr in eine Zeit, in der man von Gastarbeitern sprach. Europäer, die zum Arbeiten kommen, wären nur noch Geduldete auf Zeit, nicht Teil der britischen Gesellschaft. Zudem wird in diskriminierender Weise unterschieden: Hoch qualifizierte Zuwanderer (und die sind natürlich weiterhin willkommen) sollen eine Aufenthaltserlaubnis von drei bis fünf Jahren bekommen, alle anderen, also einfache Arbeiter, maximal zwei Jahre. Die "Zweijahreslöhner" werden zu jenen Einheimischen treten, die heute schon mit Arbeitsverträgen ohne garantierte Arbeitszeit und Einkommen ("zero hour") leben müssen. Der Eintritt nach Großbritannien wird an den Nachweis einer Stelle gebunden. Eine Einkommenshürde wird angestrebt. Dass der Familiennachzug ebenfalls eingeschränkt werden soll, spielt dann wohl keine so große Rolle mehr. Wer ohnehin schon das Ausreisedatum kennt, der holt niemanden nach.
Das soll abschreckend wirken und den Furor der politischen Rechten dämpfen. Und vermutlich auch Eindruck machen auf dem konservativen Parteitag in vier Wochen, wenn die seit der Wahl im Juni politisch angeschlagene Premierministerin Theresa May der eigenen, in Teilen durchaus xenophoben Basis harten Brexit liefern muss. Großbritannien würde aber mit einer solchen Zuwanderungspolitik gegenüber der EU, in der man immerhin mehr als 40 Jahre Mitglied war, unattraktiver. Und eines ist auch sicher: Das britische Zuwanderungssystem würde bürokratischer und damit teurer. Dabei wollte man sich mit dem Brexit doch von dem angeblich so bürokratischen Würgegriff der EU mit ihren vielen Regulierungen frei machen.
Mit diesem Zuwanderungskonzept wäre jede Partnerschaft analog zu Norwegen oder der Schweiz, also mit Zugang zum EU-Binnenmarkt, vom Tisch. Auch die offene Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland, erklärtes Verhandlungsziel der britischen Regierung, wäre damit nicht machbar. Das Papier widerspricht dem Geist eines vereinigten Europas, mit dem man weiter eine spezielle, enge Partnerschaft möchte. London kann sich dann weitere Papiere sparen, in denen diese angestrebt, angeboten, eingefordert wird. "Us and them", wir und die, ist auf dem Kontinent nicht opportun.