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Ursula von der Leyen wurde nur mit knapper Mehrheit zur EU-Kommissionschefin gewählt.
© FREDERICK FLORIN / AFP

Neue EU-Kommissionschefin: Ursula von der Leyens wackliger Start

Ursula von der Leyen wird knapp zur Kommissionschefin gewählt. Das liegt an der Klugheit einer Mehrheit unter Europas Sozialdemokraten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Europas Demokratie geht manchmal verschlungene Wege. Da hat nun eine Mehrheit unter den demokratisch gewählten Europaabgeordneten am Dienstag eine Bewerberin zur ersten Frau an die Spitze der EU-Kommission gewählt, über die viele von ihnen wenige Tage zuvor noch die Nase gerümpft hatten. Ursula von der Leyen wird im November die Nachfolge von Kommissionschef Jean-Claude Juncker antreten – und dies, weil sie ihre Nominierung in erster Linie einem Coup des französischen Präsidenten Emmanuel Macron verdankt. Dem Europaparlament blieb am Ende trotz aller Bedenken nichts anderes übrig, als Macrons Machtspiel mitzuspielen.

Auch die Sozialdemokraten hatten keinen "Plan B"

Dass in Straßburg die Mehrheit für die Noch-Verteidigungsministerin stand, lag vor allem an der politischen Klugheit einer Mehrheit unter den europäischen Sozialdemokraten. Trotz des Grolls über die Irrungen und Wirrungen bei der Auslese des künftigen europäischen Spitzenpersonals haben sich im Europaparlament zahlreiche Sozialdemokraten - anders als die deutschen SPD-Vertreter - dazu durchgerungen, von der Leyen zu unterstützen. Anders wäre es wohl auch kaum gegangen, denn einen „Plan B“ für den Fall eines Scheiterns der deutschen Kandidatin hatten sie nicht. So bleibt der EU nun eine schwere institutionelle Krise erspart.

Dennoch bleibt die Art und Weise, wie von der Leyen von den Staats- und Regierungschefs für die Juncker-Nachfolge nominiert wurde, ein Rückschlag für die Demokratisierung der EU. Natürlich sind auch die Staats- und Regierungschefs, die von der Leyen auf den Schild gehoben hatten, demokratisch legitimiert. Aber der Spitzenkandidaten-Prozess, der die Besetzung der Brüsseler Spitze mit einem personellen Wettbewerb während der Europawahl verbinden sollte, hätte noch einmal ein Stück mehr Bürgernähe gebracht. Jetzt gilt es nach vorn zu schauen: Um nach der nächsten Europawahl ein ähnliches Gezerre zu verhindern, müsste das Spitzenkandidatenprinzip in einem europäischen Rechtsakt verankert werden. Dass die EU-Mitgliedstaaten dabei mitmachen, darf aber bezweifelt werden.

Von der Leyen bringt den deutschen Multilateralismus nach Brüssel mit

Aber nicht nur wegen des Hickhacks um die Spitzenkandidaten hat von der Leyen einen wackligen Start auf der europäischen Bühne hingelegt. Die Mehrheit, die sie in Straßburg erzielte, ist nur denkbar knapp. Um sich möglichst viele Stimmen bei den Sozialdemokraten und den Liberalen zu sichern, sprach sie sich in ihrer Bewerbungsrede unter anderem für eine klare Haltung im Rechtsstaats-Streit mit Polen und Ungarn sowie für die Achtung humanitärer Grundsätze bei der Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer aus. Auch wenn die Wahl geheim war, lässt sich vermuten, dass sie mit ihrer Rede einige nationalkonservative Abgeordnete, die ursprünglich für sie stimmen wollten, verschreckte.

Was unterm Strich bleibt, ist die Tatsache, dass ein halbes Jahrhundert nach der Amtszeit des Juristen Walter Hallstein Deutschland wieder die Spitze der EU-Kommission besetzt. Von der Leyen bringt auf die Brüsseler Bühne die Politik des entschiedenen Multilateralismus mit, der zum Kern deutscher Außenpolitik gehört. Ab Ende des Jahres dürfte auch die neue Kommission in dieser Hinsicht auf eine harte Probe gestellt werden – nicht zuletzt durch die zunehmenden nationalen Egoismen in der EU. Von der Leyen wird es in der Hand haben, ob die EU-Mitglieder wieder zu mehr Teamgeist zurückfinden oder nicht.

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