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Peter Hartz.
© dpa

Hartz-IV-"Erfinder" Peter Hartz: "Unterm Strich war die Reform ein Erfolg"

Vor zehn Jahren, am 1. Januar 2005, trat die Hartz-IV-Reform in Kraft. Ihr geistiger Vater, der damalige VW-Personalvorstand Peter Hartz, verteidigt im Interview die damaligen Vorschläge und umreißt, wie heute der Jugendarbeitslosigkeit zu begegnen wäre.

Herr Hartz, Ihr Name ist in Deutschland zur Chiffre für Armut und Ausgrenzung geworden. Wie lebt es sich damit? 

Der Fehler war, dass die Kommission, die ich geleitet habe, so einen langen Namen hatte: Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt. Den Begriff hat niemand benutzt. Als Vorsitzender musste ich mit meinem Namen herhalten, zumal der so kurz ist. Alle redeten nur noch von der Hartz-Kommission und später den Hartz-Gesetzen. Damit muss ich jetzt leben. 

Warum hat Hartz IV in Deutschland so einen schlechten Ruf? 

Dafür habe ich keine Erklärung, unter dem Strich war die Reform ein Erfolg. 

Ist der Ruf nicht auch deswegen schlecht, weil Hartz IV für einen Teil der Arbeitslosen mit Kürzungen verbunden war? 

Wir wollten diese Kürzungen nicht. Die Kommission hat einstimmig vorgeschlagen, die Leistung beim durchschnittlichen Betrag der Arbeitslosenhilfe festzusetzen. Das wären 511 Euro im Monat gewesen. Die Politik hat sich für das Niveau der Sozialhilfe entschieden, der Regelsatz landete bei 345 Euro. 

Am 22. Februar 2002 hat Gerhard Schröder angerufen und Ihnen die Leitung der Arbeitsmarkt-Kommission übertragen. Haben Sie je bereut, dass Sie Ja gesagt haben? 

Nein. Gerhard Schröder und ich kannten uns aus dem VW-Aufsichtsrat. Er wusste, dass wir im Konzern viele Reformen durchgeführt hatten. Natürlich stand ich zur Verfügung, als er mich gefragt hat. 

Der Bundeskanzler kündigte damals an, dass er Ihre Vorschläge eins zu eins umsetzen wolle. Ist das Versprechen aus Ihrer Sicht eingelöst worden? 

Der Bundeskanzler hat sich daran  gehalten. Am Ende  wurden unsere Vorschläge  aber nicht eins zu eins umgesetzt. In einer parlamentarischen Demokratie, das musste ich lernen, kommen Vorschläge nach den Beratungen nicht so heraus wie sie hineingegangen sind. Insbesondere der Bundesrat hat die Reform verschlechtert. Wir wollten, dass Arbeitslose Hilfe aus einer Hand bekommen. Es war nicht besonders glücklich, dass die Betreuung auf zwei Organisationen verteilt wurde, Arbeitsagenturen und Jobcenter. 

Was ist denn gut gelungen? 

Wir waren sehr mutig bei der Frage, was einem Arbeitslosen zumutbar ist. Das haben wir neu definiert, in geographischer, funktionaler, materieller und sozialer Hinsicht. Es macht einen riesigen Unterschied, in welcher Lebenssituation sich jemand befindet. Einen Familienvater mit drei Kindern und einer kranken Frau kann man schlecht von Hamburg nach München versetzen. Für einen alleinstehenden Single ist das zumutbar. 

Im Ausland schauen manche neidisch auf die  deutsche Arbeitsmarktentwicklung. Was war der Beitrag der Hartz-Reformen? 

Die Reformen haben einen großen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit geleistet. Aber sie konnten nur deshalb so erfolgreich wirken, weil die Konjunktur angesprungen ist.  

Ein Problem ist, dass nach wie vor viele in der Langzeitarbeitslosigkeit feststecken und nicht aus Hartz IV herauskommen. 

Das stimmt. Die Langzeitarbeitslosen sind in den letzten Jahren zu kurz gekommen. Wir haben in den letzten Jahren aber enorme Fortschritte in der Hirnforschung und der Verhaltensforschung gemacht. Die  Erkenntnisse können auch Arbeitslosen nutzen. 

Das müssen Sie erklären. 

Wir wissen heute, wie Menschen sich verändern, wenn sie lange arbeitslos sind. Sie versuchen, sich in ihrer Situation einzurichten, um zu überleben. Das hat nichts damit zu tun, ob sie als faul oder fleißig gelten. Wir müssen Arbeitslosen dabei helfen, dass sie ihren Zustand verändern wollen. 

Wie kann das  gehen? 

Heute geht es  oft darum, Vermittlungshemmnisse zu reparieren, etwa einen fehlenden Schulabschluss nachzuholen. Jeder Arbeitslose hat Talente, die man nur erkennen muss.  Wir haben mit einem Team von Experten eine Talentdiagnostik entwickelt, mit der die Talente des Einzelnen in den Mittelpunkt der Beratungen gestellt werden. 

Aber was bringt das, wenn es die passenden Jobs nicht gibt? 

Dank „Big Data“ ist es inzwischen möglich, unendliche Datenmengen zu verarbeiten. Das birgt auch Chancen beim Aufspüren von Beschäftigungsmöglichkeiten. Wir haben einen Radar entwickelt, mit dem man bis auf Straßenebene herausfinden kann, wo es die Nachfrage nach bestimmten Dienstleistungen gibt. 

Nach Ihrem Rücktritt als Personalvorstand bei VW im Jahr 2005 haben Sie sich ins Saarland zurückgezogen. Was haben Sie seitdem gemacht? 

Ich habe gearbeitet in der von mir gegründeten gemeinnützigen Stiftung zur Regionalentwicklung: SHS Foundation. Mit der Stiftung haben wir in diesem Sommer einen Kongress organisiert, bei dem es um den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa ging. Das ist die dringendste Aufgabe, die wir angehen müssen: 5,4 Millionen junge Menschen in Europa haben keine Arbeit. Das muss zur ersten Priorität der europäischen Regierungschefs werden. 

Die EU-Staaten haben 2013 eine Jugendgarantie abgegeben. Hilft die nicht? 

Die Jugendgarantie ist eine gute Sache. Aber es hapert an der Umsetzung. Wir müssen für jeden jungen Arbeitslosen einen persönlichen Entwicklungsplan aufstellen und mit ihm nach einer Beschäftigung suchen, in seiner Heimat oder vorübergehend in Deutschland. Dafür müssen wir eine Menge Geld mobilisieren.

An welche Summen denken Sie? 

Die bisher geplanten sechs bis neun Milliarden Euro reichen  nicht aus. Für jeden Jugendlichen muss man im Schnitt 40.000 Euro in die Hand nehmen, dann kommt man auf 215 Milliarden Euro. 

Wer soll diese  enorme Summe auftreiben? 

Europa ist wohlhabend. Das Geld kann der private Finanzsektor bereitstellen. Für europäische Anleger könnte das sehr interessant sein: Sie investieren nicht in dubiose Hypothekenderivate, sondern über ein Ausbildungs-Wertpapier in das Kostbarste überhaupt, die Ausbildung unserer jungen Generation. Das kann sich auch für  die Nationalstaaten lohnen. Wenn ein Jugendlicher arbeitslos bleibt, kann das schnell 100.000 Euro kosten. Da ist es auch wirtschaftlicher, in seine Ausbildung zu investieren. 

Der Kampf gegen Arbeitslosigkeit ist zu Ihrem Lebensthema geworden. Wie sind Sie dazu gekommen? 

Ich komme aus einem Arbeiterhaushalt. Schon in meiner Kindheit habe ich erlebt, welchen Wert Arbeit für die Menschen haben kann. Und heute sehe ich es als meine Pflicht als Staatsbürger an, mich einzubringen. Wenn man weiß, wie man ein Problem lösen kann, muss man sich auch engagieren.

Peter Hartz war Vorsitzender der Kommission, welche die umstrittene Arbeitsmarktreform auf den Weg brachte, die unter dem Namen Hartz IV bekannt wurde. Der frühere VW-Personalvorstand ist heute ehrenamtlich für die von seinem Sohn geleitete Stiftung Saarländer helfen Saarländern tätig, die Konzepte zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa entwickelt. Auf Fragen zur VW-Affäre, in deren Zuge er als Personalvorstand zurücktreten musste, mag Hartz nicht antworten.

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