Flüchtlinge: Unter unbesorgten Bürgern
Die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz besucht Flüchtlingshelfer - engagierte Bürgerinnen und Profis, die sich mehr Politik für Flüchtlinge wünschen statt gegen sie.
In manchen Teilen der Welt ist sie noch in Ordnung. Münster-Sarmsheim, nicht weit von Mainz, ist so ein Ort: zwei Kirchengemeinden, zwei Kindergärten, eine solide 80-Prozent-Mehrheit der 3000 Einwohner, die Kirchensteuer zahlt, und eine Menge aktiver Vereine. Kürzlich waren sie wegen eines dieser Vereine in den Schlagzeilen: als der Ort, der beim Flüchtlingeverteilen vergessen wurde. Und meckerte.
Der Gemeinderat ist einstimmig dafür
Georg Leufen-Verkoyen rückt das zurecht: „Vergessen wurden wir nicht“, sagt der Mitgründer der Initiative „Willkommen in Münster-Sarmsheim“. Aber Flüchtlinge aufnehmen, das wollten Leufen-Verkoyen und einige andere tatsächlich, als sie sich im Frühjahr vergangenen Jahres am Küchentisch grüner Parteifreunde zusammensetzten. Man beschloss zunächst, das Thema aus dem Kommunalwahlkampf herauszuhalten. Danach aber wurde aus den Plänen des Küchenkabinetts ein einstimmiger Gemeinderatsbeschluss. Über viel Flüsterpropaganda und Gespräche wurden Wohnungen gefunden, und inzwischen leben zehn Asylbewerber in Münster-Sarmsheim.
Angesichts von aktuell 160 000 Asylanträgen in Deutschland allein in diesem Jahr hat die öffentliche Debatte auf Alarm geschaltet: Wohnraum fehlt, Zeltstädte werden hochgezogen, die Schulen ächzen, die Kommunen rufen nach mehr Geld. Und „besorgte Bürger“ fragen nach den Grenzen der Aufnahmefähigkeit oder stellen sich protestierend vor Asylbewerberheime.
"Unserer Stadt geht es ausgesprochen gut"
Aydan Özoguz, die Beauftragte der Bundesregierung für Migration und Flüchtlinge, hat sich in diesen ersten Augusttagen zu den unbesorgten Bürgern aufgemacht. Und von denen, so scheint’s, gibt es gar nicht wenige. Ob Landrat oder Ministerin, ob Dorfbürgermeister oder Abteilungsleiterin der Caritas, Özoguz bekommt von allen mehr oder weniger zu hören, was Ingelheims Bürgermeister Ralf Claus ihr schon am ersten Tag der kleinen „Sommerreise“ an den Rhein sagt: „Wir sind eine Stadt, der es ausgesprochen gut geht. Da ist Verantwortung eine Selbstverständlichkeit.“
Es sind Tausende im Land, die sie übernehmen. Sie spenden Kleider, geben Deutschunterricht, machen Behördengänge und besorgen Wohnungen, nicht nur im reichsten rheinland-pfälzischen Landkreis Mainz-Bingen, zu dem auch die Stadt Ingelheim und das Dorf Münster-Sarmsheim gehören. „Wenn vier Serben im Hunsrück auftauchen, sind 80 Leute da, die helfen wollen“, sagt Pfarrer Siegfried Pick, der sich seit 30 Jahren in der Flüchtlingsarbeit engagiert.
Wie die Abschiebungen wirkten
Das Engagement habe es auch früher gegeben, jetzt aber sei es „überwältigend.“ Landrat Claus Schick, Sozialdemokrat wie sein Ingelheimer Kollege, hat in diesem Amt auch schon die Flüchtlingswelle durch die Balkankriege in den 90er Jahren erlebt und sieht heute „eine totale Veränderung in den Köpfen“. Das habe auch mit einem neuen Handeln des Staats zu tun, einem anderen Umgang mit Flüchtlingen. In seinem Beritt habe es noch keine einzige Abschiebung gegeben, erzählt Schick. Früher hätten die massiven Abschiebungen schon feindselige Signale gesetzt.
"Ehrenamt kann Hauptamt nicht ersetzen"
Die Welle der Hilfsbereitschaft sehen die Profis und Expertinnen freilich mit gemischten Gefühlen: Oft seien die Engagierten nicht da, wo die Flüchtlinge sind, sagt Pfarrer Pick, nicht immer würde ihnen beim richtigen Helfen geholfen: „Wenn es nicht bald in jedem Landkreis Anlaufstellen für sie gibt, werden die Engagierten weiterziehen.“ Und oft ist gut gemeint auch das Gegenteil von gut gemacht – zum Beispiel, wenn Laien glauben, ihre traumatisierten Schützlinge selbst gesprächstherapieren zu können. Markus Göpfert, Leiter des Fachdiensts Migration der Caritas in Mayen in der Eifel und seine Kolleginnen erleben das. „Ehrenamt kann Hauptamt nicht ersetzen“, sagt Göpfert. Und Profis gebe es noch immer zu wenige für die vielen, die kommen.
Sie haben den Job - bekommen aber kein Konto
Geld und Personal, das sind nicht die einzigen Klagen, die die Staatsministerin hört. Obwohl alle anerkennen, dass im Aufenthaltsgesetz viel in Bewegung gekommen ist und die Schranken vorm Arbeitsmarkt langsam fallen. Dublin, die EU-Asylvorschrift, sagt Göpfert „ist die Pest für die Menschen und ihre Gesundheit“. Flüchtlinge seien ewig zu Tatenlosigkeit in Deutschland verurteilt, bevor sie den Zurück-Beschluss erhielten. „Ein Bankkonto“ nennt Svea Ssamanya als ein Riesenproblem. Ssamanya arbeitet im „Chance“-Projekt der Arbeitsagentur in Köln, die Flüchtlinge mit gutem Erfolg in Arbeit vermittelt. Fast 70 Prozent ihrer Kunden schaffen es. Doch dann fehlt ein Konto fürs Gehalt.
Für Syrer geht es schneller, die übrigen warten desto länger
Und die häufigste Klage: Wie lange es dauert, bis die Flüchtlinge überhaupt ihr Leben in Deutschland richtig beginnen können. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darf sein Personal jetzt aufstocken, doch gegen den Stau von früher hilft das kaum. Während Männer und Frauen aus Syrien inzwischen das schnelle Gleis nehmen können, sitzen Asylbewerber aus Ägypten und Aserbaidschan umso länger im Warteraum. Klienten von ihr warteten seit zwei Jahren allein auf ihr erstes Interview mit der Bamf-Sachbearbeiterin, sagt Ruth Fischer, Leiterin des Caritas-Jugendmigrationsdiensts. Die vielen Hürden, die es immer noch gibt auf dem Weg zu einer Arbeitsstelle, zu einem Deutschkurs, die Angst in den Betrieben, die neue Kollegin doch noch durch eine Abschiebung zu verlieren, die Demütigungen durch Vermieter, die dunkle Haut nicht in ihren Häusern wollen: Aydan Özoguz will nicht zu viel versprechen. Aber sie nimmt einiges mit nach Berlin.
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