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Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Medien.
© dpa

Politik und Presse: "Unter drei" - die Sache mit den Hintergrundgesprächen

Ein Gericht hat das Bundeskanzleramt zur teilweisen Offenlegung von geheimen Gesprächen mit Journalisten verpflichtet. Was bedeutet diese Entscheidung?

Wiederkehrend trifft sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ausgewählten Journalisten zu Hintergrundgesprächen. Nach dem Willen der Beteiligten sollen die Inhalte nicht an die Öffentlichkeit gelangen, sie bleiben also geheim. Das Verwaltungsgericht Berlin hat das Kanzleramt nach einer Klage des Tagesspiegel-Redakteurs Jost Müller-Neuhof jetzt zu einer teilweisen Transparenz in dieser Praxis verpflichtet (AZ: VG 27 L 369.16). Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Hier legt Müller-Neuhof die Hintergründe dar.

Wie laufen diese Gespräche ab?

Es gilt strenge Vertraulichkeit, weshalb sich Beteiligte daran halten. „Unter drei“ heißt das im Journalistenjargon. Eingeladen wird telefonisch. Berichten darf niemand, nur Wissen sammeln. Trotzdem versuchen Journalisten, manche Aussage oder Information für eine Darstellung „unter zwei“ zu gewinnen, sie also zur öffentlichen Verwendung bei Nennung des Quellen-Umfelds freigegeben zu bekommen. Das sind oft „Regierungskreise“ oder „die Parteispitze“. Nur „unter eins“ darf die Information der genauen Quelle zugeschrieben werden („Merkel sagte, dass...). Zugleich nutzt die Regierung die Termine für ein Stimmungsbild. Merkel war früher selbst Pressesprecherin und weiß, wie man die richtigen Fragen stellt.

Um welche Informationen geht es?

In der Anfrage vom Mai vergangenen Jahres an das Kanzleramt ging es um alle Treffen im Jahr 2016. Sowohl die, welche vom Kanzleramt organisiert wurden, als auch jene, in denen die Kanzlerin der Einladung von Journalisten gefolgt ist. Gennannt werden sollten Ort, Zeit, Themen sowie Medien und Teilnehmer; insbesondere bei Treffen, bei denen es um den Brexit, den Umgang mit der AfD sowie die Bewältigung der Flüchtlingskrise ging. Das Kanzleramt sollte auch erklären, welche Informationen Merkel dabei den Anwesenden konkret mitgeteilt hat. Außerdem wurde eine Übersicht erbeten, welche Medienvertreter außerhalb der Hintergrundgespräche einen persönlichen Termin bei Merkel hatten.

Wie reagierte das Kanzleramt?

Das Presse- und Informationsamt verwies als Antwort auf ein Hintergrundgespräch Ende April, bei dem der neue Präsident des Bundesnachrichtendiensts (BND), Bruno Kahl, den Journalisten vorgestellt wurde. Die Kanzlerin habe daran ebenso wenig teilgenommen wie an Hintergrundgesprächen auf Einladung von Journalisten. Auf weiteres Drängen hieß es, dass eine Zusammenstellung der Termine nicht vorliege und sich nicht mit vertretbarem Aufwand erstellen lasse. Nach der Bitte darum, diejenigen Informationen mitzuteilen, die sich mit vertretbarem Aufwand erstellen ließen, erklärte das Bundespresseamt, es handele sich um „vertrauliche Runden“, bei denen die behandelten Themen „vielfältig“ seien. Zu Details gebe es keine Auskunft.

Warum sind die Auskünfte wichtig?

Das Zusammenspiel von Medien und Regierung ist vielfach in die Kritik geraten, dabei geht es um die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung, sichtbar jetzt auch an den Konflikten in den USA. Dem Kanzleramt wurde frühzeitig erklärt, dass die Informationen zu einer Recherche über Verbindungen von Presse und Politik benötigt würden und die Ansichten der Kanzlerin zu den genannten Themen zudem von großem öffentlichen Interesse seien. Staatliche Stellen seien bei der Auskunftserteilung strikt zur Gleichbehandlung verpflichtet. Dem widerspreche es, bestimmte Informationen nur einem exklusiven Kreis von Medien zukommen zu lassen. Der Aufforderung, seine Ablehnung näher zu begründen, kam das Kanzleramt nicht nach. Hilfsweise wurde angeboten, die erbetenen Auskünfte zu den Treffen zunächst nur vertraulich zu verwenden und beim Berliner Verwaltungsgericht der Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.

Wie hat sich das Kanzleramt verteidigt?

Vor Gericht wies das Kanzleramt auf die Interessen der Journalisten hin, die Gespräche zählten zum „Kernbestand des politischen Journalismus“. In die „grundrechtlich geschützte Vertrauenssphäre von Medien und Informanten“ dürfe nicht auf diese Weise eingegriffen werden, der Informationsfluss würde versiegen. Außerdem müsse es Wege geben, auf denen das Kanzleramt seine Ansichten mitteilt, damit die Dinge in den richtigen Kontext gesetzt werden könnten.

Wie hat das Gericht entschieden?

Das Kanzleramt muss Termine, Themen, Teilnehmer und Orte der Treffen offenlegen, ebenso Merkels geplante Treffen mit einzelnen Journalisten darüber hinaus. Inhalte müssen jedoch nicht mitgeteilt werden, auch nicht nur zur vertraulichen Verwendung.

Wie begründen die Richter ihren Beschluss?

Vertreter der Presse haben einen Auskunftsanspruch gegen Behörden. Das Bundesverwaltungsgericht leitet diesen aus Artikel 5 des Grundgesetzes ab, der die Pressefreiheit enthält. Grundsätzlich gilt damit: Journalisten dürfen im Rahmen ihrer „öffentlichen Aufgabe“ alles wissen, was eine Behörde weiß. Auskunftsersuchen dürfen nur abgelehnt werden, wenn es „berechtigte schutzwürdige Interessen gibt“, die ein Verschweigen rechtfertigen. Oft kann das eine Frage der Abwägung sein. Nach Ansicht der Richter war es das im vorliegenden Fall nicht. Um grundrechtlichen „Quellenschutz“ gehe es hier nicht, da staatliche Stellen an Grundrechte gebunden seien, sie aber nicht für sich in Anspruch nehmen könnten. Vorschriften wie die zur Vertraulichkeit aus der Satzung der Bundespressekonferenz (BPK) oder dem Pressekodex könnten keine rechtliche Wirkung entfalten. Sie seien nur „berufsethische Regelwerke“, deren Verletzung lediglich Sanktionen im Rahmen der freiwilligen Selbstkontrolle nach sich zieht.

Warum sollen auch teilnehmende Journalisten und ihre Medien bekannt werden dürfen?

Die Journalisten seien nur in ihrer Sozialsphäre getroffen, heißt es. Und da sie selbst mit ihren Namen und Berichten in die Öffentlichkeit träten, sei ihr Schutz noch einmal herabgesetzt.

Könnte der Beschluss das Ende von Hintergrundgesprächen im Kanzleramt bedeuten?

Das kommt auf das Kanzleramt und die eingeladenen Journalisten an. Wird der Beschluss in dieser Form rechtskräftig, muss die Regierung lediglich die äußeren Umstände darlegen. Vertrauliche Inhalte bleiben weiter vertraulich, also „unter drei“. Der Unterschied wäre nur, dass auf Anfragen dargelegt werden müsste, wer bei welchem Thema dabei war. Interessierte Bürger könnten daraus ablesen, welche Medien bevorzugt informiert werden. Umgekehrt könnten sie auch sehen, welche Medien die Regierung für ihre Zusammenarbeit mit Journalisten besonders bevorzugt.

Bleiben vertrauliche Gespräche von Journalisten mit Politikern trotz des Beschlusses noch möglich?

Die Entscheidung erfasst nur die Auskunft zu veranstalteten, also organisierten Gesprächen. Zu täglichen Telefonaten oder Treffen von Journalisten wurden weder Auskünfte verlangt noch wurden vom Gericht Auskunftspflichten festgestellt. Auch die für die Informationsbeschaffungen regelmäßig unerlässlichen Verabredungen zu „unter eins“, „unter zwei“ oder „unter drei“ bleiben unangetastet. Zutreffend ist allerdings, dass ein Grundkonflikt bleibt, soweit Journalisten bei staatlichen Stellen recherchieren, die ihnen gesetzlich zur Auskunft verpflichtet sind. Dann stellt sich die Frage, ob ein Journalist eine Auskunft „unter drei“ erhalten muss, die auch andere Journalisten „unter drei“ erhalten haben. Dazu gibt es noch keine Gerichtsentscheidungen. Offen ist auch, ob die Bundesregierung ihre gesetzlichen Auskunftspflichten erfüllt hat, indem sie Informationen, die „unter eins“ angefragt werden, nur vertraulich, also „unter drei“ erteilt. Das Kanzleramt meint: ja. Träfe dies aber zu, könnte das Kanzleramt selbst bestimmen, welche behördlichen Informationen an die Öffentlichkeit gelangen sollen und welche nicht. Hier liegt ein Widerspruch, der bislang ungelöst ist.

Wie geht der Streit weiter?

Demnächst wird das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg über den Fall entscheiden. Sollte der erstinstanzliche Beschluss dann aufgehoben werden und die Informationen würden weiter geheim bleiben, bliebe noch die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde. Zudem kann auch noch ein Hauptsacheverfahren geführt werden, das sich aber über Jahre hinziehen würde.

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