Ausschreitungen: Unruhen in Tunesien erreichen Hauptstadt
Die schwersten Unruhen seit Jahrzehnten in Tunesien haben jetzt auch die Hauptstadt Tunis erreicht. Offiziellen Angaben zufolge kamen bislang 23 Zivilisten ums Leben.
Der Konflikt in Tunesien spitzt sich weiter zu: Am Mittwoch ließ Präsident Zine el Abidine Ben Ali die Armee in der Hauptstadt aufmarschieren, zugleich entließ er seinen Innenminister und ordnete die Freilassung aller festgenommenen Demonstranten an. Obwohl Ben Ali bereits am Vortag die Schaffung von 300.000 neuen Arbeitsplätzen angekündigt hatte, kam es im Zentrum von Tunis zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen etwa 200 Demonstranten und der Polizei. Soldaten patrouillierten seit dem Vormittag in der Stadt und schützten strategisch wichtige Punkte.
Nach Augenzeugenberichten warfen aufgebrachte Tunesier in der Nähe der französischen Botschaft mit Steinen, die Polizei feuerte Tränengas ab. Die Armee war zunächst nicht an den Auseinandersetzungen beteiligt. Am Vorabend hatte es bereits in einem Vorort von Tunis Randale gegeben. Mehrere Geschäfte wurden geplündert.
Unterdessen wurden bei Unruhen im Süden des Landes zwei Männer im Alter von 27 und 35 Jahren erschossen. Nach Augenzeugenberichten eröffnete die Polizei das Feuer auf Demonstranten im Ort Douz etwa 500 Kilometer südlich von Tunis. Auch im Küstenort Sfax kam es zu Demonstrationen.
Über die Opferzahlen gehen die Angaben weit auseinander. Die Regierung spricht nun von 21 Toten, Gewerkschafter gehen von etwa 50 Toten seit dem vergangenen Wochenende aus. Die französische Regierung verzichtet weiter darauf, die tunesische Regierung für ihr gewaltsames Vorgehen zu kritisieren. „Wir verurteilen die Gewalt“, sagte Regierungssprecher François Baroin am Mittwoch in Paris ohne einen Adressaten zu nennen. „Weiter können wir nicht gehen, das wäre eine Einmischung in innere Angelegenheiten“, fügte er hinzu. Tunesiens Präsident Ben Ali gilt in Paris als Bollwerk gegen den Islamismus. Die französische Regierung hält sich deswegen traditionell mit Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Tunesien zurück.
Bereits am Dienstag kam es in Gassrine 200 Kilometer südwestlich der Hauptstadt zu gewaltsamen Protesten gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Dabei kamen vier Menschen ums Leben. Die Menschenmenge habe die Polizei mit Brandflaschen und Eisenstangen angegriffen, die Beamten hätten in Notwehr Warnschüsse in die Luft abgefeuert. Auf Seiten der Polizei habe es acht Verletzte gegeben, die auch Brandwunden erlitten hätten.
Rund 100 Zeitungsjournalisten warfen der Regierung unterdessen vor, Nachrichten zu unterdrücken. Die Berichterstatter zeigten Bilder von Toten und riefen bei einer Protestkundgebung “Freiheit für Tunesiens Presse“. Die Proteste sind ungewöhnlich, weil die tunesischen Journalisten normalerweise als regierungsfreundlich gelten. “Wir dürfen nicht länger Lautsprecher der Regierungspropaganda sein, sondern müssen uns unsere Freiheit zurückerobern“, rief ein früherer Chef der Journalistengewerkschaft seinen Kollegen zu. (dpa/rtr)