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In Davos sagte die Kanzlerin, Deutschlands Zukunft sei „untrennbar mit der Frage verbunden“, wie es mit Europa weitergehe.
© Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa

Verhandlungen über große Koalition: Union und SPD heucheln nur Interesse für Europa

Alle bisherigen Merkel-Regierungen verfolgten in Wirtschaftsfragen einen bornierten nationalen Egoismus - und so bleibt es. Allein: Die nächste Krise kommt bestimmt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Schumann

Angela Merkel gilt gemeinhin nicht als begabte Rednerin. Doch als Schauspielerin hat sie durchaus Talent. Das bewies sie vergangene Woche mit ihrem Auftritt bei den Lenkern der globalen Konzernwirtschaft in Davos. Da bedauerte sie die „nationalen Egoismen“ und versicherte, Deutschlands Zukunft sei „untrennbar mit der Frage verbunden“, wie es mit Europa weitergehe. Und sie versprach mit dem „zusätzlichen Schwung“, den Frankreichs Präsident Emmanuel Macron der EU gebracht habe, die Eurozone gegen „zukünftige Krisen“ zu „wappnen“. Ihre ganze Rede lang mimte sie die Rolle der überzeugten Europäerin derart entschlossen, dass es klang, als glaube sie selbst daran.

Allein, in der praktischen Politik dieser Kanzlerin findet sich das nicht wieder. Im Gegenteil, alle bisherigen Merkel-Regierungen verfolgten einen bornierten nationalen Egoismus, wenn es um die wirtschaftliche Stabilisierung Europas geht. Im Kern dieser Haltung steht die hartnäckige Weigerung, die eigene Mitverantwortung für die Krisenanfälligkeit der Eurozone anzuerkennen.

Das findet seinen Ausdruck in der Ignoranz gegenüber dem ausufernden deutschen Leistungsbilanzüberschuss. Jahr für Jahr exportieren die Unternehmen hierzulande mehr Waren und Dienstleistungen ins Ausland, als sie umgekehrt aus dem Ausland nachfragen. Das ist keineswegs ein Zeichen wirtschaftlicher Stärke, sondern ein Ausweis der Schwäche. Weil die Löhne in Deutschland, anders als etwa in Frankreich, seit Jahrzehnten geringer steigen als die Produktivität, mangelt es an Nachfrage und Investitionen im Inland.

Die Deutschen leben fortwährend unter ihren Verhältnissen. Das bekommen vor allem jene unteren 40 Prozent der Lohnbezieher zu spüren, die real heute sogar weniger haben als vor 20 Jahren. Die vermeintliche Stärke der deutschen Volkswirtschaft beruht also auf der Nachfrage aus dem Ausland, die den Überschuss im Jahr 2017 auf fast acht Prozent der Wirtschaftsleistung trieb. Das entsprach rund 230 Milliarden Euro. Des einen Überschuss ist aber zwangsläufig des anderen Defizit. Die somit unvermeidlich ansteigende Verschuldung des Auslands gegenüber Deutschland, „ist eine Zeitbombe für die Europäische Währungsunion“, warnte der Währungsexperte des „Handelsblatts“, Norbert Häring.

Kein eigenes Budget für die Eurozone, keine Bankenunion

Doch die Kanzlerin und ihre Minister tun nichts, um diese zu entschärfen. Auf Druck aus Berlin setzen die Euroländer die Schwelle für einen Verstoß gegen die Stabilitätsregeln beim Überschuss sogar auf sechs Prozent der Wirtschaftsleistung, während Defizitländer schon ab drei Prozent gemaßregelt werden. Aber selbst diese völlig unlogisch zu hoch gesetzte Grenze reißt Deutschland jedes Jahr. Trotzdem erklärt sich die Merkel-Regierung für nicht zuständig. Maßnahmen zum Ausgleich, etwa durch massive Steigerung staatlicher Investitionen oder eine Anhebung des Mindestlohns auf französisches Niveau, stehen nicht mal zur Debatte.

Gleichzeitig verweigert sie aber auch den Aufbau von Institutionen, die zumindest einen indirekten Ausgleich ermöglichen würden. Das bestätigte erneut Merkels geschäftsführender Finanzminister Peter Altmaier beim jüngsten Treffen der Euro-Gruppe. Nicht nur wies er der Forderung von Präsident Macron nach einem eigenen Budget für die Eurozone unter europäisch-parlamentarischer Kontrolle zurück. Gleichzeitig zerschlug er die Hoffnung, dass zumindest die seit sechs Jahren verhandelte Bankenunion jemals verwirklicht wird, mittels derer Euroland über eine gemeinsame Einlagensicherung die Ära der Bankenrettungen hinter sich lassen sollte.

All das entlarvt die Europa-Versprechungen, wie sie Union und SPD nach der Sondierung für ihre nächste Koalition verkündeten, als bloßes Wortgeklingel. Von einem „Investivhaushalt“ für die Eurozone war da die Rede, und „dass die EU für die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten und ihrer Bürger“ stehen müsse. „Gemeinsam sind wir entschlossen, Deutschlands Stärke zu nutzen, um Europa wieder zu einem großartigen Projekt zu machen“, hatte der SPD-Verlierer Martin Schulz da noch großspurig verkündet.

Doch jetzt war Altmaiers Affront gegen Macron und die Euro-Reformer den Sozialdemokraten nicht mal einen Widerspruch wert, und die EU-Politik steht bei ihren Prioritäten für die Koalitionsverhandlungen ganz hinten. So bahnt sich an, dass auch die neue Bundesregierung die historische Chance verstreichen lässt, den laufenden Aufschwung zu nutzen, um die Konstruktionsfehler des Euro zu reformieren. Die nächste Krise aber kommt bestimmt.

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