Berliner Gastronomie erwacht aus Dornröschenschlaf: Und wenn die Gäste nach dem dritten Bier lustig werden...
Gastronomie steht für Nähe, Herzlichkeit, Kontakt, Gemeinsamkeit. Damit wird es schwierig werden. Ob die Gäste sich an die Regeln halten werden? Ein Kommentar.
Das ist wieder mal so ein Tag, an dem alle auf Berlin schauen. Nicht, weil wir hier besser, schlauer, erfahrener wären im Umgang mit Krisen, sondern weil sich bei uns die Probleme der Corona-Pandemie besonders verdichten.
Eins davon, und nicht das unwichtigste, ist die Lage der Gastronomie, deren wirtschaftliche Bedeutung für die Stadt mit jedem Nachwendejahr zugenommen hat – und die an diesem Freitag aus dem Dornröschenschlaf geweckt werden soll.
Am gut organisierten Essen und Trinken in der Öffentlichkeit hängt fast alles, was Berlin attraktiv macht, von der Museumskantine über das Messecatering bis zum elitären Gourmet-Genuss, es ist das Herz einer Stadt, die nur als Dienstleistungs- und Kulturmetropole existieren kann.
Es handelt sich also um einen kleinen Tag der Befreiung vom Coronavirus, wenn man pathetisch sein will. Und Optimisten werden hinzufügen: Die Berliner Wirte und Köche schaffen das.
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Denn sie haben schon in den vergangenen Wochen ein hohes Maß an Kreativität im Umgang mit dem Lockdown gezeigt, haben außer Haus fertiges und zum Fertigkochen vorbereitetes Essen verkauft, haben Lieferketten organisiert, neue Vereinigungen gegründet und dabei auch noch – wie mit der Aktion #heldenhelfen – an andere gedacht, denen es noch schlechter geht. Das alles ist bundesweit registriert, wertgeschätzt und kopiert worden.
Wo bleiben Nähe und herzlicher Kontakt?
Nun also machen fast all diese Wirte und Köche ihre Restaurants wieder auf; Kneipen und Bars aber, die für das Stadtgefühl und die touristische Attraktivität mindestens ebenso wichtig sind, bleiben außen vor. Das ist oft weder nachvollziehbar noch gerecht, aber es scheint, dass die sicher problembewusste und empathische Wirtschaftssenatorin nicht die nötige Durchsetzungsstärke entfaltet hat, um sich gegen die von Amts wegen zur Risikominderung verpflichteten Kollegen durchzusetzen.
Die große Gefahr liegt nun zunächst darin, dass die Umwandlung der Gasträume und Biergärten in aseptische Menschengefäße, so sehr das geboten sein mag, allem widerspricht, wofür Gastronomie steht: Nähe, Herzlichkeit, Kontakt, Gemeinsamkeit. Ob dieser Gegensatz von den Gästen ausgehalten wird, hängt sicher davon ab, wie lange er aufrechterhalten werden muss.
[Jetzt mal konkret aus dem Kiez: Eine Berliner Gastronomin berichtet, wie sie ihre Gaststätte am Freitag wieder öffnet, welche Tipps die Dehoga hat und was gar nicht geht - hier im Tagesspiegel-Bezirksnewsletter. Die Tagesspiegel-Newsletter für alle 12 Bezirke gibt es kostenlos und in voller Länge unter leute.tagesspiegel.de]
Denn die Reservierungsbücher für die ersten Tage sind voll, alle Stammgäste brennen darauf, ihre Lieblingsköche und geschätzten Gastgeber zu unterstützen. Aber wird das anhalten, wenn die Gäste weiter mit Maskenpflicht und Desinfektionsmitteln drangsaliert werden?
Was wird aus den Ritualen?
Was wird aus den körpernahen Ritualen der Sterne-Restaurants, die mit Mundschutz und Abstand nur noch alberner Mummenschanz sind? Der Zapfenstreich um zehn, nebenbei, passt zum vertrauten Berliner Hedonismus so schlecht wie lauwarmes Hefeweizen.
Viele Wirte, speziell jene mit Gasthäusern und Biergärten, fragen sich zudem, was sie eigentlich mit Gästen machen sollen, die nach dem dritten oder vierten Bier lustig werden und die vielen komplizierten Senatsregeln in den Wind schießen. Müssen dann Ordner anrollen, oder lieber gleich die Polizei?
Gastfreundschaft in Zeiten des Virus ist eine komplexe Beziehungskiste, von der keiner weiß, ob und wie sie funktioniert. Ja, und all das steht auch noch unter dem Vorbehalt der drohenden „zweiten Welle“. Doch davon zunächst nichts. Dieser Freitag ist Optimismus-Tag in Berlin.
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