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Ralph Brinkhaus, Vorsitzender der Unionsfraktion, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
© Imago/Metodi Popow

Kritik an Corona-Politik: Und plötzlich rechnet Merkels Helfer ab

Ungewohnter Gegenwind – und ein Vorgeschmack: In den eigenen Reihen wächst der Widerspruch zur Lockdown- und Schuldenpolitik der Kanzlerin.

Es ist etwas anders an diesem Tag, veränderte Tonlagen. Und eine davon ist keine gute Nachricht für Angela Merkel. Die Kanzlerin hatte am Vorabend - erschöpft von siebeneinhalb Stunden Videoschalte mit den Ministerpräsidenten - noch gescherzt, morgen früh um neun sehe man sich ja schon wieder zur Regierungserklärung im Bundestag.

Merkel soll ihre Corona-Politik dem Parlament nun öfter und mehr erklären, vor allem aber die Volksvertreter mehr einbinden.

Aber plötzlich hat sie einen Gegenspieler aus den eigenen Reihen, der sonst als Adjutant im Bundestag Mehrheiten für ihre Linie sucht. Aber Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus hatte ja schon bei der Abwahl von Volker Kauder angekündigt, eine selbstbewusstere Rolle zu spielen, er sieht die CDU/CSU-Abgeordneten nicht als Abnicker.

Beim letzten Mal stellte er den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner in den Senkel, weil der einen Schulterschluss mit der AfD bei der Ablehnung der Corona-Maßnahmen suche. Dieses Mal traktiert Brinkhaus weniger das Rednerpult mit seinem Finger, aber die Botschaften des Ostwestfalen sind präzise - und gehen in Richtung Kanzlerin. Er mausert sich hier zum interessantesten Redner, diesmal wirkt er wie ein Oppositionsführer.

Feilschen um Quadratmeter

Brinkhaus nimmt sich als erstes die Regelung vor, dass im Weihnachtstrubel Geschäfte mit mehr als 800 Quadratmetern Verkaufsfläche nur noch einen Kunde je 20 Quadratmeter reinlassen dürfen, also bei 800 Quadratmetern maximal 40. Das Kanzleramt wollte zunächst sogar 25 Quadratmeter. Das dürfte vor Läden zu Schlangen führen, daher gilt nun auch hier eine Maskenpflicht. Er hätte sich gewünscht, „dass nicht um jeden Quadratmeter gefeilscht worden wäre“, sagt Brinkhaus.

An die Länder gerichtet mäkelt Brinkhaus, er sei nicht überzeugt von der Lockerung der Kontaktbeschränkungen auf zehn Personen von Weihnachten bis Silvester. „Das ist ein doppeltes Risiko.“ Aber es gebe einen Bereich „Frau Bundeskanzlerin“, der sei schlicht nicht in Ordnung: „Dass da dort finanzielle Beschlüsse getroffen werden, ohne den Bundestag zu konsultieren“, sagt Brinkhaus mit Blick auf weitere Hilfen von 17, vielleicht über 20 Milliarden Euro für die Verlängerung des Teil-Lockdowns im Dezember.

„Das Haushalts- und Budgetrecht hat der Bundestag“, sagt Brinkhaus. Der Haushaltsausschuss hatte erst kurz vor der Bund-Länder-Runde eine Vorlage für den Haushalt 2021 bekommen, in der plötzlich von mehr als 160 statt 96 Milliarden neuer Schulden die Rede ist. Er wolle die Hilfen gar nicht in Zweifel stellen - finde diese Lastenaufteilung zwischen Bund und Ländern aber nicht in Ordnung. „Die Länder kriegen über die Hälfte der Steuereinnahmen mit den Kommunen“, sagt der Unionsfraktionschef. Er erwarte, dass die Länder „nicht immer nur Beschlüsse fassen und dann dem Bund die Rechnung präsentieren.“

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Dann kommt Brinkhaus zur Gretchenfrage: Reicht das alles? Ihn beschleiche das Gefühl, dass die Maßnahmen nicht reichten, um die Welle wirklich zu brechen. Merkel setzt notgedrungen mit den bremsenden Ministerpräsidenten auf den Lockdown Light, der aber zum Ärger von Hoteliers, Gastronomen, Kultur- und Freizeitbranche sich nun zum Mindestens-Zwei-Monate-Stillstand auswächst.

Brinkhaus: „Ich hätte mir gerne konsequentere Maßnahmen gewünscht. Das scheibchenweise immer eins draufsetzen, das zermürbt uns alle.“ Und dann kommt noch ein kleiner Hieb Richtung Regierungsbank: „Führen in der Krise heißt eben auch: den Menschen etwas zuzumuten. Dankeschön.“ Im Moment ist vieles an Kommunikation und Maßnahmen eher verwirrend.

Ob das reicht und wie lange noch? Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag
Ob das reicht und wie lange noch? Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag
© imago images/Political-Moments

Merkel lobt den harten Lockdown - im Ausland

Merkel ist viel mit ihrem Mobiltelefon an diesem Tag beschäftigt, ihre Regierungserklärung zuvor wirkte etwas pflichtschuldig. Sie lobt, dass die Kontakte um rund 40 Prozent zurückgegangen seien. Sie spricht von einer Seitwärtsbewegung, sieht aber noch keine Trendwende bei den Infektionszahlen. Erinnert an den Höchstwert von 410 an oder mit Covid-19 gestorbenen Menschen an einem Tag. Es gebe 27 Millionen Menschen im Land, die zu den vulnerablen Gruppen zählten. Die könne man nicht aus dem öffentlichen Leben rausziehen. „Ich halte das auch nicht für ethisch vertretbar“, sagt Merkel.

Und die Kanzlerin macht keinen Hehl daraus, dass sie wie Brinkhaus, einen härteren, kürzeren Lockdown für besser gehalten hätte. In einigen Nachbarländern sehe man deutlich sinkende Fallzahlen: „Und zwar in einem sehr hohen Tempo.“ Ein Beispiel dafür sei etwa Frankreich.

Vieles läuft nicht in Merkels Sinne. Den Appell, sich zu bemühen, dass bis Januar in Europa die Skigebiete geschlossen werden, um nicht wieder neue Ischgls zu produzieren, sieht sie als nur bedingt erfolgsversprechend an, weil Österreich davon nichts wissen will.

Zudem geht an Tag 1 nach den 15-seitigen Beschlüssen das Abweichen direkt wieder los. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) kündigt eine Verordnung an, mit der Hotelübernachtungen für Verwandte über Weihnachten ermöglicht werden sollen. „Wer eine Verwandtenreise macht, muss irgendwo übernachten können“, so Bouffier. Zuvor hatte ein anderer Hesse, Kanzleramtschef Helge Braun (CDU), genau das strikt abgelehnt.

Merkel betont im Bundestag, dass die Verlängerung des Teil-Lockdowns zwar erst einmal nur bis zum 20.Dezember beschlossen worden ist - das hängt mit dem vor einer Woche beschlossenen Dritten Bevölkerungsschutzgesetz zusammen. Die Geltungsdauer von Rechtsverordnungen beträgt da grundsätzlich vier Wochen.

Daher soll es am 15. Dezember eine weitere Verlängerung geben, überall dort wo die Zahlen weiter deutlich über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen liegen - eigentlich auch für private Hotelübernachtungen. Im Sinne der Transparenz betont Merkel: „Angesichts des hohen Infektionsgeschehens gehen wir davon aus, dass die Beschränkungen bis Anfang Januar weiter gelten müssen, jedenfalls für die allermeisten Teile der Bundesrepublik Deutschland.“

Die AfD in neuer Rolle

Übrigens ist die AfD an diesem Tag erstaunlich ruhig. Nach den Pöbeleien von eingeschleusten Gästen vor der Abstimmung über das Bevölkerungsschutzgesetz, versuchen sie es mit Mäßigung.

AfD-Fraktionschefin Alice Weidel spricht von einem „Tiefpunkt für die demokratische Verfasstheit unseres Landes.“ Damit meint sie aber nicht die Vorfälle, sondern das beschlossene Gesetz, das in ihrer Lesart das Parlament zum Zaungast und einem Obrigkeitsstaat den Weg ebne. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich antwortet darauf: „Sie sind nur noch provokativ und bösartig. Anders ist ihre Politik nicht mehr zu erklären.“

Krittisiert vor allem die neuen Quadratmeter-Regeln für den Handel: FDP-Chef Christian Lindner
Krittisiert vor allem die neuen Quadratmeter-Regeln für den Handel: FDP-Chef Christian Lindner
© imago images/Political-Moments

Noch einer pflegt einen anderen Ton an diesem Tag, Christian Lindner. Er versucht die Rolle des staatsmännischen, konstruktiven Oppositionsführers, lobt einiges, bietet einen Dialog an und nimmt entlang von inhaltlichen Punkten Merkels Politik auseinander. Warum gebe es nicht für breite Teile der Bevölkerung FFP-2-Masken, Taxigutscheine für gefährdete Gruppen statt Busfahrten oder exklusive Zeitfenster zum Einkaufen? Stattdessen sei nun die einst von Gerichten verworfene 800-Quadratemeter-Regel in neuer Form zurück.

„Zukünftig stehen die Menschen eng im Bus nebeneinander und danach in der Schlange vor dem Geschäft, um nach dem Einlass 20 Quadratmeter für sich allein zu haben. Ist das sinnvoll?“, fragt Lindner. Wo sei die wissenschaftliche Evidenz dafür, dass das Virus mit zunehmender Verkaufsfläche gefährlicher werde?

„Unsere Befürchtung ist, dass Ihre Maßnahmen nur einen Beitrag zur Verödung der Innenstädte und zur Erhöhung der Marktanteile von Amazon ist, ohne für die Pandemiebekämpfung wirklich wirksam zu sein“, sagt Lindner.

Und dann fragt auch der FDP-Chef, wie lange das noch dauern solle, zumal Kanzleramtschef Braun Einschränkungen - zumindest der Kontakte - bis März für möglich hält. „Gibt es dann auch die entsprechenden Hilfen für die betroffenen Betriebe im Januar, Februar und März?“ Gerade das Thema Geld wird zunehmend zum Spaltpilz der Corona-Politik - da musste Merkel nur Ralph Brinkhaus genau zuhören.

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