Flugrouten und Lärmschutz: Umwelt-Experten kritisieren deutsche Praxis
Flughafen nicht fertig, Flugrouten nicht festgelegt, Nachflugverbot ungeklärt, Bürger sauer. In Zukunft soll das anders werden - fordert der Sachverständigenrat für Umweltfragen.
Über die geplanten Flugrouten am künftigen Hauptstadtflughafen BER wird schon seit Jahren diskutiert, obwohl noch nicht einmal klar ist, wann jemals ein Flugzeug am BER startet oder landet. Kern des Problems ist, dass die vor einiger Zeit festgelegten Routen nicht mit den im Planfeststellungsverfahren vor dem Bau des Flughafens einmal prognostizierten An- und Abflügen übereinstimmen. Das ärgert vor allem die Gemeinden, die ursprünglich dachten, von Fluglärm verschont zu bleiben.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, ein siebenköpfiges Beratungsgremium der Bundesregierung, hat nun genau diese Unsicherheit in einem Sondergutachten kritisiert und Reformen angemahnt. Derzeit ermögliche die Rechtslage ein Vorgehen wie am BER, was für die weitere Akzeptanz von Flughäfen problematisch sei. In ihrem Gutachten fordern sie, dass es nicht nur vor dem Bau eines Flughafens ein Planfeststellungsverfahren mit einer sogenannten Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) geben solle, die auch eine Beteiligung der Öffentlichkeit beinhaltet, sondern auch für die später festgelegten Flugrouten. Bisher erfolgen diese Prüfungen nur für prognostizierte Flugrouten, die sich aber bei der späteren Festlegung, ändern können.
Im Bundesverkehrsministerium lehnt man eine solche gewissermaßen zweite Umweltverträglichkeitsprüfung ab. Allerdings sieht man auch Handlungsbedarf - gerade mit Blick auf die EU. Die hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, weil laut Brüssel das derzeit geltende deutsche Luftrecht nicht vereinbar sei mit der Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-Richtlinie) sowie der Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-Richtlinie). Laut einem ersten Entwurf für eine Gesetzesnovelle, der allerdings noch nicht mit den anderen Ministerien abgestimmt ist, soll der entsprechende Paragraf im Luftverkehrsgesetz konkretisiert werden. Schon jetzt werden laut Ministerium bei Planfeststellungsverfahren zwar Umweltaspekte mit Blick auf An- und Abflüge berücksichtigt, aber die Flugrouten werden nicht explizit erwähnt. Das soll sich nun ändern. Auch soll die Prüfbehörde Gebiete in den Blick nehmen, die außerhalb der von der Deutschen Flugsicherung nur vorläufig und grob geplanten Flugrouten liegen. Dennoch werden die tatsächlichen Flugrouten, wie beim BER, erst kurz vor Inbetriebnahme eines Flughafens festgelegt und können sich dann von den ursprünglich geplanten unterscheiden. Daran soll sich laut Ministerium auch nichts ändern.
Die Sachverständigen kritisieren aber nicht nur die fehlende UVP bei den festgelegten Flugrouten, sondern auch die zahlreichen Ausnahmen. Sie gehen in ihrem Gutachten deutlich weiter. "Abweichungen von Flugrouten müssen aus Sicherheitsgründen möglich sein, aber sie sollten die Ausnahme sein und nicht die Regel, denn meistens haben die faktischen Flugrouten dann mit den eigentlich festgelegten nichts mehr zu tun", sagte Sachverständigenrats-Mitglied Christian Calliess.
Um einen besseren Lärmschutz zu gewährleisten, hat das Gremium aber nicht nur die Flugrouten in den Blick genommen, sondern auch ein strikteres Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr gefordert. Auch das spielt beim BER derzeit eine zentrale Rolle, weil Brandenburg für den neuen Flughafen ein Nachtflugverbot in diesem Zeitraum fordert. Die anderen Gesellschafter Bund und Berlin stehen dem kritisch gegenüber. Sie favorisieren die ursprüngliche Planung eines Nachtflugverbots von 0 bis 5 Uhr. Darüber hinaus verlangen die Experten auch ein Planfeststellungsverfahren mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung, wenn an einem bereits bestehenden Flughafen "kleine" bauliche Maßnahmen wie ein Parkhaus, eine größere Gepäckabfertigung oder ähnliches vorgenommen werden soll. In der Summe führten diese Maßnahmen zu mehr Flugverkehr und damit auch zu mehr Fluglärm. "So kann man der Salamitaktik und der schleichenden Zunahme von Flugbewegungen begegnen", sagte Calliess, der auch klarere Grenzwerte für den Fluglärm verlangt und weniger Wildwuchs bei der Planung von Flughäfen. "Da ist der Bund gefordert."