Türkischer Wahlkampf: Umstrittener Aufmarsch für Erdogan in Sarajevo
Türkischer Wahlkampf in Bosnien: Präsident und AKP-Chef Erdogan hat für den heutigen Tag seine Anhänger aus ganz Westeuropa nach Sarajevo gerufen.
Den Anhängern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in der Fremde steht ein auszehrender Pfingstausflug bevor. Hunderte von Autobussen sollen tausende Exil-Türken aus ganz Westeuropa am Pfingstwochenende in Bosniens bergige Hauptstadt Sarajevo karren. Der Grund für ihre kraftzehrende Ramadan-Reise: In der früheren Osmanen-Stadt steigt ihr Idol am heutigen Sonntagnachmittag in die Wahlkampfbütt.
Mit der Großkundgebung „im Herzen Europas“ werde er diejenigen europäischen Politiker „überraschen“, die seine Wahlkampfauftritte in ihren Staaten verboten hätten, ließ Erdogan unlängst im türkischen Parlament verlauten. Doch obwohl viele muslimische Bosniaken in der Türkei ihre Schutzmacht sehen, ist dessen Wahlkampfgastspiel in Sarajevo keineswegs unumstritten. Die Facebook-Gruppe „Sarajevo-Bürger gegen die Erdogan-Kundgebung“ wirft der größten Bosniaken-Partei SDA und dessen Chef Bakir Izetbegovic gar ein „Vasallen-Verhältnis“ zu Erdogan vor – und kündigt Proteste an: „Die Kundgebung ist ungesetzlich, schürt Spannungen – und ist nicht gut für die Völker und Bürger von Bosnien.“
Die AKP-Anhänger kommen auch aus Deutschland
Türken leben auf dem Jahrhunderte lang von den Osmanen beherrschtem Balkan kaum mehr. Doch obwohl die Auslandsorganisation der AKP die 20 000 Plätze in der für die Olympischen Winterspiele von 1984 errichteten „Zetra-Halle“ nur mit herbeigekarrten Erdogan-Anhängern aus Deutschland und Österreich füllen kann, hofft der AKP-Chef mit seinem Wahlkampfabstecher in Sarajevo gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.
Einerseits sollen die Bilder eines umjubelten Bosnien-Auftritts ihn als einflussreichsten Politiker auf dem Balkan präsentieren – und die stimmentscheidenden Wähler in der Diaspora mobilisieren. Gleichzeitig will Erdogan den EU-Staaten trotzig signalisieren, dass er sich auch von Auftrittsverboten nicht bremsen lässt, den türkischen Einfluss in der Region demonstrieren – und seinem bosnischen Busenfreund Izetbegovic Schützenhilfe leisten.
Brüssel reagiert skeptisch auf den Wahlkampfabstecher
Auch in Bosnien und Herzegowina stehen im Herbst Wahlen an. Nach zwei Amtszeiten kann SDA-Chef Izetbegovic zwar nicht mehr für den Posten des muslimischen Vertreters im dreiköpfigen Staatspräsidium kandidieren. In Sarajevo wird indes spekuliert, dass er seine Frau Sebija zur SDA-Kandidatin küren lassen könnte – nicht zuletzt zur Absicherung seines keineswegs mehr unumstrittenen Partei-Vorsitzes.
In Brüssel stößt der Aufmarsch für den „Sultan“ auf eher skeptische Reaktionen: Dass neben Moskau verstärkt auch Ankara im EU-Wartesaal den Einfluss zu vergrößern sucht, wird von den EU-Partnern misstrauisch beäugt. Kritische Nachfragen zum Erdogan-Auftritt bekam Izetbegovic letzte Woche von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu hören. Selbst sieht der SDA-Chef für deren Argwohn keinen Grund. Er habe Merkel gesagt, dass Erdogan ein „Freund Bosniens“ und an dessen Visite „nichts Fragwürdiges“ sei: „Weder Merkel noch Erdogan sind in Bosnien die Chefs: Beide sind hier willkommen.“
Thomas Roser