Ex-Kanzler bleibt auf Russland-Kurs: Um Gerhard Schröder wird es einsam
Der Ex-Bundeskanzler hält an seinen Posten in russischen Gasunternehmen fest. Seine Mitarbeiter kündigen, nun droht ihm sogar ein Parteiausschlussverfahren.
Kritik scheint an Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) abzuperlen, anders lässt sich nicht erklären, dass er trotz der Missbilligungen von allen Seiten seit Jahren an seinen engen Beziehungen zum Kreml festhält.
Nun dürfte sich zeigen, ob er auch ohne den Rückhalt seiner engsten Vertrauten und ein funktionierendes Büro kann:
Vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder haben gekündigt. Den Anfang soll sein Büroleiter und Redenschreiber Albrecht Funk gemacht haben. Er hatte dem Politiker seit mehr als zwanzig Jahren den Rücken gestärkt. „Ich kann bestätigen, dass die vier Mitarbeiter in dem Büro gebeten haben, wieder in anderen Funktionen zu arbeiten“, erklärte Albrecht Funk auf Anfrage. Die vier sind formal beim Kanzleramt angestellt und werden nun an anderer Stelle beschäftigt. Zu den Gründen will sich Funk nicht äußern.
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Ausschlaggebend für diesen Schritt soll laut Berichten des Nachtrichtenportals „Pioneer“ die Haltung des früheren Bundeskanzlers zum Überfall Russlands auf die Ukraine gewesen sein. Schröder steht weiter zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin und hält seine Ämter in der russischen Gaslobby. Funk soll Schröder zu einer Distanzierung zu Russlands Präsident Wladimir Putin geraten haben, der scheint jedoch auch nach der russischen Invasion auf die Ukraine keinen Handlungsbedarf zu sehen.
Der Altkanzler, der als langjähriger Freund Putins gilt, ist Aufsichtsratschef beim staatlichen russischen Energiekonzern Rosneft. Außerdem hat der Sozialdemokrat Führungspositionen bei den Pipeline-Projekten Nord Stream 1 und Nord Stream 2 – beide Erdgasleitungen durch die Ostsee verbinden Russland und Deutschland.
Bereits kurze Zeit nachdem Gerhard Schröder sein bei der Bundestagswahl 2005 erlangtes Bundestagsmandat zurückgegeben hatte, ließ er sich anwerben, um für die Nord Stream AG tätig zu werden, die er bereits als Regierungschef immer sehr wohlwollend begleitet und am 8. September 2005 mit Putin besiegelt hatte. Kritik an Putins Regime ließ er über all die Jahre vermissen
Wegen seiner Drähte zur Wirtschaft hatte Schröder sich schon während seiner aktiven Zeit als Politiker den Spitznamen „Genosse der Bosse“ eingehandelt. Seine Nähe zu Russland werfen ihm politische Weggefährt*innen bereits seit Jahren vor, doch aufgrund seiner Haltung zum Angriffskrieg Russlands werden nun immer mehr Stimmen laut, die einen Parteiausschluss des Sozialdemokraten fordern.
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Der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil schrieb „mit einem Aggressor, mit einem Kriegstreiber wie Putin“ dürfe man keine Geschäfte machen, zumal Schröder als früherer Kanzler „nie komplett privat“ handele. „Es ist deswegen überfällig, die geschäftlichen Beziehungen zu Putin zu beenden“, forderte Klingbeil.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hält es für zwingend erforderlich, dass Gerhard Schröder seine Gazprom-Mandate zurückgibt. „Er hätte das aus meiner Sicht und der Sicht der allermeisten von uns längst zurückziehen müssen“, sagte Kühnert am Donnerstagabend in der ARD-Talksendung „Maischberger“. Ein Parteiausschluss drohe dem Altkanzler jedoch nicht. Zumindest in der vergangenen Woche war Kühnert noch der Ansicht gewesen, „dass das deutsche Parteienrecht und übrigens auch das Statut der SPD keine Parteiausschlüsse für heftige Meinungsverschiedenheiten, Provokationen oder geschäftliche Interessen vorsehe.“
Diese Äußerung Kühnerts hatte das Ex-SPD-Mitglied Thilo Sarrazin jüngst in einem Leserbrief an die Frankfurter Allgemeine Zeitung kritisiert. „Meine „Provokation“ bestand in der Veröffentlichung eines islamkritischen Sachbuches und Vorschlägen für ein schärferes Asylrecht. Schröders „Provokation“ besteht in der öffentlichen Unterstützung eines kriegslüsternen Diktators.Bemerkenswert ist die unverhüllte Schamlosigkeit, mit der die gegenwärtige SPD-Führung gegenüber einem Sachbuchautor und einem ehemaligen Bundeskanzler, beide 77 Jahre alt, mit zweierlei Maß misst.“
Die SPD Heidelberg hat nun beantragt, Schröder aus der SPD auszuschließen. Und inzwischen fordern sogar andere Parteien Konsequenzen: CDU und FDP in Niedersachsen verlangen von der SPD einen Parteiausschluss von Altkanzler Schröder.
Der Politologe Wolfgang Schroeder hält einen Parteiausschluss des Altkanzlers für nicht realistisch. „Wir haben ja in den vergangenen Jahren gesehen, wie sich Parteien durch solche Verfahren zum Gespött gemacht haben. Allerdings herrscht in der Partei gerade eine hochgradige Unzufriedenheit", sagte er dem Tagesspiegel. Und weiter:
"Schröder müsste jetzt klarstellen, dass er sich geirrt hat, die Sache bereinigen.“ Schröder sei nicht der einzige Politiker gewesen, der fragwürdige Posten in Russland innegehabt habe. „Fast alle sind inzwischen zurückgetreten.“ Sein Verhalten jetzt sei aber in erster Linie eine moralische Frage.
„Es gibt keine Gesetzeslage, auch nicht hinsichtlich des Anspruchs auf sein Büro, das ist alles Gewohnheitsrecht sowie Vorgaben des Rechnungshofes.“ Jedoch liege es in Gerhard Schröders Hand, was über ihn in den Geschichtsbüchern stehen solle. „`Wir haben verstanden`, mit diesem Wahlslogan ist er 1998 angetreten. Dessen sollte er sich jetzt besinnen.“
Zuletzt war der Altkanzler aufgefallen, weil er vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine ukrainische Forderungen nach Waffenlieferungen als „Säbelrasseln“ kritisierte. Als am vergangenen Donnerstag Russland die Ukraine angriff, meldete sich Schröder am Nachmittag erstmals zu Wort.
Der Krieg und das damit verbundene Leid für die Menschen in der Ukraine müsse schnellstmöglich beendet werden, erklärt er auf der Karriereplattform Linkedin.
Trotz allem plädiere er dafür, die Beziehungen zu Russland nicht komplett zu beenden. „Und mit Blick auf die Zukunft gilt, dass jetzt bei notwendigen Sanktionen darauf geachtet wird, die verbliebenen politischen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Verbindungen, die zwischen Europa und Russland bestehen, nicht gänzlich zu kappen.“
Klare Kante gegen Russland zeigt er weiterhin nicht: Es habe viele Fehler gegeben, auf beiden Seiten. Kurz vor dem Angriff auf die Ukraine, hatte auch Schröders Ehefrau So-yeon Schröder-Kim in einem Instagram-Post noch einmal auf die enge Verbundenheit zwischen Schröder und Putin aufmerksam gemacht: „Viele haben sich bei mir gemeldet, ob mein Mann nicht mit Herrn Putin über die Ukraine-Krise reden könnte. Das ginge nur, wenn die Bundesregierung das ernsthaft wollte. Davon ist aber nicht auszugehen.“
Die Chance, nach der eigenen aktiven Politikkarriere als weiser Berater in die Geschichte einzugehen, wie etwa ein Helmut Schmidt, hat Altkanzler Gerhard Schröder längst ganz bewusst ziehen lassen. Doch was jetzt geschieht, dürfte bislang beispiellos in der Geschichte eines Ex-Kanzlers sein.