„Das ist keine akzeptable Option“: Ukrainische Regierung lehnt Korridore nach Belarus und Russland ab
Zivilisten sollen Kiew, Mariupol, Charkiw und Sumy sicher verlassen können, sagt das russische Militär. Allerdings in Richtung Belarus und Russland.
Die geplante Rettung von Zivilisten aus umkämpften ukrainischen Städten kommt erneut nicht voran. Moskau gab Kiew die Schuld. Die ukrainische Seite habe noch keine einzige Bedingung für die Einrichtung humanitärer Korridore erfüllt, teilte das russische Verteidigungsministerium laut Agentur Tass am Montag mit.
Zuvor hatte Russland wegen der „katastrophalen humanitäre Lage“ eine einseitige Waffenruhe für mehrere Städte der Ukraine angekündigt, darunter die nordostukrainische Millionenstadt Charkiw und die Hafenstadt Mariupol im Süden. So sollen sich Zivilisten in Sicherheit bringen können.
[Alle aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg können Sie hier in unserem Newsblog verfolgen.]
Die ukrainische Regierung zeigte sich empört, dass die am Montag angebotenen Fluchtrouten vor allem in die Nachbarländer Russland und Belarus führen sollten. "Das ist keine akzeptable Option", erklärte die stellvertretende ukrainische Regierungschefin Iryna Wereschtschuk am Montag. Die Zivilisten würden "nicht nach Belarus gehen, um dann nach Russland zu fliegen", betonte sie.
Die Regierung in Kiew kritisierte den Plan als unmoralisch. "Das Leid der Menschen wird benutzt, um die gewünschten TV-Bilder zu schaffen", hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme des Sprechers von Präsident Wolodymyr Selenskyj. "Es sind Bürger der Ukraine, sie sollten das Recht haben, in ukrainisches Territorium evakuiert zu werden."
Die russische Armee hatte erklärt, sie werde einen Korridor zwischen der ukrainischen Hauptstadt Kiew und der belarussischen Stadt Gomel öffnen, die nahe der Grenze zur Ukraine liegt. Zwei weitere Korridore sollten demnach von Mariupol entweder in Richtung Russland nach Rostow-am-Don oder nach Westen in die ukrainische Stadt Saporischschja führen.
Einen vierten Korridor solle es zwischen Charkiw und der russischen Stadt Belgorod geben. Schließlich sollten von Sumy zwei Korridore entweder nach Belgorod oder ins ukrainische Poltawa führen.
Mehr zum Krieg in der Ukraine bei Tagesspiegel Plus:
- Estlands Regierungschefin Kaja Kallas: „Ein Diktator versteht nur Stärke“
- Exodus der russischen Mittelschicht: „Ich dachte, jetzt werde ich sofort in die Armee eingezogen“
- Warum Atomwaffen für Putin eine Option sein könnten: „Seine Selbstdestruktivität schließt Suizid ein“
- Hacker gegen Putin: „Das kann sehr schnell sehr gefährlich werden“
- Osteuropa-Historiker Karl Schlögel: „Putin will auch den Westen in die Knie zwingen“
Bereits am Wochenende waren gleich zwei Anläufe für Evakuierungen von Bewohnern der Stadt Mariupol im Südosten gescheitert. Beide Seiten warfen sich vor, gegen die Vereinbarung verstoßen zu haben.
Das russische Verteidigungsministerium behauptete, ukrainische „Nationalisten“ hielten die Bevölkerung unter Androhung von Gewalt zurück und setzten den Beschuss russischer Stellungen trotz der Feuerpause fort.
[Alle aktuellen Nachrichten zum russischen Angriff auf die Ukraine bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen]
Ähnlich äußerte sich ein Vertreter der Separatisten. „Die Menschen kommen im Moment noch nicht raus“, sagte der Sprecher der prorussischen Kräfte im Gebiet Donezk, Eduard Bassurin, im russischen Staatsfernsehen. Nach Tass-Angaben überquerte ein Bus mit Geflüchteten aus Mariupol die russische Grenze.
Der Einsatzleiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Dominik Stillhart, berichtete in der BBC von der Gefahr von Minen. Einige IKRK-Mitarbeiter hätten am Sonntag versucht, Mariupol auf einer vereinbarten Route zu verlassen, hätten aber festgestellt, dass „die ihnen angezeigte Straße vermint war“. (dpa)