Aus Angst vorm Kontrollverlust: Überwiegend Zustimmung für „harten, aber nötigen“ Lockdown
Politik und Verbände halten Verschärfungen für richtig. Der Einzelhandel sieht sie mit Sorgen. Die AfD lehnt sie rundheraus ab.
Der Lockdown-Beschluss von Bund und Ländern ist in ersten Reaktionen von Politik und Verbänden überwiegend auf Zustimmung gestoßen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bezeichnete die Maßnahmen am Sonntag als "hart, aber notwendig".
Er sprach von einem "erneuten Kraftakt", der "im Interesse unser aller Gesundheit wie auch der Wirtschaft" nötig sei. "Je schneller wir mit den Infektionszahlen nach unten kommen, desto schneller geht es für unsere Wirtschaft auch wieder bergauf."
Altmaier verwies darauf, dass die Beschlüsse eine verbesserte Überbrückungshilfen für die betroffenen Unternehmen vorsehen: Der monatliche Maximalbetrag steigt dann von derzeit 200.000 auf 500.000 Euro.
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) sagte die Unterstützung seiner Fraktion für die Maßnahmen zu. "Der Schutz der Bevölkerung muss an erster Stelle stehen", erklärte er. "Wir hatten schon in den vergangenen Wochen darauf hingewiesen, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen." Insofern halte er die neuen Maßnahmen für "logisch und konsequent".
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt betonte: „Die Infektionszahlen zwingen zum Handeln. Deswegen begrüße ich die heutige Entscheidungen der Bund-Länder-Konferenz.“ Jetzt helfe nur ein Lockdown mit einer harten Einschränkung der Kontakte. „Die strengen Einschränkungen jetzt sind die notwendige Voraussetzung dafür, dass in den Weihnachtsferien keine Infektionsspirale entsteht, die zum medizinischen Kontrollverlust führt.“
Grüne fordern digitale Aufrüstung, FDP vermisst Langfrist-Strategie
Die Grünen begrüßten die Beschlüsse. "Es ist gut, dass nicht weiter gezögert worden ist", sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. "Die Alternative wäre gewesen: weiterer Kontrollverlust." Die nun angekündigten Maßnahmen seien "ein harter Einschnitt für viele" - das Land sei aber in einer "dramatischen Lage".
Hofreiter richtete jedoch drei Forderungen an Bundesregierung und Ministerpräsidenten: Die Schulen müssten "digital aufgerüstet" werden, es müsse eine "unkomplizierte Notbetreuung" für Kinder angeboten werden "für alle, die das nötig haben", und der Bund müsse sicherstellen, "dass bei den Wirtschaftshilfen nicht geknapst wird".
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FDP-Chef Christian Linder fordert, die Corona-Politik auf eine breitere politische Grundlage zu stellen. Lindner kritisierte, dass es nach wie vor keine Langfrist-Strategie zum Kampf gegen die Pandemie gebe - auch die neuen Beschlüsse seien nur Ausdruck einer "Stop and Go"-Politik, bei der sich Lockdowns und Lockerungen ständig abwechselten. Lindner nannte drei Punkte, aus denen seiner Ansicht nach eine dauerhafte Strategie bestehen müsse: den gezielten und wirksamen Schutz von Corona-Risikogruppen, die konsequente Umsetzung von Hygienemaßnahmen sowie eine regionale Lockdown-Strategie.
Grundsätzliche Kritik am Vorgehen von Bund und Ländern übte AfD-Frakionschefin Alice Weidel. "Dieser Lockdown-Beschluss ist ein Offenbarungseid für die politisch Verantwortlichen und ein Desaster für die Bürger und die deutsche Wirtschaft", erklärte sie. Weidel sprach von der "untauglichen und kontraproduktiven Holzhammer-Methode 'Lockdown'" und fügte hinzu: "Um ihr Versagen zu maskieren, maßen sie sich an, in übergriffiger Weise bis unter den Weihnachtsbaum tief in das Privatleben der Bürger hineinzuregieren."
Ärzte begrüßen Beschlüsse - Klinikpersonal hat Belastungsgrenze erreicht
Der Ärzteverband Hartmannbund begrüßt den Lockdown. Bei der Belastung des Personals in den Kliniken sei "die rote Linie erreicht", erklärte der Verband am Sonntag. "Allein also vor diesem Hintergrund gibt es zu einem harten und klaren Schritt keine Alternative mehr".
Positiv sei auch, dass nun "aus dem Flickenteppich der vergangenen Monate" offensichtlich wieder ein einheitlicher Maßnahmenkatalog "ohne regionale Sonderwege" geworden sei, hieß es in der Erklärung weiter. Dies sei "im Sinne einer breiten Akzeptanz der vorgesehenen Maßnahmen von enormer Bedeutung".
Wichtig sein nun, dass neben der akuten Versorgung betroffener Patientinnen und Patienten auch "das Corona-Impfmanagement reibungslos funktioniert". Auch hierzu forderte der Hartmannbund "umfassende Klarheit" bis zum Jahreswechsel.
Der Präsident des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, mahnte die Ministerpräsidenten, den gemeinsamen Beschluss jetzt nicht wieder durch "Kakophonie" zu schwächen. Vielmehr müssten sie die Vereinbarungen nun auch "mit einheitlicher Sprache" umsetzen.
Städtetag: Eigentliche Belastungsprobe kommt nach den Festtagen
Auch die Städte und Gemeinden stellen sich hinter die Beschlüsse. Der bevorstehende Lockdown sei "hart, aber unvermeidbar", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, der "Rheinischen Post". Er verwies darauf, dass der Erfolg der Maßnahmen auf die Akzeptanz und Mitwirkung der Menschen angewiesen sei.
"Die eigentliche Bewährungsprobe in der Pandemie kommt an den Weihnachtstagen", sagte Landsberg. "Alle wissen, dass Polizei und Ordnungsamt nicht hinter die Wohnungstür schauen können und wollen."
Der Präsident des Deutschen Städtetags, Burkhard Jung, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, der harte Lockdown sei schmerzhaft, aber die Städte unterstützten ihn. „Unser Land muss die Pandemie wieder in den Griff bekommen, bevor es zu spät ist und das Infektionsgeschehen völlig aus dem Ruder läuft“, mahnte der Leipziger Oberbürgermeister (SPD).
Lehrer-Gewerkschaften sehen Chance, Versäumtes nachzuholen
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Verband Bildung und Erziehung (VBE) begrüßen die weitgehenden Schul- und Kita-Schließungen. Die GEW sprach am Sonntag von einer harten, aber richtigen Entscheidung. Es sei richtig und wichtig, Schulen und Kitas in die Entscheidung einzubeziehen, das öffentliche Leben herunterzufahren, sagte der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann.
Beckmann wies auf anhaltende technische Probleme an den Schulen hin. Flächendeckender Hybridunterricht sei nicht umsetzbar. „Wir stehen vor den gleichen Problemen wie im März: Die Kinder, die mit der Offenhaltung der Schulen besonders unterstützt werden sollten, sind jetzt wieder die, die zuhause kein eigenes Zimmer, geschweige denn ein eigenes digitales Endgerät haben.“
Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe kritisierte die Länder dafür, zu lange am Präsenzunterricht festgehalten zu haben, „ohne ausreichend für den notwendigen Gesundheits- und Infektionsschutz an Schulen und Kitas gesorgt zu haben“. Kultusministerien und Schulämter müssten nun sofort gemeinsam mit Schulleitungen, Lehrkräften und Bildungsgewerkschaften Szenarien für die Zeit nach den Weihnachtsferien vorbereiten, forderte Tepe.
Giffey für möglichst rasche Wiedereröffnung von Schulen und Kitas
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) fordert eine rasche Wiedereröffnung von Schulen und Kitas, sobald die Infektionslage dies zulässt. Schulen und Kitas müssten "mit die ersten Orte" sein, "die so bald wie möglich wieder öffnen", erklärte Giffey am Sonntag in Berlin. Die Schließung dürfe nur "das letzte Mittel" sein. "Bei allen Einschränkungen gerade für die Kinder und Jugendlichen muss das Kindeswohl und der Kinderschutz berücksichtigt werden."
Die Ministerin begrüßte die Beschlüsse von Bund und Ländern für einen harten Lockdown ab Mittwoch ausdrücklich: Diese seien "vernünftig, verantwortungsvoll und notwendig, um dem massiven Infektionsgeschehen in Deutschland einheitlich entgegenzuwirken". Sie fügte hinzu: "Wir tragen dafür Sorge, dass Familien in dieser sehr angespannten und schwierigen Situation nicht alleine sind und wir die Krise solidarisch bewältigen."
Einzelhandel: Hilfen reichen nicht zur Existenzsicherung
Lob kam von Ökonom und Ifo-Präsident Clemens Fuest. Er schreibt auf Twitter: Der harte Lockdown über Weihnachten ist auch wirtschaftlich richtig, weil über Weihnachten viele Betriebe und die Schulen ohnehin zu sind. Er kann als Investition verstanden werden. Ohne ihn droht ab Mitte Januar ein noch härterer und längerer Lockdown."
Vielen Einzelhändlern in Deutschland dagegen droht angesichts des neuen Lockdowns dem Branchenverband HDE zufolge ohne staatliche Hilfen das Aus. Sie sehen mit Sorge auf die nächsten Wochen.
Die Ladenschließungen abseits des Lebensmittelhandels "werden viele Unternehmen ohne entsprechende Staatshilfen nicht überstehen", sagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Die bisher vorgesehenen Gelder reichen bei weitem nicht aus, um eine Pleitewelle in den Innenstädten zu verhindern. (AFP/Reuters)
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