130 Menschen wurden bisher gerettet: Überlebende verlassen nach Angriff zerstörtes Theater in Mariupol
Gut 1000 Menschen hätten im Theater von Mariupol Schutz gesucht, sagen die Behörden. Russland soll es gezielt attackiert haben. Moskau bestreitet.
Videos im Internet zeigen Schutt, Trümmer und dichte Rauchwolken: Die Ukraine wirft den russischen Truppen einen offenbar verheerenden Angriff auf ein Theatergebäude in der belagerten ukrainischen Stadt Mariupol vor. Nach Angaben der Behörden versuchen Rettungskräfte zu den Menschen unter den Trümmern vorzudringen. Ein Luftschutzkeller unter dem Theater habe dem russischen Angriff am Mittwoch standgehalten, sagt Petro Andruschtschenko, ein Berater des Bürgermeisters, in einem Telefonat mit der Nachrichtenagentur Reuters. „Jetzt werden die Trümmer beseitigt. Es gibt Überlebende.“
Nach Aussagen der Parlamentsabgeordneten Olga Stefanyschyna sollen bisher rund 130 Zivilisten gerettet worden sein. „Es ist ein Wunder“, schreibt die Politikerin auf Facebook.
Zuvor haben sich die Ukraine und Russland gegenseitig die Schuld für den Angriff gegeben. „Heftiger russischer Angriff auf das Drama-Theater, wo sich Hunderte unschuldiger Zivilisten versteckt haben“, schrieb der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Mittwochabend auf Twitter. Er nennt den Angriff auf das Theater ein weiteres „Kriegsverbrechen" und postete ein Foto vor und nach dem Angriff. Das zweite Foto, das das zerstörte Theater zeigen soll, ist dabei nicht verifizierbar.
Auch weitere Videos, die in den sozialen Medien verbreitet werden, sollen das zerstörte Theater zeigen. Auch diese Aufnahmen können nicht unabhängig bestätigt werden.
Russland wiederum bestreitet laut der russischen Nachrichtenagentur RIA den Angriff. Das Verteidigungsministerium behauptete, am Mittwoch gar keine Luftangriffe gegen Bodenziele in Mariupol ausgeführt zu haben und machte das ukrainische nationalistische Regiment Asow für die Attacke verantwortlich. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, bezeichnet die Vorwürfe der Ukraine als Lüge. Russlands Streitkräfte bombardierten keine Städte, sagt sie.
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Der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ zufolge, sollen sich mindestens 500 Zivilisten in dem Theater aufgehalten haben. Nach den Angaben von ukrainischen Behörden waren es 1000 Menschen. Der Vorfall sei eine „weitere Tragödie“ in der Stadt, schrieb Bürgermeister Wadim Bojchenko in der Nacht zu Donnerstag auf seinem Telegram-Kanal. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in einer Videobotschaft, die Menschen hätten dort Schutz vor Beschuss gesucht.
Satellitenbilder zeigen, dass auf dem Boden vor und hinter dem Theater das Wort „Kinder“ geschrieben war als Hinweis darauf, dass sich Zivilisten in dem Gebäude aufhalten.
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Neben dem Theater soll ukrainischen Informationen zufolge am Mittwoch noch ein weiterer Ort in Mariupol bombardiert worden sein, an dem sich Zivilisten aufhielten.
Getroffen worden sei ein Schwimmbad, in dem Frauen mit Kindern sowie Schwangere Schutz gesucht hätten, meldete die Agentur Unian unter Berufung auf den Chef der Militärverwaltung des Gebiets Donezk, Pawlo Kyrylenko, am Mittwochabend. Menschen seien verschüttet worden, sagte Kyrylenko demnach. Auch für diesen Angriff machte die ukrainische Seite russische Soldaten verantwortlich.
Mariupol ist seit Wochen von russischen Truppen eingeschlossen und wird von mehreren Seiten aus beschossen. Hunderttausende Menschen sollen unter katastrophalen Bedingungen in der Hafenstadt am Asowschen Meer eingeschlossen sein.
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Es ist nicht das erste Mal, dass Berichte über Angriffe auf Zivilisten in Mariupol international für Entsetzen sorgen. Vor einer Woche schockierten russische Truppen mit dem Beschuss eines Gebäudes einer Geburtsklinik. Später erklärte Moskau, das Haus sei als Lager für ukrainische Kämpfer genutzt worden. Die Ukraine sowie die Vereinten Nationen hingegen betonten, es seien dort zum Zeitpunkt der Attacke noch Patienten behandelt worden.
Ukrainischen Angaben zufolge starben dabei mehrere Zivilisten - darunter auch eine schwangere Frau und ihr ungeborenes Kind. Zuvor war ein Bild um die Welt gegangen, das zeigt, wie die verletzte Frau von Helfern auf einer Trage durch die Trümmer getragen wurde. (dpa)