Flüchtlinge in Griechenland: Überfüllte Lager, fehlende Ärzte
Im Sommer hat die griechische Regierung die Verwaltung der Flüchtlingslager übernommen. Seitdem haben sich die Zustände massiv verschlechtert, kritisieren die Hilfsorganisationen.
Das Zentrum für Krankheitskontrolle im Norden Athens stellt in diesen Wochen in großem Stil Personal ein. Befristete Stellen für 850 Ärzte und Krankenschwestern hat die staatliche Behörde ausgeschrieben – ein außergewöhnlicher Vorgang im Griechenland der Schuldenkrise und der Sparpolitik. Der Einsatzort gilt als nicht sonderlich attraktiv. Gesucht wird medizinisches Personal für die Flüchtlingslager auf den Inseln in der Ostägäis. Doch seit die griechische Regierung im Vormonat das Management der Flüchtlingskrise von der Vielzahl der internationalen und lokalen Hilfsorganisationen übernommen hat, tut sich für die Griechen zumindest eine Chance auf. Es gibt neue Jobs, mit EU- Millionen finanziert wie schon zuvor die Hilfsorganisationen.
Um die mehr als 13000 Migranten und Flüchtlinge, die auf den Inseln festsitzen, ist es dagegen jetzt noch schlechter bestellt, folgt man der Kritik der NGOs, aber auch des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen. Anfang des Monats forderte das UNHCR die griechische Regierung zu einem Kraftakt auf, um die Bedingungen in den Aufnahmelagern von Lesbos bis Kos zu verbessern. Die Lager sind völlig überfüllt. Seitdem der Stab von Hilfsorganisationen zur griechischen Regierung wechselte, tun sich überall Lücken auf. Nach den ersten Herbstregenfällen diese Woche standen die Zelte in Moria auf Lesbos wieder unter Wasser. Wie zu Beginn der Flüchtlingskrise 2015 sind die Zustände chaotisch.
Grundversorgung nicht gewährleistet
Entscheidende Leistungen, die Hilfsorganisationen bis zum Sommer erbracht hatten, konnten bislang nicht adäquat ersetzt werden, sagt Stathis Poularakis von der griechischen Abteilung der Ärzte der Welt (MDM). Dazu gehören die medizinische Grundversorgung in den Lagern, die psychologische Betreuung von Flüchtlingen und die Einstufung ihrer Gefährdung. In Moria zum Beispiel arbeiteten anstelle der zehn Ärzte von MDM lediglich zwei Ärzte des griechischen Roten Kreuzes und ein Arzt der Armee für mehr als 2500 Insassen. Das galt für den Zeitpunkt der Übergabe. Mittlerweile leben 4807 registrierte Flüchtlinge in dem Lager.
Die Aufstockung des medizinischen Personals auf den Inseln ist jetzt erst in Gang gekommen. Dabei war schon im Frühjahr entschieden worden, dass die griechische Regierung das Krisenmanagement übernimmt. Ähnliches gilt für die Organisation des Schulunterrichts von Flüchtlingskindern. Die in der UN-Kinderrechtskonvention verbrieften Grundrechte seien nicht garantiert, wenn der Unterricht für Kinder nicht regelmäßig gewährleistet sei, merkt Gianmaria Pinto kritisch an. Der Chef der Griechenland Mission des Norwegian Refugee Council (NRC) beklagt wie auch die Vertreter anderer renommierter Hilfsorganisationen die fehlende Koordination bei der Übergabe der Flüchtlingsbetreuung an die griechische Regierung. Eine entsprechende Bitte der NGOs, im vergangenen Juni in einem Brief formuliert, ließ der Migrationsminister unbeantwortet.
Langes Warten
Weil Brüssel einen Großteil seiner Krisenhilfe von bisher mehr als einer Milliarde Euro nunmehr direkt an den griechischen Staat zahlt und nicht länger an Hilfsorganisationen, musste der NRC auf Chios unter anderem das „Agora“, eine viel genutzte Lern- und Begegnungsstätte, schließen. Für die norwegische NGO bedeutet das Aus der Projekte auf Chios eine Halbierung ihres Jahresbudgets in Griechenland von zuletzt elf Millionen Euro.
Das Oberste Gericht in Athen hat vergangene Woche in einem Grundsatzurteil die Massenabschiebung abgelehnter Asylbewerber zurück in die Türkei ermöglicht. Das ist im Abkommen zwischen der EU und Ankara so vorgesehen. Knapp 1700 Asylsuchende auf den Inseln sind bisher in letzter Instanz abgelehnt worden. 1000 weitere hatten auf eine Berufung verzichtet. Politisch ist eine Rückführung gleichwohl delikat für die offiziell besonders flüchtlingsfreundliche linke Regierung von Alexis Tsipras. Zudem landen auch wieder deutlich mehr neue Flüchtlinge auf den Inseln. 3695 Menschen waren es im August laut dem UNHCR, rund 2000 seit Beginn dieses Monats. Das bedeutet auch tausende neuer Asylverfahren und für die Betroffenen ein monate-, wenn nicht jahrelanges Warten in den Aufnahmelagern.
„Wir können das Migrations- und Flüchtlingsproblem nicht mit dieser schwerfälligen europäischen und staatlichen Bürokratie in Angriff nehmen. Wir müssen schnell und effizient sein“, sagt Lora Pappa, Direktorin der griechischen Hilfsorganisation Metadrasi. „Wenn es keine längere Übergangszeit für die Übergabe an den griechischen Staat gibt, dann ist das Risiko groß, dass diese ganze Sache explodiert.“ Markus Bernath