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Politik: Überführt – nicht überwältigt

DIE BEWEISE GEGEN IRAK

Von Malte Lehming

Bei den Olympischen Spielen sind die Einschaltquoten hoch, oder bei der Mondlandung. Aber eine Sitzung des UNSicherheitsrates? Wer sieht denn so etwas? Es waren viele am Mittwoch, sehr viele. Die Fernsehgeschichte der Vereinten Nationen verzeichnete einen Rekord. In fast allen Ländern dieser Welt saßen die Menschen gebannt vor den Bildschirmen und verfolgten den Auftritt des US-Außenministers. Ihr Interesse war gezielt geweckt worden. Bereits in den Tagen zuvor war die achzigminütige Präsentation Powells mit allen Attributen einer Sensation belegt worden – endlich Beweise, extrem spannend, hoch geheimes Material, exklusive Satellitenaufnahmen, abgehörte Telefonate. Die Weltgeschichte als Spionagekrimi, mit fiesen Schurken und gewieften Detektiven, der Sicherheitsrat als oberster Gerichtshof, wo ein kluger Staatsanwalt die Geschworenen von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen versucht. Kein Zweifel: Die Inszenierung war gelungen.

Auch Powells Worte freilich verfehlten ihre Wirkung nicht. Er redete eindringlich, reihte Faktum an Faktum, weder agitierte noch polemisierte er. Diesen Mann umgibt eine Aura der Aufrichtigkeit. Daher ist er ein Glücksfall für die US-Regierung und ihre Irak-Politik. Bei Powell fanden die skeptischen Europäer immer ein offenes Ohr, er schien ihr einziger Anwalt in Bushs sonst so kühl-kraftstrotzendem Washington zu sein. Das verleiht seinen Überzeugungen ein anderes Gewicht, als es der Präsident, sein Vize oder Verteidigungsminister im Ausland haben. Wenn Wölfe mit den Zähnen fletschen, ist das nur normal. Wenn der Hirtenhund Alarm schlägt, droht tatsächlich Gefahr.

Der Hirtenhund schlug Alarm. Wer jetzt noch die Augen verschließt vor den Tricks, mit denen Saddam Hussein operiert, den wird nichts überzeugen. Bis zum Beweis des Gegenteils gilt: Der Irak verfügt über biologische und chemische Waffen. Außerdem verstößt das Regime in Bagdad fortgesetzt gegen die UN-Resolution 1441. Darin wurde ihm eine „letzte Gelegenheit“ zur Offenlegung seiner Waffenbestände gegeben, jede Verletzung der einstimmig vom Sicherheitsrat verabschiedeten Resolution werde „ernste Konsequenzen“ haben. Nicht Amerika hat diese Forderung erhoben, sondern die gesamte Welt in Gestalt ihres höchsten Gremiums. Nicht Amerika allein kommt nun zu dem Ergebnis, dass der Irak nicht kooperiert, sondern auch der friedliebende Schwede, UN-Chefinspekteur Hans Blix. Was wollen die UN dagegen tun? Wie wollen sie verhindern, in den Augen eines der größten Übeltäter der Welt handlungsunfähig zu sein?

Powells Auftritt hat dieser Frage eine neue Dringlichkeit gegeben. Auch die Bundesregierung muss sich dem Problem stellen. Ein bloßes „weiter so, gebt den Inspekteuren mehr Zeit“ ist zu dürftig.

Die Entscheidung über Krieg und Frieden allerdings ist seit dieser historischen Sitzung des UN-Sicherheitsrates nicht leichter geworden. Denn das Unbehagen, das die Menschen weltweit empfinden, auch in Amerika, wenn sie an einen Waffengang denken, ist nur geringfügig von Beweisen abhängig, die die Verderbtheit des Regimes in Bagdad belegen. Dass Saddam brutal und gefährlich ist, bestreitet kaum jemand. Stattdessen entzündet sich der Streit über die Frage, ob die Kosten eines Krieges – einschließlich der zivilen Toten und der Bürde eines jahrelangen Besatzungsregimes – in einem angemessenen Verhältnis zu dessen Nutzen stehen.

Diese Frage konnte auch Powell nicht beantworten. Er hat die Mitglieder des Sicherheitsrates unter erhöhten Handlungsdruck gesetzt. Von der Notwendigkeit und Unvermeidbarkeit eines Krieges hat er sie nicht überzeugt. Noch nicht.

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