Alleinerziehend in Deutschland: Überdurchschnittlich armutsgefährdet
Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt nur mit Mutter oder Vater zusammen. Neun von zehn dieser Kinder leben mit der Mutter.
Die Zahl der Alleinerziehenden in Deutschland hat in den vergangenen 20 Jahren deutlich zugenommen – im Gegensatz zu den traditionellen Familien, die immer weniger werden. Jedes fünfte Kind, 2,4 Millionen insgesamt, lebt nur mit der Mutter oder dem Vater zusammen. Das sind rund 300.000 Kinder mehr als vor zwanzig Jahren, wie eine aktuelle Studie des Statistischen Bundesamtes zeigt. Für viele ist die Lebenssituation mit Problemen verbunden: von Schulden bis hin zu Mangelernährung.
Wo leben die Single-Eltern?
Je kleiner eine Stadt ist, desto weniger Alleinerziehende gibt es laut Statistik. Vor allem in den Großstädten sowie in Ostdeutschland leben viele alleinstehende Eltern. In den neuen Bundesländern, Berlin eingerechnet, stieg ihr Anteil in den vergangenen 20 Jahren von 18 auf 25 Prozent. Bundesweiter Spitzenreiter ist Berlin, wo die anteilig die meisten Alleinerziehenden leben. In Bayern ist der Anteil der Single-Eltern mit rund zwölf Prozent am niedrigsten.
Wer sind die Alleinerziehenden?
Es sind vor allem Frauen, die sich ohne Partner um eines oder mehrere Kinder kümmern. „Neun von zehn Alleinerziehenden sind weiblich“, sagt Georg Thiel, Präsident des Statistischen Bundesamtes. Daran hat sich in den vergangenen 20 Jahren kaum etwas geändert – trotz einer Gesetzesreform Anfang 2013, die es ledigen Vätern erleichtern sollte, einen Antrag auf Sorgerecht zu stellen. Der gewünschte Effekt der Neuregelung – mehr Männer als Alleinerzieher – stellte sich jedoch nicht ein. Seit 1997 liegt der Väteranteil unter den Alleinerziehenden stabil zwischen zehn und 13 Prozent. Warum es so wenige alleinerziehende Männer gibt, darauf liefern die Wiesbadener Statistiker keine Antwort. Sie verweisen jedoch darauf, dass „unterschiedliche Rollenvorstellungen von Bedeutung sein“ könnten.
Alleinstehende Väter kümmern sich in der Regel um größere Kinder, während die Kleinen meistens von der Mutter betreut werden. Nur 14 Prozent der Single-Väter leben mit einem Vorschulkind zusammen, während jede Dritte alleinerziehende Mutter ein Kleinkind versorgt. Auch betreuen Single-Mütter häufig mehrere Kinder. Das hat Folgen für ihre finanzielle Situation. Mit rund 42 Prozent arbeiten sie nur halb so häufig in Vollzeit wie alleinerziehende Väter. „Die Balance zwischen Kindererziehung und Erwerbstätigkeit stellt sich bei alleinerziehenden Müttern und Vätern mit kleinen Kindern sehr unterschiedlich dar“, heißt es in der Studie des Bundesamtes. Über die Hälfte der alleinerziehenden und nicht erwerbstätigen Frauen wünschten sich einen Job.
Wie ist die finanzielle Situation?
„Alleinerziehende und ihre Kinder sind überdurchschnittlich häufig armutsgefährdet“, sagt Bundesamtspräsident Thiel. „Finanziell stehen sie nach wie vor oftmals schlechter da als Menschen, die in anderen Familienformen leben.“ So betrug das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen in Haushalten von Alleinerziehenden im Jahr 2016 durchschnittlich 976 Euro pro Monat – staatliche Transferleistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder Kindergeld eingerechnet. Haushalten von zwei Erwachsenen mit mindestens einem Kind standen im selben Zeitraum durchschnittlich 1175 Euro zur Verfügung. Somit ist das Pro-Kopf-Einkommen in Haushalten mit nur einem Elternteil ein Fünftel niedriger als in Familien mit zwei Elternteilen.
Vor allem unerwartete Ausgaben stellen Alleinerziehende überdurchschnittlich häufig vor große Probleme. 63 Prozent der Single-Eltern können überraschend notwendige Ausgaben von knapp 1000 Euro nicht aus der eigenen Kasse bestreiten. Eine Urlaubsreise können sich viele ebenfalls nicht leisten. 39 Prozent der Alleinerziehenden mussten 2017 „ihren Urlaub unfreiwillig zu Hause verbringen“, heißt es in der Untersuchung. Selbst für ausreichend Essen zu sorgen, ist für einige ein Problem: Jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit sei in vielen Haushalten von Alleinerziehenden „keine Selbstverständlichkeit“, heißt es in der Studie. Bei 14 Prozent der Alleinerziehenden, doppelt so vielen wie im Bevölkerungsdurchschnitt, reiche das Geld nicht für regelmäßige Mahlzeiten. Überschuldung ist ebenfalls ein großes Problem für Alleinerziehende. Sie stellen zwar nur vier Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland, aber 16 Prozent der Menschen, die zur Schuldnerberatung gehen.
Das Armutsrisiko für Alleinerziehende bleibt zwar überdurchschnittlich hoch, es hat sich aber in den vergangenen Jahren etwas verringert. Lag die „Armutsgefährdungsquote“ 2011 bei rund 37 Prozent, waren es 2016 rund vier Prozentpunkte weniger. Der Grund sei die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, sagt Klaus Pötzsch, Pressesprecher des Statistischen Bundesamtes. Zum anderen zeigten „familienpolitische Maßnahmen“, wie der Ausbau von Kinderbetreuung und der Trend zum „Home-Office“, Wirkung, betont der Chef-Statistiker Thiel.
Welche Entlastung gibt es vom Staat?
Alleinerziehenden, die einen Job haben und Geld verdienen, gesteht der Fiskus zumindest einen Vorteil zu: Sie können sich in die Steuerklasse II einstufen lassen und bekommen automatisch den Freibetrag für Alleinerziehende, auch Entlastungsbetrag genannt, in Höhe von jährlich 1908 Euro bei einem Kind. Er erhöht sich für jedes weitere Kind um 240 Euro. Alleinerziehende bekommen jedoch keinen Splittingvorteil bei der Einkommensteuer, den Ehe- oder Lebenspartner unter Umständen haben. Ansonsten haben sie Anspruch auf Kindergeld oder Kinderfreibetrag wie andere Eltern auch. Kommt ein Elternteil seiner Unterhaltspflicht nicht nach, dann gibt es den Unterhaltsvorschuss vom Staat. Für Kinder unter sechs Jahren werden 154 Euro im Monat gezahlt, zwischen sechs und zwölf Jahren sind es 205 Euro je Kind, für ältere Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre gibt es jeweils 273 Euro. Die Summen orientieren sich am gesetzlichen Mindestunterhalt, von dem das Kindergeld abgezogen wird. Wer Arbeitslosengeld II bezieht und wessen Kinder älter als zwölf Jahre sind, bekommt den Unterhaltszuschuss allerdings nicht automatisch auf Antrag, sondern muss die Sache mit dem Jobcenter klären. Alleinerziehende, die zwar ihren Bedarf aus eigenem Einkommen decken können, aber nicht den ihrer Kinder, haben Anspruch auf den Kinderzuschlag von maximal 170 Euro im Monat.
Was muss sich ändern?
Maria Loheide von der Diakonie fordert mehr Entlastung für alleinerziehende Eltern. Es müsse mehr Angebote zur Kinderbetreuung und Unterstützung für Alleinerziehende geben – dazu gehörten die Ausweitung von Kita-Öffnungszeiten sowie Mittagessen und Hausaufgabenhilfe in der Schule. Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) fordert arbeitsrechtliche Veränderungen. Das Rückkehrrecht in Vollzeit, wie es in Unternehmen mit mehr als 45 Angestellten gilt, sei ein guter Ansatz, um alleinerziehende Frauen aus der „Teilzeitfalle“ zu holen. Doch es müsse vor allem die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern geschlossen werden, heißt es in einer Erklärung des VAMV. „Solange der Gender-Pay-Gap besteht, bleibt die Benachteiligung von Frauen.“