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Eine Frau sitzt in der Ditib-Moschee im hessischen Friedberg vor einer türkischen und einer deutschen Fahne.
© Boris Roessler/dpa

Islam in Deutschland: Über den Umgang mit Ditib und anderen Islamverbänden

Volker Beck, religionspolitischer Sprecher der Grünen, antwortet auf Ehrhart Körting. Er plädiert für klare Ansagen, aber gegen Populismus. Ein Gastbeitrag.

Die deutsche Islampolitik krankt an ihrer scheinbaren Alternativlosigkeit: Für die Verbände oder gegen die Muslime – ein Drittes gibt es nicht. Entweder man setzt auf die Verbände, sieht über ihre Probleme hinweg und agiert letztendlich nach ihrem Drehbuch. Oder man bricht alle Gespräche und Kooperationen ab, fordert in demütigender Weise bei jeder sich bietenden Gelegenheit rituelle Gewaltverurteilungspressemitteilungen von ihnen, demütigt Muslime mit Forderungen nach Nacktduschgebot, Kopftuchverboten und ähnlichem Firlefanz. Das scheinen die einzigen Handlungsmöglichkeiten zu sein. Stimmt aber nicht.

Ehrhart Körting sagt zu recht, dass die muslimischen Verbände im Kampf gegen den islamistischen Terror eine wichtige Rolle haben können und auch haben sollen. Abbruch von Gesprächen, Aufkündigung jeder Kooperation und ähnliche Kindereien mögen dem Redner Beifall im Bierzelt bringen. Zur Problemlösung trägt das alles in der Tat nicht bei.

Aber es ist gut, wenn die Politik jetzt mal bei den muslimischen Verbänden genauer hinschaut. Zulange konnten die Verbände, allen voran die Ditib, darauf setzen, dass sie mangels Interesse bei der Politik und aus purem Pragmatismus irgendwann als Religionsgemeinschaft anerkannt werden und dann der Weg frei ist zur Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts – weitgehend der staatlichen Rechtsaufsicht entzogen  und mit den Rechten der Kirchen ausgestattet - obwohl sie die Voraussetzungen nach deutschem Religionsverfassungsrecht gar nicht erfüllen.

Die deutsche Öffentlichkeit nimmt jetzt langsam zur Kenntnis, was die Ditib nie verschwiegen hat, sondern sogar in ihrem Namen erkennen lässt: Die "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V." ( Diyanet İşleri Türk İslam Birliği) ist ein türkischer Verein, der  der Diyanet in Ankara untersteht. Der Vorsitzende der Ditib ist in Personalunion auch türkischer Botschaftsrat für religiöse und soziale Angelegenheiten. Die Ditib bestritt diese Woche zwar ihre Abhängigkeit von der Türkei, musste dabei jedoch zugleich einräumen, dass ihre Imame aber von dort entsandt werden. Alles kein Geheimnis. Aber: Muslimisch sein ist ein religiöses Bekenntnis, türkisch sein oder sprechen ist es nicht. Und doch meint Körting, man dürfe nicht aussprechen, was doch offensichtlich ist: "Wer mit der Ditib redet, redet auch mit Ankara."

Die deutsche Religionspolitik war lange Zeit zu verdruckst

Fakt ist: Die vier großen muslimischen Verbände (Ditib, Islamrat, Zentralrat der Muslime, V.I.K.Z.) sind in ihrer Zusammensetzung national, politisch oder sprachlich, nicht aber bekenntnisförmig geprägt. Sie erfüllen deshalb nicht die vom Grundgesetz geforderten Voraussetzungen an eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Religionsverfassungsrechts hinsichtlich Fragen der Bekenntnisförmigkeit, der Klarheit über Mitgliedschaft und der Gewährleistung "allseitiger Religionspflege". Sie sind religiöse Vereine.

Lange beschwieg man wegen der verbreiteten Islamfeindlichkeit und den religionsfeindlichen Hasskundgebungen von Pro, AfD oder Pegida die Kritik an der Realität dieser Verbände: Kritik galt als eine Entsolidarisierung mit den vom Rechtspopulismus Bedrängten, „was uns in Zeiten von Pegida und einer erstarkenden AfD gerade noch gefehlt hat“, wie Daniel Bax in der Taz schreibt. "Vorbehalte gegenüber den Verbänden", wie es die integrationspolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion in NRW, Serap Güler, formuliert, wurden wegen der parteipolitischen Konkurrenz auf der Suche nach muslimischen Stimmen diskreditiert. Diese Verdruckstheit deutscher Religionspolitik wusste Ditib zu nutzen, tat jedes Hinterfragen ihrer Anerkennung als Religionsgemeinschaft als „Hetzkampagne“ (Murat Kaymann, Koordinator der DITIB Landesverbände ) ab. Und kämpfte dabei von Bundesland zu Bundesland rechtlich Schritt für Schritt darum der Anerkennung als Körperschaften des öffentlichen Rechtes näher zu kommen. Von Vertrag zu Vertrag, nicht ganz ohne Erfolg.

Vor lauter Pragmatismus hat man dabei die schwächer organisierten liberalen Kräfte vom Islamischen Forum und liberal-islamischen Bund frustriert. Ahmad Mansour fordert für sie, dass man auch die kritischen Muslime seitens der Politik wahrnimmt: „Traut euch, uns zuzuhören, mit uns zu diskutieren!“ Richtig ist nämlich auch, die Mehrheit der Muslime in Deutschland wird nicht von den Verbänden vertreten. Sie ist nicht organisiert. Auch sie wird man brauchen, will man wie Ehrhart Körting und ich den islamistischen Terror nicht nur repressiv, sondern auch geistig bekämpfen.

Es ist gut, dass die deutsche Politik nach Umgang der Ditib mit der Armenienresolution und Erdogans Repressionsprogramm nach dem Putschversuch aufgewacht ist und ihre Naivität ihr gegenüber ein Stück weit abgelegt hat. Das bietet die Chance für einen Neuanfang in der Politik gegenüber dem organisierten Islam in unserem Land.

Fünf Punkte für die Religionspolitik

Jetzt ist Standfestigkeit, Sachlichkeit und Rationalität gefragt. Die Muslima und Muslime müssen wissen, dass sie in Deutschland auf Respekt, Religionsfreiheit und gleiche Rechte bauen können.  Das heißt aber auch Augenhöhe, Auseinandersetzung und keine Extrawurst, sondern Erfüllung der gleichen Bedingungen  wie für alle, will man von ihrer Seite in ein Kooperationsverhältnis mit dem Staat eintreten.

Fünf Punkte sind meines Erachtens in der Religionspolitik jetzt zu beachten:

1) Die Religionsfreiheit der Muslime und ihrer Vereinigungen, Vereine und Verbände muss gegen Angriffe der Rechtspopulisten verteidigt werden, das gilt auch für in der Religion begründete Kleidungs-, Speise- und Bauvorschriften. Das ist der Auftrag unserer Verfassung an jeden Demokraten. Die Religionsfreiheit und der Schutz vor Diskriminierung ist Konkretisierung der Unantastbarkeit der Menschenwürde.

2) Es darf jetzt nicht zur Sprachlosigkeit kommen: Gespräche und Kooperationen mit der DITIB als Verein und den anderen Verbänden abzubrechen, ist nicht sinnvoll. Man muss nur wissen, mit wem man es zu tun hat: Einem religiösen Verein mit politischer Identität, dessen Willensbildung maßgeblich von Ankara abhängt. Irgendwelche Unabhängigkeitserklärungen jetzt im Sinne einer Unterwerfung  zu verlangen, wie dies aus der Union gefordert wird, oder auf satzungsrechtliche Regelungen zu pochen, ist hilflos und naiv. Das wird an der Realität nichts ändern, allenfalls an der Fassade.

3) Wir müssen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen (Christen, Atheisten, Aleviten, Juden, und andere) ins Gespräch kommen und auch den Mut zum demokratischen Streit haben. Positives muss man würdigen, Kritikwürdiges muss auf den Tisch gepackt statt unter den Tisch gekehrt werden. Das hat auch mit Respekt zu tun. So wie ich mich mit Kardinal Meisner oder Militärbischof Dyba öffentlich gestritten habe, muss das auch mit muslimischen Funktionsträgern möglich sein.

Ein Beispiel: "Wir von der Schura Hamburg unterstützen das Vorhaben der Türkischen Gemeinde, sich Diskriminierung entgegenzustellen", sagte der Vorsitzende Mustafa Yoldas am Wochenende zur Hamburger Morgenpost anlässlich des Christopher Street Days in Hamburg: "Wichtig ist, dass man sich respektiert." Ein Schritt, den man begrüßen muss. Genau so, wie man kritisch hinterfragen muss, warrum der gleiche Herr, der einst Vorsitzender der verbotenen IHH in Deutschland war, manisch Artikel gegen Israel von zweifelhaften Webseiten postet. Von Kooperationspartnern des Staates darf man erwarten, dass sie alle Formen von Rassismus, einschließlich Antisemitismus und Islamfeindlichkeit, ebenso wie Homophobie nirgends dulden. Gleiches gilt für die Wahrung der Meinungsfreiheit und das Zulassen von Kritik an religiösen Lehren, Praktiken und Traditionen.

4) Klares Festhalten am deutschen Religionsverfassungsrecht ohne Rabatt: Den islamischen Verbänden muss jetzt klar gemacht werden, islamische Religionsgemeinschaften können als solche anerkannt werden und bekenntnisgebundenen Religionsunterricht erteilen oder Körperschaft des öffentlichen Rechts werden - wenn sie die Voraussetzung für Religionsgemeinschaften tatsächlich erfüllen.

Bislang haben insbesondere die Ditib, aber auch die anderen Verbände, darauf gesetzt, dass die Politik von den Voraussetzungen des deutschen Religionsverfassungsrechtes absehen wird und sie quasi im Schlafwagen ohne jeden Veränderungsbedarf in die gleichen Rechte wie die beiden großen Kirchen einsetzen wird.

Hier muss die Politik in allen 16 Ländern und vielleicht auch in der Deutschen Islam-Konferenz jetzt eine unmissverständliche Ansage machen: "Das werden wir nicht tun!" Vereinbarungen, die auf eine weitere Institutionalisierung der jetzigen Verbändesituation hinauslaufen, sollte man auf drängende Fragen wie Feiertagsregelungen oder Bestattungswesen beschränken.

Erst dann kann Einsicht und Veränderungsbereitschaft bei den islamischen Organisationen einkehren. Eine Religionsgemeinschaft muss sich nach bekenntnisförmigen Kriterien ausrichten, was ihre Identität und ihre Abgrenzung zu anderen Gemeinschaften anbelangt. Die islamischen Verbände verdanken aber Identität und Abgrenzung untereinander nicht religiösen Gesichtspunkten, sondern politischen und sprachlichen Identitäten aus den Herkunftsländern und der Migrationsgeschichte. Eine bekenntnisförmige Neuorganisation der Muslime würde aus ihren Organisationen keine Kirchen, aber islamische Glaubensgemeinschaften in Deutschland machen. Damit würde der Islam in Deutschland tatsächlich ankommen. Das wird ein längerer Prozess sein.

5) In der Zwischenzeit darf die Politik und Integration nicht still stehen und muss Mut zu Übergangslösungen haben: Nordrhein-Westfalen hat mit seinem Schulgesetz zum islamischen Religionsunterricht vorgemacht, wie es gehen kann. Solange es keine islamischen Religionsgemeinschaften gibt, ersetzt dort ein Beirat unter Beteiligung der Verbände und von Sachverständigen die Rolle der Religionsgemeinschaften. Das erlaubt die religiöse Grundversorgung muslimischer Kinder in der Schule auf einer Augenhöhe mit christlichen und jüdischen Kindern, ohne dass Ankara einen direkten Zugriff auf die deutschen Klassenzimmer erhält. Davon können andere Bundesländer lernen.

Volker Beck

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