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Die Sozialdemokraten befinden sich im freien Fall.
© Ralph Peters/Imago

Harald Martenstein: Über den Niedergang der SPD

Im Herbst 2015 machte die SPD bei der Einwanderungspolitik einen großen Fehler - und verlor das Milieu der kleinen Leute. Aber es gibt Hoffnung.

Früher haben wir, tief im Westen, alle SPD gewählt. Das Spektrum der Anhänger war unglaublich breit. Wir linken Studenten dachten bei der SPD an Fortschritt. Mein Großvater dachte, dass die SPD vor allem seine Interessen vertritt, die der Arbeiter. Mein Vater, ein Ingenieur, hielt die Studenten für Spinner, aber wählte trotzdem dieselbe Partei wie sie. SPD hieß für ihn: Vernunft. Meine Mutter fand, dass Brandt und Schmidt bessere Typen sind als das Personalangebot der Konkurrenz.

Man wählte aus den verschiedensten Gründen SPD, zum Teil widersprüchlichen. Heute dagegen haben die Leute die verschiedensten Gründe, warum sie die SPD nicht mehr wählen. Mein Arbeiter-Opa würde die SPD wegen der Einwanderungspolitik nicht mehr wählen.

Mein Vater würde darüber schimpfen, dass Mittelverdiener wie er fast schon ein Feindbild für die SPD seien, die Mittelschicht soll alles bezahlen, außerdem bin ich für die ein privilegierter weißer Mann. Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihren Schlächter selber. Meine Mutter dürfte das Personalangebot der SPD für zu langweilig halten.

Nach der Hessenwahl wird bei den Sozis wohl wieder die Hütte brennen. Sollten sie raus aus der Koalition? Ich glaube nicht, dass die Koalition mit der Union ihr Problem ist. Die alte, erfolgreiche SPD war nie eine Partei der Utopien, sondern eine der Reformen und des Augenmaßes. Die SPD flößte Vertrauen ein. Sie war für Ausgleich zwischen den Interessengruppen, hielt die Dinge zuverlässig am Laufen und sorgte dafür, dass niemand untergebuttert wurde. Ihr Mantra hieß: Gemeinsinn statt gesellschaftliche Spaltung.

Im Herbst 2015 war die SPD wieder ängstlich

Als es um die Wiedervereinigung ging, war die SPD ängstlich, sie konnte sich nicht zwischen Willy Brandts Patriotismus und den Wolkenkuckucksheimen von Oskar Lafontaine entscheiden.

Im Herbst 2015 war sie wieder ängstlich. Sie überließ Angela Merkel das Feld, so, wie sie 1989 Helmut Kohl das Feld überlassen hatte. Wenn die SPD damals für eine andere Einwanderungspolitik eingetreten wäre, vertrauenerweckend, geregelt, human, eben typisch Sozi, dann hätte sie nicht das Milieu der kleinen Leute verloren, die heute aus Angst AfD wählen. Vertrauen, das man verspielt hat, ist schwer zurückzugewinnen. Das ist nicht mit Geld zu reparieren.

In der Zeitung „Die Welt“ haben Börsenexperten die SPD wie eine Aktie betrachtet. Sie haben die Ergebnisse der letzten Jahre mathematisch analysiert und behaupten, dass der SPD-Aktienkurs bei etwa 15 Prozent den Boden erreicht. An dieser Linie könnte sie sich im günstigsten Fall stabilisieren, danach vielleicht wieder steigen, im ungünstigen Fall stürze sie weiter ab. Das hänge, wie bei der Deutschen Bank, vom Mut des Managements ab.

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