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Trauer: Beim Anschlag auf ein Kulturzentrum in Suruc sind mindestens 32 Menschen ums Leben gekommen.
© Bulent Kilic/AFP
Update

Nach dem Attentat von Suruc: Türkische Regierung ist unter Zugzwang

Nach dem Anschlag von Suruc gerät die Türkei wegen ihrer Politik gegenüber der Terrormiliz "Islamischer Staat" in Bedrängnis. Kommt jetzt der Kurswechsel der Regierung in Ankara?

Nach dem Selbstmordanschlag in der türkischen Grenzstadt Suruc, bei dem am Montag mindestens 32 Menschen getötet und mehr als 100 verletzt wurden, kommt die Regierung in Ankara in Zugzwang. Das Attentat geht offenbar auf das Konto der Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS). Die Behörden haben einen Verdächtigen identifiziert. Entgegen ersten Berichten ist es keine Frau. Der Täter soll ein 20-jähriger Türke gewesen sein, der sich vor zwei Monaten dem IS angeschlossen habe, heißt es.

Das am Montagvormittag verübte Attentat richtete sich gegen eine Versammlung von etwa 300 kurdischen und linksgerichteten jungen Leuten, die von Suruc aus über die nur zehn Kilometer entfernte syrische Grenze zur Kurdenstadt Kobane ziehen wollten, um dort beim Wiederaufbau zu helfen. Die Bombe detonierte im Garten eines Kulturzentrums, wo sich die Teilnehmer zu einem Frühstück und zu einer Pressekonferenz versammelt hatten.

Kobane war im vergangenen Jahr während einer monatelangen Belagerung durch den IS weitgehend zerstört werden. Kurdische Peschmerga-Kämpfer aus dem Nordirak kamen den syrischen Kurden schließlich zur Hilfe und vertrieben den IS aus Kobane. "Wir haben Kobane gemeinsam verteidigt, und wir werden es gemeinsam wieder aufbauen" stand auf einem Spruchband, das im Garten aufgespannt war. Dann explodierte vor laufenden Fernsehkameras die Bombe.

Offenbar kam der Angriff nicht völlig überraschend. Der türkische Geheimdienst MIT habe politische Stellen und die Polizei bereits am 22. Juni und erneut am 3. Juli über mögliche Anschläge des IS in der Türkei informiert, berichteten türkische Medien. Konkret habe der MIT die Namen von sieben mutmaßlichen Kämpfern genannt, die aus Syrien illegal in die Türkei eingereist seien. Als Reaktion auf diese Warnungen hatte die Polizei kürzlich Razzien in Istanbul, Ankara, Sanliurfa, Konya und Izmir durchgeführt. Dabei gab es 97 Festnahmen. Die sieben vom Geheimdienst genannten Personen sollen jedoch nicht darunter gewesen sein.

Die prokurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) kritisierte nach dem Anschlag die islamisch-konservative Regierung scharf. Die Behörden hätten von Anschlagsplänen gewusst, aber nicht genug unternommen, um sie zu verhindern, sagte der HDP-Abgeordnete Mithat Sancar. Der Vorsitzende Selahattin Demirtas rief seine Partei auf, selbst Maßnahmen zum Schutz ihrer Büros zu ergreifen. Schon während der Belagerung von Kobane hatten türkische Kurden der Regierung vorgeworfen, sie sehe untätig zu. Im Raum stehen auch Vorwürfe, der türkische Geheimdienst habe syrische Oppositionsgruppen mit Waffen versorgt – darunter auch den IS.

Der Westen wiederum wirft der Türkei vor, ihre 900 Kilometer lange Grenze zu Syrien nicht ausreichend zu sichern. Das ist einerseits schwierig, weil seit Beginn des Bürgerkrieges im Nachbarland mehr als 1,8 Millionen Flüchtlinge in der Türkei Zuflucht gefunden haben. Andererseits belegen zahlreiche Zeugenaussagen und Videoaufnahmen, dass es an der Grenze einen regen, von den türkischen Behörden geduldeten Verkehr von IS-Kämpfern und Sympathisanten gibt – darunter offenbar viele angehende Dschihadisten, die aus westlichen Ländern kommen oder in der Türkei vom IS rekrutiert wurden. Auf Druck der USA hatte die Türkei allerdings Anfang Juli die Grenzkontrollen verschärft.

Diesen Eindruck hat auch Soli Özel, Professor für internationale Beziehungen an der Istanbuler Kadir Has-Universität und derzeit Fellow an der Robert-Bosch-Akademie in Berlin. "Die Grenze ist heute weniger leicht zu passieren, als sie es vor einiger Zeit war. Und nach dem Anschlag werden die Sicherheitsbehörden noch mehr auf Verdächtige achten", sagt Özel im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Nach Özels Einschätzung hat Ankara allerdings schon vor dem Anschlag seine umstrittene politische Haltung gegenüber dem "Islamischen Staat" geändert. So seien die Razzien gegen mögliche Anhänger des IS ein Zeichen für einen Richtungswechsel. Dieser könnte jedoch zur Folge haben, dass die militanten Islamisten versuchen werden, die Lage in der Türkei eskalieren zu lassen – durch weitere Attacken wie in Suruc. Dennoch hält es Özel für sehr unwahrscheinlich, dass Ankara aufgrund der veränderten Lage nun seine Drohung wahrmachen könnte und in Syrien einmarschiert. "Ein solcher Schritt würde erhebliche politische und militärische Konsequenzen haben."

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