Streit um sein Stück Stoff: Türkische Kopftuch-Debatte entbrennt während Wulff-Besuch
Bei der Begrüßungs-Zeremonie war die türkische Präsidentengattin Hayrünnisa Gül nach über drei Jahren zum ersten Mal dabei – mit ihrem Kopftuch war sie bisher nicht hoffähig gewesen.
Persönliche Begegnungen können Brücken bauen zwischen den Kulturen, das hat sich auch beim Besuch des Bundespräsidenten in der Türkei wieder gezeigt. Zwei Tage verbrachten die Präsidentengattinnen Bettina Wulff und Hayrünnisa Gül zusammen in Ankara und im anatolischen Kayseri – die eine im eng anliegenden, kniefreien Kleid, die andere im langen Rock und Kopftuch. Der Funke der Verständigung sprang trotz unterschiedlicher Kleidung über. „Hayrünnisa Gül ist eine sehr moderne und selbstbewusste Frau, die ihren Glauben so lebt, wie sie es will“, sagte Bettina Wulff der Zeitung „Hürriyet“. „Das schätze ich sehr.“
Zwei Abende hatten die Ehepaare Wulff und Gül zusammen verbracht und zu langen, teils sehr persönlichen Gesprächen genutzt. Hayrünnisa Gül erzählte ihren Gästen dabei von ihrem Glauben, von ihrer Auslegung des Korans und ihrer Entscheidung für das Kopftuch. Zugleich vermittelte sie ihnen, dass sie das Kopftuch nur selbst tragen, aber niemand anderem aufdrängen will. Sie bewundere die türkische Präsidentengattin, sagte Bettina Wulff. „Das ist auch meine persönliche Meinung: Jeder soll seinen Glauben so leben, wie er das will.“
Hayrünnisa Gül hat einen Preis dafür bezahlt. Die vierfache Mutter holte zwar ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nach, nachdem sie schon mit 15 Jahren geheiratet und dafür das Gymnasium abgebrochen hatte. Studieren durfte sie aber nicht: Als sie sich 1998 an der Universität Ankara einschreiben wollte, wurde sie wegen ihres Kopftuch abgewiesen. Seit dem Militärputsch von 1980 durften Frauen im Kopftuch – also zwei Drittel aller türkischen Frauen – nicht mehr an die Hochschulen. Nach dreißig Jahren wurde dieses Verbot erst Anfang dieses Monats gelockert – zwar nicht offiziell aufgehoben, aber per Verwaltungsanordnung der Hochschulbehörde faktisch nicht mehr angewandt.
Hayrünnisa Gül hatte schon in den 90er Jahren am Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gegen das türkische Kopftuchverbot geklagt, durch das sie ihre Recht auf Bildung und auf Religionsfreiheit verletzt sah. Sie zog die Klage allerdings zurück, als Abdullah Gül nach dem Wahlsieg der AK-Partei im Jahr 2002 zunächst Ministerpräsident und später Außenminister wurde: Frau Gül wollte es ihrem Ehemann ersparen, als Vertreter der Türkei in Straßburg das Kopftuchverbot verteidigen zu müssen, das er selbst nicht richtig fand.
Wie es nun weitergeht mit dem Kopftuch in der Türkei, darum wird in diesen Tagen heftig gerungen – die Schlagzeilen zum politischen Kopftuchstreit verdrängten den Wulff-Besuch bereits von den türkischen Titelseiten. Zwar hatte sich auch die kemalistische Oppositionspartei CHP in den letzten Wochen für eine offizielle Aufhebung des Kopftuchverbots ausgesprochen – schließlich stehen nächstes Jahr Parlamentswahlen an. Ein mit Spannung erwartetes Treffen, auf dem Vertreter der CHP und der Regierungspartei AKP einen gemeinsamen Entwurf dafür erarbeiten sollten, scheiterte am Mittwoch aber an einem Rückzieher der CHP.
Zugleich schaltete sich Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya mit der Drohung ein, in dieser Frage erneut ein Verbotsverfahren gegen die AKP einzuleiten. Beim letzten Mal war die Regierungspartei vor zwei Jahren mit nur einer Richterstimme dem Parteiverbot entgangen. Das ist zwar nach der Reform des Verfassungsgerichtes, der die Türken bei einer Volksabstimmung vor sechs Wochen mit deutlicher Mehrheit zugestimmt hatten, nicht mehr so leicht wie noch 2008. Nicht nur an den Universitäten herrschte am Donnerstag dennoch Verunsicherung darüber, wie es nun weitergehen wird mit dem Kopftuch in der Türkei.
Hayrünnisa Gül tritt inzwischen auch ohne Studium weiter als Vorreiterin in der Kopftuchfrage auf. „Historische Schritte“, vermeldeten die Zeitungen, als sie zusammen mit Bettina Wulff in dieser Woche an der militärischem Ehrengarde der türkischen Armee entlang schritt. Die Zeremonie ist zwar Routine bei der Begrüßung von Staatsoberhäuptern, doch Hayrünnisa Gül war nach über drei Jahren als Präsidentengattin zum ersten Mal dabei – mit ihrem Kopftuch war sie bisher nicht hoffähig gewesen. Nun sei es an der Zeit, mit dem Versteckspiel aufzuhören, fanden die Güls. Schon nächste Woche wollen sie ein weiteres Zeichen setzen: Zum Nationalfeiertag, an dem es bisher getrennte Empfänge für Paare mit und ohne Kopftuch gab, lädt der Staatspräsident erstmals alle Gäste gemeinsam ein – auf dass neue Brücken gebaut werden.