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:„Ich spreche frei zu Ihnen, von Herzen und mit Abstand zum Protokoll, dann kann ich Ihnen in die Augen sehen statt das vorzulesen, was ich mir aufgeschrieben habe", sagte Tunesiens Präsident Moncef Marzouki zu Beginn seiner Rede im Hotel de Rome auf Einladung der Körber-Stiftung.
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Arabische Revolution am Scheideweg: Tunesiens Präsident Marzouki fordert Trennung von Religion und Staat

Bei seinem Deutschland-Besuch wirbt Tunesiens Präsident Moncef Marzouki in einem Vortrag bei der Körber-Stiftung für eine demokratische Gesellschaft in Tunesien und warnt vor Chaos und Armut als großen Herausforderungen

Schon mit seinem ersten Satz hat Tunesiens Präsident Moncef Marzouki bei seinem Vortrag auf Einladung der Körber-Stiftung im Hotel de Rome die Herzen der zahlreichen Zuhörer gewonnen: „Ich spreche frei zu Ihnen, von Herzen und mit Abstand zum Protokoll, dann kann ich Ihnen in die Augen sehen statt das vorzulesen, was ich mir aufgeschrieben habe.“ Ein Revolutionär, der erste frei gewählte Präsident Tunesiens, nimmt sich auch hier die Freiheit, ganz normal und menschlich mit seinem Publikum umzugehen. Was in Tunesien geschehen ist, hat die arabische Welt verändert, „doch dieser Prozess ist noch nicht zu Ende“, sagt der Präsident, „das alte arabische System ist tot im Geist und im Herzen der Bevölkerung, wir stehen vor einem neuen Anfang, aber das wird ein langer Weg.“

Leidenschaftlich warb der Präsident für den demokratischen Weg Tunesiens. Er beschwor die Einheit der Nation - man dürfe niemanden ausgrenzen.
Leidenschaftlich warb der Präsident für den demokratischen Weg Tunesiens. Er beschwor die Einheit der Nation - man dürfe niemanden ausgrenzen.
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Revolutionen haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten, dazu gehöre auch die Konterrevolution. Eine Revolution könne auch scheitern, „noch ist nichts entschieden, es kann auch sein, dass Andere die Früchte ernten werden.“ Maßstab für ihn als Menschenrechtsaktivisten sei es, „demokratische Strukturen zu achten“. Die Revolution wäre gescheitert, wenn der Änderungsprozess einen zu hohen Preis koste. „Ich hätte nie geglaubt, dass Syrien sich so entwickelt. Die syrische Revolution ist gescheitert - auf Chaos folgt die Tyrannei“, sagt Marzouki mit Nachdruck. „Alle Länder des arabischen Frühlings stehen am Scheideweg zwischen einem demokratischen Staatswesen oder islamistisch-dschihadistischen Emiraten.“ Er sehe dies nicht als Prophezeiung, es werde Staaten geben, die scheitern, andere würden sich zusammenschließen. Ein Blick in die Geschichtsbücher zeige, dass dieser Prozess unter Umständen Jahrzehnte dauern werde.

Die große Trumpfkarte Tunesiens ist die Armee

Präsident Manzouki warnte eindringlich vor Chaos in der arabischen Welt. „Ich hätte nie geglaubt, dass Syrien sich so entwickelt. Die syrische Revolution ist gescheitert - auf Chaos folgt die Tyrannei“
Präsident Manzouki warnte eindringlich vor Chaos in der arabischen Welt. „Ich hätte nie geglaubt, dass Syrien sich so entwickelt. Die syrische Revolution ist gescheitert - auf Chaos folgt die Tyrannei“
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Präsident Marzouki betonte, dass er die Chancen der tunesischen Revolution größer einschätze als ihr Scheitern. Es gebe spezielle Gründe für einen zivilen und demokratischen tunesischen Staat. „Seit 14 Monaten bin ich Präsident und habe schon viele Krisen erlebt. Am 1. Mai 2012 gingen viele Tunesier auf die Straße, der Versuch Chaos zu säen, war gescheitert, ebenso beim Anschlag der Salafisten auf die amerikanische Schule.“ Am schlimmsten sei die Ermordung des Märtyrers Chokri Belaid gewesen, doch auch danach sei kein Chaos ausgebrochen. „In Tunesien ist die Armee am Volk orientiert, in Syrien wird nur eine Bande von der Armee unterstützt. “  Das sei der Unterschied.

„Die Troika der Koalition ist das Ergebnis einer historischen Erfahrung, Linke, Liberale und Islamisten teilen gemeinsam die Erfahrung der Unterdrückung. Die Troika ist geschaffen worden, um Gemeinsamkeiten zu schaffen. Das kann aber nur gelingen, wenn beide Seiten moderat sind. So bleiben die Extremisten an den Rändern.“

Durch diese Konstruktion herrsche in Tunesien ein großes Maß an Harmonie in der Gesellschaft. „Wir sind praktisch zwei Länder in einem, wir haben ländliche, arme Regionen um die Städte herum, in denen ein anderer, westlicher Lebensstil herrscht.“ Alle arabischen Länder litten unter dieser Spaltung, der Gegensatz von arm und reich bestehe, aber er rechtfertige heute keinen Umsturz mehr. Die Trumpfkarte Tunesiens in der Übergangszeit sei die Armee, sie setze Legaltität gegen Abenteuer. Gefahren sieht der Präsident durch den Krieg in Mali und die Spannungen im Grenzgebiet zu Libyen. Man hat zudem Angst vor Rückkehrern aus Syrien.

"Zwei Millionen Tunesier werden mehr Arbeit haben"

"Die Troika ist geschaffen worden, um Gemeinsamkeiten zu schaffen. Das kann aber nur gelingen, wenn beide Seiten moderat sind. So bleiben die Extremisten an den Rändern“, sagte der Präsident zur Lage im eigenen Land. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die Verfassung im Frühjahr verabschiedet und im Herbst gewählt werde.
"Die Troika ist geschaffen worden, um Gemeinsamkeiten zu schaffen. Das kann aber nur gelingen, wenn beide Seiten moderat sind. So bleiben die Extremisten an den Rändern“, sagte der Präsident zur Lage im eigenen Land. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die Verfassung im Frühjahr verabschiedet und im Herbst gewählt werde.
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Große Hoffnungen setzt Moncef Marzouki auf die geplanten Neuwahlen im späten Herbst. Die neue Konsensverfassung werde wohl im Frühjahr verabschiedet, damit wäre der Weg für Neuwahlen frei. „Wir müssen die Streitigkeiten beiseite lassen, die Probleme sind lösbar. Wenn wir das schaffen, ist die Armut in fünf Jahren noch nicht überwunden, aber zwei Millionen Tunesier mehr werden Arbeit haben. Der Preis der Revolution war hoch, daher wäre es gut, wenn die neue Regierung die Pluralität der Gesellschaft spiegele“, sagt der Präsident und wagt einen Ausblick in die Zukunft: „Europa fand erst nach dem Ende der Diktaturen seinen Frieden. Eine neue arabische Union nach dem Vorbild der EU wäre wünschenswert. Die Diktaturen hatten das bisher verhindert, aber eine Union der arabischen demokratischen Staaten würde auch der Sicherheit Europas dienen." Präsident Marzouki macht Mut: „Die Zukunft liegt in der Annäherung der Kulturen, scheitert aber die Revolution, kommt es zum Clash of Civilizations. Auf unsere Revolution kann man aufbauen und Deutschland spielt eine große Rolle bei der Unterstützung der Revolution. Wenn Deutschland in die Demokratie Tunesiens investiert, wird das zu einer Annäherung der Kulturen führen.“

"Der politische Islam ist nicht die Lösung"

Präsident Mazouki bekommt für seine Rede großen Beifall vom Publikum, darunter viele Bundestagsabgeordnete und Politiker, aber auch viele Botschafter aus arabischen Ländern. In der sich anschließenden Diskussion spricht sich Marzouki noch einmal für die Einheit Tunesiens aus. Er warnt vor einer gespaltenen Gesellschaft und der Verteufelung des politischen Gegners. „Verteufeln nutzt gar nichts, denn die Anderen sind ein Teil der Bevölkerung. Der politische Islam ist nicht die Lösung. Wir haben auch demokratische islamische Parteien, undemokratische Parteien sowie islamistische bewaffnete Parteien. Wir haben keine Wahl, die Strukturen sind historisch gewachsen und wir dürfen die andere Hälfte der Bevölkerung nicht ablehnen. Bislang haben alle genug Klugheit bewiesen, um die Gegensätze abzufedern.“

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