US-Grenze zu Mexiko: Trump macht mit dem Leid von Kindern Politik
Mitgefühl ist ein Wort, das der US-Präsident offensichtlich nicht kennt. Es waren politische Gründe, die ihn zum Umdenken gebracht haben. Ein Kommentar.
Es sind grausame und herzzerreißende Szenen. Kinder in Käfigen, wie Tiere, eines neben dem anderen. Getrennt von ihren Eltern und abgeschnitten von jeglicher menschlichen Zuwendung. Auf Tonbändern hört man sie schluchzen, nach Mama und Papa rufen, allein, verwirrt und verängstigt in einer völlig fremden Welt. Das kann doch keinen kaltlassen, oder?
Es sind die Kinder illegaler Einwanderer, festgehalten an der Grenze zwischen dem „Land of the free“, den wohlhabenden Vereinigten Staaten, und dem ärmeren südlichen Nachbarn Mexiko. Diese unhaltbaren Zustände sind das Ergebnis der verschärften Einwanderungspolitik von Donald Trump – auch wenn der US-Präsident das Gegenteil behauptet.
Nun hat Trump überraschend diese Familientrennung unterbunden, per Dekret – weil selbst ihn das Leid nicht kaltlässt? Das darf bezweifelt werden, vielmehr werden politische Gründe den Ausschlag gegeben haben.
Der Druck stieg mit jedem Video
Der Druck auf ihn, seine Regierung und seine Partei war in den vergangenen Tagen rasant gewachsen, mit jedem Video, in dem solche Szenen festgehalten und der Welt vor Augen geführt wurden. Auch in den eigenen Reihen nahm der Unmut zu, wurden die Stimmen lauter, die ein Umdenken forderten. Dafür steht eindrücklich die seltene Wortmeldung der ehemaligen First Lady Laura Bush vor wenigen Tagen, die diese Politik als „brutal und unmoralisch“ geißelte.
Und so sehen es viele Republikaner. Auch sie haben ein Herz, auch sie ertragen Bilder von weinenden Kindern nicht, an deren Leid sie mitschuldig sind. Oder wie es der 97 Jahre alte ehemalige Arbeits-, Finanz- und Außenminister George P. Shultz, der den republikanischen Präsidenten Richard Nixon und Ronald Reagan diente, noch am Dienstag vor Journalisten ausdrückte: Diese Politik ist unwürdig.
Aber Republikaner wollen auch keine illegalen Grenzübertritte, sie wollen geregelte, kontrollierte Einwanderung. Daran ändern selbst Umfragen nichts, die besagen, dass zwei Drittel der Amerikaner das derzeitige Vorgehen an der Grenze ablehnen. Denn die Umfragen sagen auch: 55 Prozent der Republikaner befürworten die Maßnahmen. Es hat sich viel verändert, seit Laura Bushs Mann George W. mit dem Slogan vom „compassionate conservatism“, von einem mitfühlenden Konservatismus, erfolgreich Wahlkampf führte. Von Mitgefühl ist bei seinem Nachfolger und vielen seiner Anhänger in dieser Lage nicht viel zu spüren.
Trump deutet den Politikwechsel um
Immerhin, und vielleicht ist das auch ein Grund für den überraschenden Kurswechsel am Mittwoch: Trumps Tochter Ivanka, so wird berichtet, habe ihren Vater von den unhaltbaren Zuständen an den Grenzen erzählt und ihn gebeten, das zu ändern. Doch der Präsident blieb zunächst hart, er verknüpfte die Null-Toleranz-Politik an der Grenze mit seinem Mauerbau-Vorhaben. Dafür setzte er auf das Erpressungspotenzial solcher Bilder, um den Demokraten im Kongress Zugeständnisse abzuringen. Sein Ziel: ein umfassendes Gesetz, um sein Wahlkampfversprechen zu halten. Ein schlechtes Gewissen hatte er dabei offensichtlich nicht: Für Trump und seine Unterstützer sind die Verbrecher die Eltern, die ihre Kinder solchen Gefahren aussetzen. Das haben sie immer wieder betont.
Nun also das Präsidentendekret, innerhalb eines Tages angekündigt und umgesetzt. Und Trump versucht wieder, diesen Politikwechsel umzudeuten. Nicht die Tatsache, dass Kirchenführer Briefe schrieben und mit dem Ausschluss von Kabinettsmitgliedern drohten, dass sich für die kommenden Tage massiver Protest zu formieren begann, dass sich so mancher Republikaner Gedanken um sein Abschneiden bei den wichtigen Midterm-Wahlen im November machte: Nein, Trump begründet sein Eingreifen mit dem Leid der Kinder. Dass er Familien nicht trennen wolle, dass er mitfühlend sein wolle. Auf einmal.
Am Ende ist es aber auch egal, was ihn zum Umdenken gebracht hat, vor allem den verzweifelten Kindern und ihren Eltern. Hauptsache, er hat es durchgezogen. Wenigstens dieses Mal.