Charlottesville: Trump ist nicht an allem schuld
Donald Trump ist nicht die Ursache für das Erstarken rechtsextremer Gruppen in den USA. Die Gründe liegen tiefer. Ein Kommentar.
Ist Donald Trump schuld an der Gewalt in Charlottesville am Wochenende, wo ein junger Rechtsextremer eine Gegendemonstrantin überfuhr und tötete? Darüber diskutieren zum Wochenbeginn Leitmedien in den Vereinigten Staaten wie Politiker hierzulande – und die meisten sehen den Präsidenten in der Verantwortung. Diese Fokussierung auf Trump ist richtig und falsch zugleich. Amerika war schon krank, bevor er kam. Und kann mit ihm nicht gesunden.
Die weißen Suprematisten – also Gruppen, die die Überlegenheit der weißen Rasse behaupten – vermehren sich in den USA schon seit mehr als einem Jahrzehnt. Das Southern Poverty Law Center, eine Nichtregierungsorganisation, die die Szene beobachtet, zählt heute mehr als 900 solcher Gruppen in den USA. Ihre Ideologien sind so vielfältig wie gefährlich: Da sind die jungen Alt-right-Anhänger, die rechten Pop-Idolen wie Milo Yannopoulos anhängen, Neo-Konföderierte, Neo-Nazis, Antisemiten, Anti-muslimische Gruppen, Hyper-Libertäre, die jede Staatlichkeit abschaffen wollen und natürlich der Ku-Klux-Klan. Gemeinsam ist den Nuancen des Hasses der Glaube, die weiße Rasse müsse in den Vereinigten Staaten um ihr Überleben kämpfen – demographische Projektionen sagen voraus, dass Weiße bis 2040 nicht mehr die größte ethnische Gruppe sein könnten.
Mit der Wahl Barack Obamas machte die Zahl rechter Gruppen einen Sprung nach oben. Der erste schwarze Präsident sei wie ein Signal für die Szene gewesen, dass ihre These vom Untergang der weißen Rasse zuträfe, vermuten Experten. Doch es sind wohl auch Armut und Bildungsmisere, die zu ihrem Erstarken beitragen. Die Rechtsextremen siedeln zum Beispiel in trostlosen Kleinstädten, in denen die Relikte der Kohleindustrie stehen wie Dinosaurierknochen im Museum. Sie gedeihen in jenen sozialen Nischen, in denen die Wahrheit nicht mehr ankommt. Sozialwissenschaftler schreiben Medien und Blogs der alten und neuen Extremrechten eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung zu. Dylann Roof, der Rechtsextremist, der 2015 neun Mitglieder einer überwiegend schwarzen Gemeinde in ihrer Kirche in Charleston, South Carolina, erschoss, soll sich nach Ansicht der Ermittlungsbehörden im Internet radikalisiert haben.
In den USA hat an vielen Orten die Identitätspolitik die Sozialpolitik ersetzt. Diese Identitätspolitik wurde und wird aber weniger von Politikern gemacht, als vielmehr von Obskuristen im Netz. Einer von ihnen, Stephen Bannon, sitzt jetzt im Weißen Haus.
Und da kommt Trump ins Spiel. Auf subtile Weise füttert er mit seiner innenpolitischen Agenda die These von der unterjochten weißen Rasse. Erst kürzlich wurde bekannt, dass Trump Mittel des Justizministeriums umwidmen will, um gegen „affirmative action“-Programme an Universitäten vorzugehen, also gegen Programme, die bei gleicher oder ähnlicher Eignung Studierende aus Minderheiten bevorzugt einen Studienplatz geben.
Trump selbst scheint kein echter Rassist zu sein. Er ist ideologischer Nihilist. Er glaubt wahrscheinlich an nichts außer sich selbst. Jahrelang stellte er in Frage, dass Barack Obama ein echter Amerikaner sei – und gab die These dann mitten im Wahlkampf freimütig auf. Er versuchte während seiner Kampagne eine zeitlang systematisch, unter schwarzen Amerikanern Stimmen zu sammeln – und weigert sich nun, die rechtsextreme Gewalt zu verdammen.
Trump ist nicht die Ursache des erstarkenden Rassismus. Wahrscheinlich liegt es auch jenseits der Macht eines einzelnen Präsidenten, die vielfältigen Ursachen für den rassistischen Hass in den USA zu bekämpfen. Auch Obama ist damit gescheitert, obwohl er eine sehr umsichtige (aus Sicht von Minderheitenvertretern sogar viel zu umsichtige) Sozialpolitik gemacht hat. Doch gerade Trumps Nihilismus, die Tatsache, dass ihm einfach alles egal ist außer ihm selbst, fördert die Spaltung.