Südafrika: Trauer und Tänze
Die Südafrikaner hatten viel Zeit, sich auf den Tod ihres Nationalhelden vorzubereiten. Viele wünschten ihm zuletzt, bald von seinen Leiden erlöst zu werden. Deshalb wurde am Freitag nicht nur getrauert, sondern auch getanzt.
Es war der Tag, vor dem sich die Südafrikaner mehr als vor jedem anderen gefürchtet hatten – und auf den sie seit Monaten voller Sorge hinlebten. Doch als sich die traurige Nachricht am späten Donnerstag gegen Mitternacht im ganzen Land verbreitete, war der Schock trotzdem fast physisch spürbar: Der Tod des Nationalhelden Nelson Mandela hat Südafrika in seinem Innersten erschüttert und einen tiefen Schatten auf die eben erst begonnene Ferienzeit geworfen. Selbst sein hohes Lebensalter konnte viele Südafrikaner, die mit ihm und seiner beruhigenden Präsenz über 20 Jahre hinweg aufgewachsen waren, nur bedingt über den Verlust hinwegtrösten. „Es war zuletzt fast so als würde man seinem Großvater beim Sterben zuschauen“, sagte der Johannesburger Publizist Mondli Makhanya, der sich ein Südafrika ohne Mandela partout noch nicht vorstellen kann. „Nicht, dass unser Land nun auseinanderbrechen oder der Himmel einstürzen würde“, sagt Makhanya. „Aber die Einheit des Landes ist ihres Symbols beraubt worden.“
Dennoch mischte sich bereits kurz nach dem Bekanntwerden der Todesnachricht auch eine diffuse Erleichterung in die Trauer, weil das lange Leiden Mandelas nun ein Ende gefunden hat. Erst vor zwei Wochen hatte seine Ex-Frau Winnie in einem Zeitungsinterview erklärt, der 95-Jährige sei „ziemlich krank“ und könne wegen der vielen Schläuche in seinem Mund nicht mehr sprechen. Kommunizieren würde er allein noch mit seinem Gesicht. Viele Südafrikaner hatten sich spätestens nach dem jüngsten, fast 100-tägigen Krankenhausaufenthalt zwischen Juni und August mit dem bevorstehenden Tod des weltweit verehrten Freiheitskämpfers abgefunden. Wie Desmond Tutu, Südafrikas anderer großer Friedensnobelpreisträger, wünschten die meisten Mandela zuletzt vor allem ein Ende seiner langen Leiden. Tutu selbst zelebrierte am Freitag morgen in der Kapstädter St.George’s Cathedral einen Gottesdienst, in dem er Mandela dafür dankte, die Trennung des Landes überwunden zu haben.
Viele der Menschen , die im Laufe des Freitags vor Mandelas Villa im Johannesburger Vorort Houghton zogen und dort Blumengebinde niederlegten, tanzten denn auch weit mehr, als dass sie trauerten. Einige bliesen die Vuvuzela und hüllten sich in die südafrikanische Nationalfahne, andere entzündeten Kerzen und sangen alte Songs aus dem Widerstandskampf. Uniformierte Sicherheitskräfte hielten die vergleichsweise kleine Menge behutsam zurück. Über dem Haus, wo Mandela nur wenige Stunden zuvor im Kreise seiner Familie verstorben war, kreisten den ganzen Tag hindurch Hubschrauber. Der Freiheitskämpfer war Anfang September nach einem fast dreimonatigen Klinikaufenthalt nach Hause zurückgekehrt, was Spekulationen Nahrung gegeben hatte, dass er ganz offenbar zum Sterben in eine vertraute Umgebung gebracht werden sollte.
Eine seiner Töchter erfuhr die Todesnachricht in London
Besonders tragisch verlief die Todesnacht ihres Vaters für Tochter Zindzi, die für die Premiere des Films „Mandela – Long Walk to Freedom“ nach London geflogen war. Dort hatte sie den Besuchern vor Beginn der Aufführung noch versichert, dass es ihrem Vater gut ginge und sie ihn künftig öfter zu sehen hoffe. Mitten im Film wurden Zindzi und der ebenfalls anwesende britische Prinz William vom Tod des südafrikanischen Nationalhelden informiert. „Die Nachricht war extrem traurig und tragisch“, sagte William, der den Film zusammen mit seiner Frau Kate besuchte.
Der ANC hat unter Mandelas Nachfolgern an Ansehen verloren
Erst zu Wochenbeginn hatte Mandelas andere Tochter Makaziwe aus seiner ersten Ehe in einem Interview mit dem südafrikanischen Staatsfernsehen vom Kampfgeist Mandelas gesprochen, aber bereits gesagt, dass er sich inzwischen auf seinem Sterbebett befinde. Nicht wenige Beobachter hatten zuletzt angesichts der fast kompletten Nachrichtensperre vermutet, dass Mandela mit allen Mitteln am Leben erhalten werde, damit der ANC bei den im nächsten Jahr anstehenden Wahlen politisches Kapital aus seinem Tod schlagen könne. Die Beliebtheitswerte der früheren Widerstandsbewegung sind zuletzt dramatisch gefallen. In aktuellen Umfragen erreichen Präsident Zuma und seine Partei zum Teil nur noch 55 Prozent – das schlechteste Ergebnis für den ANC seit den ersten freien Wahlen im April 1994.
Sein altes Haus in Soweto ist längst ein Museum
Unerwartet klein waren zunächst auch die Gruppen, die sich trotz der Sommerferien bis zum Mittag vor dem Haus 8115 in der Vilakazi Street des Townships Soweto versammelten, wo Mandela in den späten 1950er Jahren mit seiner Ex-Frau Winnie lebte. Inzwischen ist das kleine Haus längst ein Museum. Besonders sein Bett, dass für einen muskulösen Hobbyboxer wie Mandela recht schmal erscheint, fasziniert die Touristen. Nach der Entlassung aus der Haft im Februar 1990 war Mandela nur kurz in seine alte Wohnung in Soweto gezogen. Nach 27 Jahren Haft wurde ihm damals schnell bewusst, wie berühmt er inzwischen war. Angeblich blieb er damals nur elf Tage im alten Haus, ehe er nach Houghton übersiedelte, wo er am Donnerstagabend starb.
Wolfgang Drechsler