Ägypten: Tote bei Gewalt zwischen Muslimen und Christen in Kairo
Im postrevolutionären Ägypten wächst die Angst vor Chaos und Anarchie. In der Nacht zu Sonntag kamen in Kairo bei Straßenschlachten zwischen Muslimen und Christen mindestens 12 Menschen ums Leben.
Nach blutigen Straßenschlachten zwischen Muslimen und Christen in Kairo wächst die Angst vor einer Eskalation religiöser Konflikte. Zwei koptische Kirchen im Arbeiterstadtteil Imbaba, seit Jahrzehnten Hochburg muslimischer Radikaler, gingen in Flammen auf. Mindestens zwölf Menschen starben, mehr als 230 wurden verletzt. Zusätzlich beunruhigt die Bevölkerung aber auch ein signifikanter Anstieg bei Raubüberfällen und Bandenkriminalität, während es mit der Wirtschaft des Landes wegen anhaltender Streiks immer steiler bergab geht. Ministerpräsident Essam Sharaf rief am Sonntag sein Kabinett zu einer Krisensitzung zusammen. Eine Reise in die Golfstaaten, wo der Regierungschef dringend benötigte Milliardenkredite für den defizitären Staatshaushalt einwerben wollte, sagte er zunächst einmal ab.
Der Militärrat, bis zu den kommenden Wahlen im September die höchste Machtinstanz am Nil, kündigte ein hartes Durchgreifen an. Alle 190 in der Nacht verhafteten Randalierer, die aufeinander geschossen und sich mit Steinen und Brandsätzen beworfen hatten, sollen vor militärische Schnellgerichte gestellt werden. Sie müssen mit drastischen Strafen rechnen. Noch in der Nacht wurde der Schutz koptischer Kirchen im ganzen Land verstärkt. Innenminister Mansur Essawy sagte den Opfern beider Seiten finanzielle Hilfen zu. Obermufti Ali Gomaa verurteilte die Gewalttaten und erklärte, die Täter „setzen Ägyptens innere Sicherheit aufs Spiel“.
Hintergrund dieser religiös motivierten Gewalttaten ist ein seit längerem schwelender Konflikt zwischen islamischen Radikalen und der koptischen Kirche über das Schicksal zweier angeblich zum Islam konvertierter Priesterfrauen. Die ultrakonservativen Muslime behaupten, die beiden Frauen seien an einem geheimen Ort eingesperrt. Der Mob in Imbada wiederum war durch das Gerücht aufgewiegelt worden, in der örtlichen Sankt-Mena-Kirche werde eine frisch mit einem Muslim verheiratete Frau nun ebenfalls festgehalten, weil sie zum Islam übertreten wolle. Schon vergangene Woche hatten mehr als 2000 salafitische Bärtige mit weißen Häkelkappen im Stadtteil Abbasiya vor der Kathedrale des koptischen Oberhauptes, Papst Shenouda III., demonstriert. „Gebt unsere Schwestern frei“, skandierte die Menge, bevor sie nach einer Stunde abzog. Solche Kundgebungen nach Freitagsgebeten gehören nicht nur in Kairo, sondern auch in Alexandria inzwischen zum Alltag.
Um die Lage zu beruhigen, lud Ägyptens Generalstaatsanwalt für nächste Woche eine der beiden Priesterfrauen, die 26-jährige Camilia Shehata, bei der Justiz vor, um ihren religiösen Status zu klären. Samstagnacht trat die Gesuchte dann zusammen mit ihrem Mann, einem koptischen Priester, in dem von den USA aus operierenden Satellitenkanal Al Haya auf und versicherte, sie sei nicht zum Islam übergetreten und nach wie vor Christin.
Ursache dieser Konflikte ist eine Besonderheit im koptischen Personenstandsrecht, das anders als das islamische Personenstandsrecht Ehepaaren eine Scheidung verbietet. Koptische Paare, die sich scheiden lassen wollen, brauchen dazu eine Sondergenehmigung von Papst Shenouda III., die selten erteilt wird. Manche Betroffene treten daher zum Islam über, um von ihrem Partner loszukommen und wieder heiraten zu können.
Die Auseinandersetzungen zwischen der Minderheit der Kopten und der muslimischen Mehrheit haben jüngst erheblich an Härte zugenommen. So waren in der Neujahrsnacht bei einem Selbstmordanschlag auf die „Kirche der zwei Heiligen“ in Alexandria 23 Beter, die aus dem Gotteshaus kamen, getötet worden. Vor zwei Monaten kamen bei Straßenschlachten im Kairoer Armenviertel Muqattam 13 Menschen ums Leben, über 100 wurden verletzt. Vorletzte Woche blockierten Salafiten im oberägyptischen Qena tagelang die Fernzugverbindung nach Kairo und Alexandria, weil sie die Ablösung des koptischen Gouverneurs forderten. Der Militärrat gab dem Druck nach und suspendierte den Politiker zunächst für drei Monate.