Agrarwirtschaft und Tierschutz: Tierwohllabel: Die Groko täuscht die Verbraucher
Die Standards des Tierwohlabels sind so niedrig, dass Fleischproduzenten es schon erhalten sollen, wenn sie lediglich die bereits geltenden gesetzlichen Vorschriften erfüllen. Das ist grotesk! Ein Gastkommentar
Noch vor der Bundestagswahl hätte es eigentlich schon das neue staatliche Label „Mehr Tierwohl“ geben sollen, um im Laden Fleischprodukte aus tiergerechter Haltung auszuzeichnen. Zum Glück ist es dazu unter der alten großen Koalition nicht mehr gekommen. Denn das Label hält nicht, was es verspricht: Keinem Tier wird es besser gehen. Allerdings ist die Geschichte noch nicht zu Ende. CDU, CSU und SPD einigten sich in den Koalitionsverhandlungen am Samstag darauf, das Tierwohllabel noch in diesem Jahr einzuführen.
Dabei könnte man es viel besser machen: Statt eines staatlichen Mogel-Labels sollte im Koalitionsvertrag eine gesetzliche Haltungskennzeichnung für alle tierischen Produkte verankert werden – so wie bei den Eiern. Dann wissen Verbraucher, unter welchen Bedingungen die Tiere gehalten wurden, haben die Wahl und können informierte Kaufentscheidungen treffen – bei allen Produkten. Das geplante staatliche Label gibt ihnen diese Chance nicht. Warum also will die Regierung überhaupt ein Label?
Weil ihr immer bewusster wird, dass der Tierschutz, genau wie der Umweltschutz zuvor, inzwischen zu einer gesellschaftlichen Kernforderung geworden ist. Das Forsa Institut beispielsweise hat dem geschäftsführenden Bundeslandwirtschaftsminister, der Initiator des Labels ist, gesagt, dass 87 Prozent der Bürger fordern, dass es Tieren in der Landwirtschaft besser geht, und dass 88 Prozent dafür mehr Geld ausgeben würden. So sieht ein gesellschaftlicher Konsens aus. Aber den Verbrauchern fehlen Informationen; darum wünschen sich 79 Prozent eine Orientierungshilfe. „Ich werde deshalb ein staatliches Tierwohllabel einführen“, sagte Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) vor einem Jahr. So weit, so gut. Konsumenten müssen sich bei einem Fleischlabel, das eine bessere Behandlung verspricht, auf die Ehrlichkeit der Regierung und der Industrie verlassen können, weil man nicht sehen kann, wie mit den Tieren umgegangen wird. In diesem Fall aber werden Verbraucher enttäuscht. Denn die Standards des Labels sind so niedrig, dass Fleischproduzenten die Auszeichnung sogar dann erhalten sollen, wenn sie lediglich die bereits geltenden gesetzlichen Vorschriften erfüllen. Das ist ungefähr so, als wenn ein Autofahrer, der nett genug ist, bei Rot zu halten, eine Urkunde vom Kfz-Bundesamt bekäme.
Schweine leben weiter auf Beton und werden in Metallkäfigen fixiert
Konkret bedeuten die niedrigen Standards: Die Fleischproduzenten bekommen das Label auch dann, wenn sie Schweine weiterhin auf Beton ohne Stroh halten, was schmerzhafte Entzündungen der Klauen und Gelenke verursacht. Auch dann, wenn sie Sauen weiterhin wochenlang in einen Metallkäfig sperren, während die Tiere ihre Ferkel zur Welt bringen und säugen. Dort können sie nicht vor und nicht zurück und sich nicht umdrehen.
Zu guter Letzt sind selbst illegale Praktiken vor dem Label nicht sicher: Schweinen dürfen weiterhin die Ringelschwänze abgeschnitten werden, obwohl das seit 1994 gesetzlich verboten ist. Es gibt auch eine Verbesserung: Ein Schwein würde statt einem Quadratmeter nun 1,3 Quadratmeter Platz bekommen. Aber tiergerecht ist das noch lange nicht.
„Vier Pfoten“ hat in der Arbeitsgruppe des Landwirtschaftsministeriums, das die Standards des Labels festlegen sollte, seine Stimme erhoben, wurde aber ignoriert. Warum? Eine Vermutung: Es scheint, man wolle am Ende so tun, als ob der gesellschaftlichen Forderung nach mehr Tierschutz Rechnung getragen wird, während man gleichzeitig der Industrie für das freiwillige Label keine wirklichen Veränderungen abverlangt und schließlich darauf setzt, dass die Bevölkerung von alldem nichts merkt. Wir haben die Arbeitsgruppe deshalb verlassen.
So verläuft der Weg zum Wohl der Tiere nicht. Und selbst wenn ein besseres, ehrlicheres staatliches Label zu ein wenig mehr Tierwohl führen sollte: Viel effektiver wäre eine gesetzlich verbindliche Kennzeichnung, die Verbraucher über die Haltungsbedingungen aller Tiere informiert, genau wie die seit bereits zwölf Jahren geltende Stempelpflicht für Eier.
- Der Autor ist Geschäftsführer des deutschen Büros der international tätigen Stiftung für Tierschutz Vier Pfoten.
Rüdiger Jürgensen