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Der Spitzenkandidat der Partei Die Linke und derzeitiger Ministerpräsident Bodo Ramelow geht durch den Thüringer Landtag.
© Frank May/dpa

Schwierige Koalitionsbildung: Thüringen wird zum Politlabor

Die herkömmlichen Bündnisse tragen nicht mehr. Für die demokratischen Parteien ist das eine Bewährungsprobe. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Das ist mal eine Wahl! 1,73 Millionen Menschen konnten ihre Stimme abgeben – und bestimmen damit nicht nur die Zukunft in ihrem Land, sondern die Stimmung in der Republik mit ihren 82,79 Millionen Bürgern. So sieht’s aus, nachdem die Thüringer – wie soll man sagen – versucht haben, sich ein neues Parlament und eine neue Regierung zu geben. Wäre es nicht bedenklich, könnte man über den Kalauer „Hier geht es um die Wurst“ lachen. Denn so wie es aussieht, passt nichts so recht zusammen. Ein Menetekel für den Bund?

Alle nur erdenklichen Kombinationen sind schwach. Oder halt: Eine wäre es nicht, aber die hat die CDU auf dem Parteitag bundesweit ausgeschlossen, die Kombination mit den (immerhin hier im Land regierenden) Linken. Dabei sahen so bedeutende Christdemokraten wie der erste gesamtdeutsche Bundespräsident, Richard von Weizsäcker, und der einstige Quer- und Vordenker Heiner Geißler schon vor Jahren darin die eigentliche Vollendung der Einheit. Eine Versöhnung über Gräben und Grenzen hinweg.

Aber eben alles andere ist siech, das, was bisher als gangbar galt. Für Rot-Grün hat es schon vorher nicht gelangt, für Schwarz-Grün auch nicht. Kenia (CDU, SPD, Grüne) dito. Ausweg Simbabwe (CDU, SPD, Grüne, FDP) – das zu argumentieren wäre auch bei stabiler Mehrheit schwierig. Und Rot-Rot-Grün, das amtierende Bündnis? Das könnte sogar auch als Minderheitsregierung weitermachen, müsste sich dann von Fall zu Fall einen Partner suchen.

Aber trotzdem: Das muss man sich mal vorstellen, dass drei Parteien nicht oder nur knapp reichen, um eine Koalition zu bilden – das hat die Republik noch nicht gesehen. Wer nun unbedingt etwas Positives daran finden will, und das muss man vielleicht, um die Demokratie nicht schlechtzureden, kann sagen: Thüringen wird zum Politlabor. Da müssen sie miteinander in ungekannter Weise zurechtkommen, damit die auf der äußersten Rechten unter ihrem (An-)Führer Björn Höcke nicht noch stärker werden. Sondern schwächer, weil eben die anderen so besonders gut regieren, weil sie auf die Menschen hören, sie in neuer Weise beteiligen, dafür neue Wege gehen. Ist das wahrscheinlich? Wahrscheinlich nicht.

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Was bleibt, ist – Bodo Ramelow. Der erste Ministerpräsident der Linken, der sich als solcher kaum mehr zu erkennen gibt und eine allseits geschätzte Figur macht. Als der Kretschmann des Ostens, nach Winfried Kretschmann, dem ersten grünen Regierungschef im lange konservativ regierten Baden-Württemberg. Auch Thüringen war nach der Wende eine CDU-Bastion, vor 20 Jahren gab es sogar eine absolute Mehrheit. Jetzt aber Ramelow. Wer den ablösen will, muss schon legitimiert sein.

Denn ansonsten gilt: Der Ministerpräsident kann in jedem Fall noch mindestens ein Jahr weiterregieren. Das gibt die Landesverfassung her, die keine Frist zur Regierungsbildung nennt. Ramelow bliebe so lange geschäftsführend im Amt, bis ein neuer gewählt ist.

Er könnte dann zwar keine neuen Minister ernennen, aber er hat ja noch seine alten. Und beim Haushalt vorgesorgt. Da ist er ganz (linker) Machtpolitiker: Das Haushaltsgesetz schließt das nächste Jahr mit ein.

Thüringen, ein Menetekel für den Bund? Wie man’s nimmt. Regierungschefin Angela Merkel ist seit einer Weile ja auch eher geschäftsführend im Amt. Das aber ganz erfolgreich.

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