Studie zu Kindergeld: Teilen und Haben und Teilhaben
Was machen Familien mit den staatlichen Geldern für Kinder? Eine Kolumne.
Aufatmen allenthalben: Der Bundeshaushalt steht, das Land ist reich. Rechtzeitig zur Milliardendebatte um die Begehrlichkeiten der Ministerien und Ressorts hatte eine Studie der Bertelsmann-Stiftung Bedenken gegenüber höheren Leistungen für Familien beschwichtigt.
Denn was, so wird ja oft gefragt, geschieht eigentlich damit? Zum Beispiel mit den zehn Euro mehr Kindergeld pro Monat, die ab 2019 auf die Konten kommen? Oder: Wie verwenden Eltern ihr Landeserziehungsgeld, das fünf Bundesländer für untere Einkommensklassen bereitstellen?
Das Geld wird nicht systematisch zweckentfremdet
Nein, Eltern gäben die Gelder keineswegs wie häufig behauptet für Alkohol, Tabak, Smartphones und Flachbildfernsehapparate aus. „Kommt das Geld bei den Kindern an?“, lautet der Titel der Studie, die „kausale Effekte von Geldleistungen auf die verschiedenen Zielgrößen“ untersucht. Federführend ist der Volkswirtschaftler Holger Stichnoth vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Er ist Experte für Familienökonomik, „verhaltensbasierte Mikrosimulation“ und „Erwerbsanreize im Niedriglohnbereich.“ Ein Fachmann.
„Aus unserer Sicht wird das Geld eben nicht systematisch zweckentfremdet“, erläutert er im Video zur Studie auf der ZEW-Website. Investiert werde vielmehr in Musikunterricht, Kinderturnen oder bessere Wohnbedingungen. Es bestehe zwar das Risiko, „dass die Eltern die sozial erwünschten Antworten liefern“. Doch dieses sei aus Sicht der Forschenden „eher klein“, da nicht bezogen auf die Leistungen, sondern ganz allgemein nach den Ausgaben der Eltern gefragt wurde.
Andere Fälle gäben keinen Anlass, nur auf Sachleistungen zu setzen. Das liege auch daran, dass der Verwaltungsaufwand dafür sehr hoch sei, etwa 30 Prozent allein beim Bildungs- und Teilhabepaket des Ministeriums für Arbeit und Soziales. In Anspruch genommen wurden dessen Angebote übrigens offenbar von kaum der Hälfte der Berechtigten. All dies spreche, so Stichnoth, für eine Kindergrundsicherung oder ein Teilhabegeld.
Ob die Studie gutwillig ausgewertet wurde, ist sekundär
So weit, so gut, so sozial und hilfsbereit gedacht. Die Intention ist ja völlig richtig! Zweifel aber bleiben – erhebliche Zweifel. Vielleicht waren sie auch schon bei der Planung der Studie präsent, die darauf verzichtet hat, solche Familien zu erkunden, in denen mit Hartz-Transferleistungen gewirtschaftet wird. Doch welche Person würde überhaupt auf die Frage, was ihr oder sein Haushalt mit staatlichen Mitteln anschafft, freimütig antworten: „Bier, Handys, DVD-Player und World of Warcraft!“
Die Studie freut sich zwar, es werde „von den wenigsten der befragten Familien erwogen“, bei den Bedürfnissen ihrer Kinder zu sparen. Doch sie beklagt zugleich „plakative“ Berichte von Sozialarbeitern, wonach viele Kinder armer Eltern ohne Frühstück zum Unterricht kämen.
Allerdings berichten das auch Lehrerinnen und Lehrer, Kita-Erzieherinnen und -Erzieher. Und es reichen an sich schon einige Stunden der so erschütternden – wie umstrittenen – dokumentarischen Langzeitstudien „Hartz und herzlich“ des Senders RTL II über die Eisenbahnsiedlung Duisburg, die Benz-Baracken in Mannheim oder den Stadtteil Salzgitter-Lebenstedt aus, um zu erkennen, dass Sorgen in der Sphäre der Armut vielfach eben um die Konsumprodukte kreisen, für die Familien angeblich keine staatlichen Gelder ausgeben, und keineswegs um Cello-Stunden, Mathe-Nachhilfe oder Tennisvereine. Wie auch, wo das Wissen nie erworben werden konnte?
Ob die Bertelsmann-Studie nun eher gutwillig ausgewertet wurde, ob sie auf ihre eigenen Statistiken hereinfällt, und wie tief sie tatsächlich ins Geländer der Wahrheit eindringt, scheint gleichwohl sekundär.
Ein reicher Staat muss die Türen zur Teilhabe öffnen
Primär wäre die Einsicht: Ein reicher Staat, der für alle da ist, rückt nicht nur zehn Euro mehr pro Kind und Monat raus. Ein reicher Staat, der für alle da ist, öffnet, zusätzlich oder stattdessen, vor allem die Türen zur Teilhabe, überall und unbürokratisch. In einem solchen Staat gibt es keine Kosten für Schulmaterial, für Kantinenessen in Schulen, keine Kosten für Nachhilfe, Sportvereine und Musikunterricht an Instrumenten, keine Gebühren für Bibliotheken, keinen Eintritt für Museen und Konzerte. Nicht einen Cent.
Zumindest für alle, die von Transferleistungen leben: Die, die haben, teilen. Und die, die nicht haben, haben teil. Alles, was Kinder und Jugendliche auf diese Weise erhalten, kann ihnen niemand mehr nehmen.