Übergriffe in Köln: Täter waren "nicht hierarchisch strukturiert"
Polizei und Justiz arbeiten die Übergriffe am Kölner Bahnhof in der Silvesternacht auf. Es gibt erste Übersichten zu Opfern und Verdächtigen - auch aus anderen Bundesländern.
Die Straftäter aus der Silvesternacht in Köln und anderen Städten sind nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes und der ermittelnden Behörden nicht der organisierten Kriminalität zuzurechnen. Vielmehr handelte es sich offenbar um eine Vielzahl verschiedener, einzelner Taten der sexuellen Nötigung und Beleidigung, Diebstähle, Raub und Körperverletzungen.
Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) zufolge gibt es bislang keine Erkenntnisse, dass die Täter die Übergriffe bereits vor Silvester absprachen. Hinweise auf "gruppenweise Verabredungen" lägen nicht vor. Die Verdächtigen stammten auch nicht aus der "Antänzer-Szene" von Trickdieben, die ihre Opfer bedrängen. Sie seien nicht straff organisiert und "nicht hierarchisch strukturiert", sondern "eher heterogen zusammengesetzt". Am Kölner Hauptbahnhof hätten sich zu Silvester offenbar mehrere Gruppen von Männern über soziale Netzwerke zum Feiern verabredet, "und das ist völlig aus dem Ruder gelaufen", sagte Jäger.
Die Staatsanwaltschaft Köln will die massenhaften Angriffe in der Silvesternacht rasch vor Gericht aufarbeiten. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft erklärte, er erwarte zügig Anklagen gegen Verdächtige, denen Diebstahl vorgeworfen werde. Demnach sitzen acht Verdächtige in Untersuchungshaft, deren Fälle schnell vor Gericht kommen sollen. Der Polizei liegen nach Angaben von Jäger 821 Anzeigen im Zusammenhang mit Straftaten in der Silvesternacht vor.
Auch 194 Männer haben Diebstähle, Beleidigungen und Verletzungen angezeigt
Aus einer Liste, die dem Tagesspiegel vorliegt, geht hervor, dass es sich in 359 Fällen davon um Anzeigen wegen Sexualstraftaten handelt. Die meisten dieser Taten fanden demnach in der Stunde vor und nach Mitternacht statt. 194 der Opfer insgesamt waren Männer, ganz überwiegend haben sie Anzeigen wegen Diebstahl erstattet, einige auch wegen Beleidigungen oder Körperverletzung. In 26 Fällen wird das Geschlecht der Opfer mit "ohne/unbekannt" angegeben. Vielfach wurden Menschen demnach auch in kleinen Gruppen Opfer der Übergriffe.
Die Liste der Kölner Polizei können Sie hier einsehen.
BKA veröffentlicht Übersicht zu Übergriffen in zwölf Bundesländern: Keine "organisierte Kriminalität"
Das Bundeskriminalamt hat in einem einem vertraulichen Lagebericht Übergriffe von Männergruppen auf Frauen in der Silvesternacht in zwölf Bundesländern zusammengestellt. „Es gab in dieser Nacht in mehreren Bundesländern in unterschiedlicher Form und sehr unterschiedlicher Anzahl ähnliche Delikte“, sagte ein BKA-Sprecher dazu, ohne Details zu nennen. Es geht dabei vor allem um Diebstahl und Sexualstraftaten. Erkenntnisse zu Verabredungen unter den Tätern lägen in den meisten Fällen nicht vor, zitieren WDR, NDR und „Süddeutsche Zeitung“ aus dem Bericht des BKA.
In keinem Fall gebe es Erkenntnisse zu organisierter Kriminalität. Die meisten Anzeigen wurden dem Bericht zufolge bis zum Stichtag 13. Januar in Nordrhein-Westfalen (1076) erstattet - mit den Schwerpunkten Köln, Düsseldorf und Bielefeld. Ähnliche Vorfälle in Hamburg sind schon länger bekannt, hier gingen nach Angaben der Polizei vom Donnerstag bisher 218 Strafanzeigen ein - das sind schon mehr als im BKA-Bericht ausgewiesen. In Hessen wurden laut BKA 31 Fälle von sexueller Nötigung, Beleidigung und Diebstahl gemeldet. In Bayern gab es 27 „Antanzdiebstähle“, in Baden-Württemberg 25 und in Bremen 11 - dort ohne sexuelle Belästigung.
Aus Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen sind demnach keine derartigen Delikte gemeldet worden.
NRW-Innenminister: Polizisten haben "versucht zu retten, was nicht mehr zu retten war"
Der nordrhein-westfälische Innenminister Jäger hatte am Donnerstag vor dem Innenausschuss des Landtags erklärt, dass zu den Taten in Köln bislang 30 Verdächtige ermittelt worden seien, 25 davon stammten aus Marokko oder Algerien. Der Minister hatte der Kölner Polizeiführung gravierende Fehler vorgeworfen, weil diese die Taten zu spät bemerkt und verspätet kommuniziert habe.
Vor dem Innenausschuss bekräftigte Jäger nun, dass den wenigen eingesetzten Beamten hingegen nichts vorzuwerfen sei. Die Polizisten hätten bei dem Silvester-Einsatz am Kölner Hauptbahnhof und am Dom "versucht zu retten, was nicht mehr zu retten war".
Jäger kündigte zudem Unterstützung für den von der Landtags-Opposition beantragten Untersuchungsausschuss zu den Silvester-Vorfällen an. Sein Ministerium habe "nichts zu verbergen", sagte er: "Alles muss auf der Tisch." Die Oppositionsfraktionen von CDU und FDP im NRW-Landtag hatten den Antrag auf Einsetzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses am Dienstag beschlossen.
Bei dem unzureichenden Polizeieinsatz in der Kölner Silvesternacht hatten die Beamten nicht verhindern können, dass rund um den Bahnhof aus kleineren Gruppen von Männern heraus Frauen sexuell angegriffen, bedroht und bestohlen worden. (Tsp/AFP/rtr/dpa)