Konflikt in Afghanistan: Taliban erobern zweitgrößte afghanische Stadt Kandahar
Die radikalislamischen Taliban die Städte Kandahar und Herat erobert. Sie rücken weiter mit Höchstgeschwindigkeit auf Kabul vor.
Beim Vormarsch der Taliban in Afghanistan ist am Donnerstag die zweitgrößte Stadt Kandahar in die Hände der Islamisten gefallen.
Stunden zuvor hatten die Taliban die drittgrößte Stadt Herat erobert. Mit Kandahar eroberte die Miliz innerhalb einer Woche die zwölfte Provinzhauptstadt. Zudem rückten die Taliban weiter auf Kabul vor und nahmen die Provinzhauptstadt Ghasni ein, die 150 Kilometer von der Hauptstadt liegt.
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Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) kündigte an, im Falle einer kompletten Eroberung Afghanistans durch die Taliban würden die deutschen Finanzhilfen gestoppt. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) schloss einen erneuten internationalen Truppeneinsatz aus.
"Wir mussten die Stadt verlassen, um weitere Zerstörung zu verhindern", hieß aus Sicherheitskreisen der Regierung nach der Eroberung Herats durch die Islamisten. Die afghanischen Regierungstruppen hätten sich in Armee-Stützpunkte außerhalb der Stadt zurückgezogen.
Die Stadt ist Stützpunkt der Truppen des mächtigen Kriegsherrn Ismail Khan, der seit Wochen versuchte, die Taliban aufzuhalten. Nach heftigen Kämpfen am Donnerstag nahmen die Extremisten unter anderem das Polizei-Hauptquartier ein und hissten ihre Flagge auf dem Dach, wie ein AFP-Journalist berichtete.
Dutzende Militärfahrzeuge und Waffen fielen in die Hände der Taliban, wie einer ihrer Sprecher mitteilte. Soldaten hätte ihre Waffen niedergelegt und sich den "Mudschahedin" angeschlossen.
Regierungstruppen haben Kontrolle über größten Teil des Nordens verloren
Die Regierungstruppen haben mittlerweile die Kontrolle über den größten Teil des Nordens und Westens von Afghanistan verloren. Am Donnerstag fiel auch die Stadt Ghasni südlich von Kabul an die Islamisten. Die Regierung in Kabul kontrolliert neben der Hauptstadt lediglich noch eine Handvoll Gebiete und vielerorts belagerte Städte.
Die strategisch wichtige Provinzhauptstadt Ghasni liegt an einer zentralen Verbindungsstraße zwischen Kabul und Kandahar. Die afghanischen Streitkräfte sind zunehmend von Verstärkung über den Landweg abgeschnitten. Mit dem Verlust von Ghasni dürfte der Druck auf die ohnehin überlastete Luftwaffe wachsen.
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Aus den Städten Laschkar Gah und Kandahar im Süden des Landes, wo die Taliban traditionell stark sind, wurden am Donnerstag weiterhin Kämpfe gemeldet. Im Norden hatten die Taliban ohnehin schon eine ganze Reihe von Provinzhauptstädten erobert, darunter die früheren Bundeswehrstandorte Kundus und Faisabad.
Verhandlungen in Doha
Angesichts dieser Entwicklung boten Unterhändler der Regierung den Vertretern der Taliban am Donnerstag bei Verhandlungen in Doha an, die Macht zu teilen und dafür die Kämpfe zu beenden, wie es aus afghanischen Regierungskreisen hieß. Der Friedensprozess, der im September in der Hauptstadt Katars angestoßen worden war, geht jedoch bereits seit Monaten nicht mehr voran.
Das Auswärtige Amt forderte alle Deutschen "dringend" auf, das Land zu verlassen. Ressortchef Maas kündigte im ZDF an, im Falle einer Eroberung des Landes die deutschen Hilfszahlungen von 430 Millionen Euro pro Jahr einstellen zu wollen. "Wir werden keinen Cent mehr nach Afghanistan geben, wenn die Taliban komplett übernommen haben, die Scharia einführen und dieses Land ein Kalifat wird."
Kramp-Karrenbauer plädierte ihrerseits im Gespräch mit der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft dafür, dass Hilfsgelder als Druckmittel eingesetzt werden sollten. Für einen erneuten internationalen Einsatz sieht die Ministerin derweil "keine Chance".
Die Bundesverteidigungsministerin nannte die Geländegewinne der Taliban "sehr, sehr bitter" - "gerade mit Blick auch auf unseren Einsatz in den vergangenen 20 Jahren". Es sei nicht gelungen, "aus Afghanistan ein anderes Land zu machen, es nachhaltig positiv zu wenden", sagte sie im Deutschlandfunk.
Hunderttausende sind in Afghanistan bereits vor den Kämpfen geflohen. In Kabul ist in den vergangenen Tagen eine große Zahl an Vertriebenen eingetroffen, die nun zum Teil in Parks und auf öffentlichen Plätzen campieren. (AFP)