Angela Merkel und Sigmar Gabriel: Szenen einer Zweckehe
Liebe hat sie nicht zusammengeführt, bloß Notwendigkeit. Seit einem Jahr pflegt die Große Koalition öffentlich einen so treuen Umgang, dass es fast langweilt. Dabei ist sie oft ein eher mürrisches Bündnis. Möglich, dass man das bald öfter merkt.
Rumpöbeln entlastet das Seelenleben und das der eigenen Truppe, aber es kostet was. Am Dienstag im Frühstücksfernsehen hat Volker Kauder sehr mit sich zufrieden gewirkt, als er der Frau Familienministerin mal so richtig einen mitgegeben hat: Die soll in Sachen Frauenquote den Koalitionsvertrag umsetzen, diese Manuela Schwesig, nicht so „weinerlich“ sein, und gut wär’s!
Tags darauf ist Zahltag. In der Nacht hat sich eine Koalitionsrunde im Quotenstreit geeinigt. Am nächsten Morgen debattiert der Bundestag den Kanzlerinnenhaushalt, traditionell der Platz zur politischen Generalabrechnung. Das Wort hat der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Ein „Quötchen“ sei das geworden, spottet der langmähnige Blonde – und dafür so ein „Heulkonzert“ der Herren von CDU und CSU! Die Grünen applaudieren, doch nicht nur sie: Auch von der SPD schicken etliche einen kleinen Beifall herüber. Kauder schaut grimmig. Wenn es ein Koalitionsthermometer gäbe zur Messung der Betriebstemperatur im Regierungsbündnis, würde es jetzt kurz mal unter null sinken.
Das ist einerseits schade für die eigentlich fällige Jubiläumsstimmung, aber andererseits in Ordnung, weil die Jubilare selbst auf Feiern keinen Wert legen. Angela Merkel erwähnt den Anlass nicht einmal. Dabei ist es genau ein Jahr her, dass die Spitzen von Union und SPD sich ins Willy-Brandt-Haus zurückzogen und so lange in Klausur blieben, bis im Morgengrauen die zweite große Koalition unter ihrer Kanzlerschaft vereinbart war.
Nüchternheit zweiter Ehen
Schwer zu sagen, ob der Mangel an Feierlaune schlicht der Vergesslichkeit in hektischen Zeiten geschuldet ist, der Nüchternheit zweiter Ehen oder den Nachwehen des Quotenzoffs. Dabei böte gerade der einen Anlass zur Zwischenbilanz. Der giftige Zwist um ein Gesetz hat für ein breites Publikum etwas aufblitzen lassen, das man sonst nur aus der Nähe erkennen kann: Was da seit zwölf Monaten zusammen regiert, ist ein zeitweise ziemlich mürrisches Bündnis. Gut möglich, dass man das in nächster Zeit noch öfter merkt.
Eine Liebesheirat war es ja ohnehin nie, eher eine Notehe. Merkel war anfangs nicht überzeugt davon. Hin- und hergerissen sei die CDU-Chefin damals gewesen zwischen ihrem Kanzleramtschef Ronald Pofalla, der schon vor der Wahl den Plan zum Bündnis mit der SPD im Kopf hatte, und Kauder, dem baden-württembergischen Schwarz-Grünen, berichtet einer, der dabei war. Für Sigmar Gabriel war der Weg in diese Regierung erst recht ein Husarenritt mit hohem Risiko, an der eigenen Partei zu scheitern.
Das Trio trifft sich zum Frühstück
Es kam bekanntlich anders: Die SPD-Basis machte ihren Vorsitzenden zum Vizekanzler und nebenbei zum Helden der innerparteilichen Demokratie. Aber etwas von diesem zögernden, notgedrungenen Anfang ist geblieben. Als die Kinderporno-Krise um den SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy den CSU-Minister Hans-Peter Friedrich das Amt kostete und den SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann um ein Haar das seine auch, stand das Bündnis ernsthaft am Abgrund.
Mittlerweile ist das fast vergessen. Nur in Oppermann muss damals etwas nachhaltig erloschen sein. Der einst so spitzbübische Niedersachse beschränkt sich seither darauf, mit dem Duz-Kollegen Kauder und der CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt im koalitionären Maschinenraum zu werkeln. Das Trio trifft sich in den Sitzungswochen dienstags zum Frühstück. Man regelt dort leise und effektiv den Alltag. Wenn es ernsthaft hakt, setzen sich die drei Parteivorsitzenden zusammen. Die sogenannte große Koalitionsrunde steht im Koalitionsvertrag, hat aber bisher nur ein einziges Mal getagt und nichts beschlossen. Merkel, Gabriel und Seehofer finden, das reicht auch an Mitbestimmung. Ihre Krisen- Triorunde bleibt wenigstens vertraulich.
Eine Phase koalitionärer Nickeligkeiten
Die nicht Eingeladenen nehmen es notgedrungen mit Humor. Am Dienstagabend mussten die Fraktionsgeschäftsführer und Generalsekretäre schon wieder draußen bleiben, weil sich mit Quote und anderem nur die Partei- und Fraktionsspitzen befassten. „Vielleicht haben die Parteivorsitzenden gesagt: Die jungen Leute müssen früh ins Bett“, beschied CDU-General Peter Tauber Nachfragen. Generalsekretäre spielen in dieser Koalition generell nicht die Rolle, die sie noch in der schwarz-gelben gespielt hatten, wo sie mit „Wildsau“ und „Gurkentruppe“ stellvertretend Kriege auszutragen hatten. So etwas passiert hier nicht. Man verhält sich derart demonstrativ koalitionstreu, dass es an Langeweile grenzt. Umso mehr spitzten alle die Ohren, als vor zwei Monaten ausgerechnet der schlafbedürftige Tauber zum ersten Mal über die Ministerin Schwesig herzog: Die Frau sei für Christdemokraten manchmal ja nur schwer erträglich! Der Satz fiel in eine Phase koalitionärer Nickeligkeiten rund um die Landtagswahlen im Osten. Gabriel machte sich dafür über Ursula von der Leyen lustig, die – Gekicher in der SPD-Fraktion – neuerdings ständig bedeutungsvoll Feldherrinnenblicke in die Ferne werfe, vermutlich auch im Kopierraum des Verteidigungsministeriums.
Abtasten auf Schwachstellen
Man könnte sagen, in Sachen Macker-Sprüche stehe es nun eins zu eins. Man könnte sogar behaupten, Tauber wie Gabriel hätten der gesamten Koalition aus dem Herzen gesprochen, weil Schwesig in ihrer jugendfrischen Pionierleiter-Art vielen in der SPD genauso auf die Nerven geht wie Leyen mit ihrem Kruppstahlstrahlen vielen in der Union. Aber hinter den Scharmützeln steckte etwas anderes. Man tastet sich immer mal wieder gegenseitig ab auf Schwachstellen.
Das ist noch nicht richtig ernst gemeint. Dafür ist es zu früh. Merkel hat kein Interesse an Konflikten, schließlich ist sie für das Gegenteil gewählt worden. Seehofer reicht häufig der Theaterdonner. Aber irgendwann werden sie aufeinander losgehen. Denn irgendwann wird Sigmar Gabriel es losgehen lassen müssen. Und ob Angela Merkel ihre eigenen Leute dann im Zaum halten kann, ist alles andere als sicher. Man könnte nämlich die noch kurze Geschichte dieser Koalition auch als Wellenbewegung von Unzufriedenheit beschreiben. Lange waren die Mürrischen vor allem bei der Union zu finden. Je eifriger die SPD-Minister ans Werk gingen und je mehr sozialdemokratisch geprägte Gesetze vom Entwurf zum Beschluss und zur Wirklichkeit wurden, desto saurer wurden die Mienen. Bei den Wirtschaftsnahen in der Union sowieso, aber selbst aus dem Sozialflügel der CDU/CSU gab es Gemurre. Sicher, den Mindestlohn hatte man selbst auf der Wahlkampfagenda gehabt; aber muss diese Andrea Nahles so darauf pochen, dass ein SPD- Traum Wirklichkeit werde?
Ein förmlicher Jetzt-reichts-Beschluss
Es trug auch nicht zum Frieden bei, dass bis hinein in die Fraktionsspitze in CDU und CSU das Gefühl herrschte, dass manche Sozen gezielt mogelten. „Die versuchen dauernd, in ihren Gesetzentwürfen Zusatzwünsche zu verstecken“, ärgerte sich im Frühsommer ein Unionsmann. Als dann der Eindruck überhandnahm, dass der 42-Prozent-Wahlsieger vom kleinen Partner und seinen Projekten in der öffentlichen Wahrnehmung an die Wand gedrückt wird, fasste Kauders Fraktionsvorstand einen förmlichen Jetzt-reichts-Beschluss: Der Koalitionsvertrag wird umgesetzt, aber kein Deut mehr.
Seither hat das Murren in der Union merklich nachgelassen. Sie haben jetzt etwas an der Hand, um auch mal selbst Erfolge zu feiern – solche des Verhinderns nämlich. Doch in dem Beschluss steckt beträchtliche Sprengkraft. „Ende dieses Jahres wird der Koalitionsvertrag in seinen zentralen Projekten abgearbeitet sein“, rechnet ein Koalitionär vor. Den SPD-Ministerinnen in sozialdemokratischen Herzensressorts zum Beispiel, Nahles im Arbeitsministerium, Schwesig bei der Familie, bliebe dann theoretisch nur noch die Verwaltung des Erreichten – oder der Konflikt.
Noch übt sich die SPD in banger Geduld. Doch die hat Grenzen
Das ist doppelt ungünstig, weil diese Phase der absehbaren Projektarmut damit einhergeht, dass sich die Welle der Unzufriedenheit auch sonst gerade eher Richtung SPD verschiebt. Denn mit jeder neuen Umfrage verfestigt sich ein böser Verdacht: Wir sind die treibende Kraft der Koalition – es honoriert bloß keiner. Die Umfragewerte bleiben wie festgefroren da, wo sie bei der letzten Wahl waren, irgendwo zwischen 23 und 26 Prozent. Optimisten trösten sich mit dem Gedanken, dass die Wohltaten ja erst bei den Leuten ankommen müssten. Den Rest der Partei plagt eine Sorge, die einer auf die Formel bringt: „Wiederholt sich die Geschichte?“ Schon einmal hat sich die SPD in einer Koalition mit Merkel als Riese an Tatkraft gefühlt und kam als Zwerg aus der nächsten Wahl raus. Gabriel hat der Partei versprochen, dass es diesmal anders wird. Dass er als Vizekanzler und Wirtschaftsminister es schaffen wird, der Union die Mitte der Gesellschaft streitig zu machen. Dass dafür allerdings vorerst Ruhe an der Front sein müsse, Geduld, Vertrauen aufbauen durch erfolgreiches Regieren.
Dass Merkel noch einmal antritt, gilt als ausgemacht
Bisher funktioniert die Anordnung so gut, dass die SPD über sich selbst staunt. Selbst die Neuorganisation der Parteilinken macht so gut wie kein Geräusch. Und zu den Mautplänen der CSU habe man geradezu staatstragend geschwiegen, sagt einer. Aber das ändere nichts an dieser Grundnervosität, die in der Frage münde, was man denn um Himmels willen noch tun solle: „Der Wirtschaftsminister ist ein Sozialdemokrat, man hat einen gottgleichen Außenminister ...“
Noch übt sich die SPD in banger Geduld. Nur wenn gelegentlich über Gabriel der Spottname „Klein-Schröder“ fällt, lässt das erahnen, dass die Geduld Grenzen hat. Schröder hat es damals geschafft, Wähler aus der bürgerlichen Mitte anzuziehen. Aber das war Groß- Schröder, und zu schlagen hatte er nicht die Beliebtheitskönigin Merkel, sondern nur den überreifen Helmut Kohl.
Dass Merkel 2017 noch einmal antritt, gilt übrigens parteiübergreifend als ausgemacht. In der Zwischenzeit sorgt sie dafür, dass der Koalitionspartner ruhig bleibt. Als der Quotenstreit zum ersten Mal hochkochte und die CSU-Frau Hasselfeldt von Verschieben redete, würgte die Kanzlerin den Versuch am nächsten Tag ab. Jetzt, wo es wieder klemmte, räumte sie mit Gabriel zusammen die Streitpunkte kurz vor der koalitionären Nachtsitzung im Kanzleramt beiseite.
Details für Experten
In der Sache haben Kauder und Hasselfeldt dabei bekommen, was sie wollten: Die Handvoll Detailvorschriften, mit denen Schwesig über den Koalitionsvertrag hinauszuschießen versuchte, sind gestrichen. Optisch verloren hat die Union sie trotzdem. Die Details sind etwas für Experten. „Ich freue mich darüber, dass die Quote kommt“, sagt Schwesig am Mittwoch in einem Tonfall, als liege allein darin ein Riesenerfolg. „Sie feiert, dass das überhaupt kommt“, ärgert sich einer aus der Union. Dabei stand das nie infrage.
Es wirkte aber so. Dafür, dass es nur um Details ging, war der Protest zu laut. Den Spott haben sie jetzt sowieso. Am Mittwoch marschiert Volker Kauder als fünfter Redner ans Bundestagspult. Kaum ist er oben, wedeln Grünen-Abgeordnete mit Taschentüchern. Bei der SPD grinsen wieder welche. Wie hatte Hofreiter vorhin gestichelt? „Heul doch!“
Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.