Friedensnobelpreis 2016: Syriens Weißhelme oder Wladimir Putin?
Heute wird der Träger des Friedensnobelpreises bekannt gegeben. Der Krieg in Syrien könnte eine Rolle spielen. Welche Vorstellung von Frieden wird geehrt? Ein Gastkommentar.
Das vom norwegischen Parlament mit der Auswahl des Friedensnobelpreisträgers beauftragte Komitee ist immer wieder für Überraschungen gut. Wie im Jahr 2009, als der Preis an US-Präsident Barack Obama ging, der damals erst neun Monate im Amt war. Sein Beitrag zum Weltfrieden bestand zu dem Zeitpunkt lediglich aus Absichtserklärungen. Bis heute fragt man sich, was der „Commander in Chief“ für den Frieden zum Beispiel in Nahost geleistet hat.
Der Atomdeal mit dem Iran hat zwar zweifelsohne eine größere internationale Krise abgewendet. Aber während die Experten mit den Details dieses technisch diffizilen Themas befasst waren, setzte Syrien seine Höllenfahrt fort, Konnte der "Islamische Staat" wachsen und gedeihen. Ein Kandidat für den Friedensnobelpreis namens Wladimir Putin wäre ebenso überraschend und zweifelhaft wie die Anerkennung von Obamas Leistungen vor sieben Jahren.
Konzept der Befriedung
Der russische Präsident ist deutlich im Vorteil, denn er steht für eine bestimmte Vorstellung von Frieden, die ihm mächtigen Tatendrang verleiht. In seinem Verteidigungsministerium lagern militärische Lageberichte mit Titeln wie „Zentrum für die Versöhnung der Gegner in Syrien”. Ja, "Versöhnung" – das klingt ja auch edler und ehrenvoller als der von den Kolonialtruppen geliebte Begriff "Pazifikation", also "Befriedung".
Sollten dem Komitee in Oslo Argumente für die Nominierung Putins fehlen, stelle ich gern die zahllosen Hassmails zur Verfügung die ich tagtäglich erhalte – mehr von Kreml-Unterstützern als von der Assad-Seite. Nachdem man sie von Beleidigungen und Verleumdungen bereinigt hat, offenbart sich in diesen Nachrichten eine klar umrissene, globale Vision. Und es wird deutlich, dass demzufolge Frieden nur möglich sei, nachdem diverse „Verschwörungen“ gegen die Souveränität von UN-Mitgliedstaaten zerstört wurden.
Kriegsverbrechen gegen die Helfer
Derzeit zahlen die für den Friedensnobelpreis 2016 nominierten Weißhelme den schrecklichsten Tribut für die Bombardierungen Aleppos, die von der russischen Luftwaffe und in geringerem Maß vom syrischen Regime geflogen werden. Die unbewaffnete und unparteiische Gruppe, die auch als Syrische Zivilschutzorganisation bezeichnet wird, besteht aus 3000 Freiwilligen, die in diesem Konflikt ohne Ansehen der Person Leben retten. Seit ihrer Gründung im März 2013 wurden 141 Helfer landesweit getötet. Die russischen Kampfjets nahmen erst kürzlich systematisch die Weißhelmzentren in Gebieten von Aleppo ins Visier, die von den Aufständischen kontrolliert werden. Diese Luftangriffe sind Teil einer bewussten Zerstörungskampagne, die auf die Nothilfe- und Gesundheitsinfrastruktur abzielt und von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon als "Kriegsverbrechen" bezeichnet wurden.
Am 29. September 2016 berichtete der Leiter der Weißhelme, Raed al Saleh, vor den Vereinten Nationen in New York von dem Horror, der über Aleppo gekommen ist. Die am 16. Juni ermordete britische Abgeordnete Jo Cox hatte sich öffentlich dafür stark gemacht, die syrischen Weißhelme mit dem Friedensnobelpreis zu ehren. In ihrem Namen veröffentlichten Dutzende Parlamentarier aus ganz Europa einen kollektiven Aufruf zugunsten der Ehrung der Weißhelme. Eine ähnliche Petition wurde bereits von 150.000 Menschen unterzeichnet. Diese Bürgerbewegung wird die Bombardierungen in Syrien und speziell in Aleppo zwar nicht aufhalten, erinnert jedoch an die zivilen Opfer und zeigt ihren Helfern, dass die Welt sie nicht völlig vergessen hat.
Die vergangenen Wochen haben in den Vereinten Nationen deutlich gezeigt, dass die syrische Tragödie Teil unseres kollektiven Schicksals ist. Das Nobelpreiskomitee hat nun die Wahl: Putin oder Weißhelme, ein Frieden der Friedhöfe oder ein Frieden der humanitären Helfer. Wir warten gespannt auf die Entscheidung. Am 7. Oktober 11 Uhr ist es in Oslo soweit.
Jean-Pierre Filiu ist Professor an der Sciences Po, Paris School of International Affairs (PSIA)
Jean-Pierre Filiu