Nach „Pussy Riot“-Urteil: Sympathie für Russlands Opposition wächst
Die Kritik am Urteil gegen „Pussy Riot“ wächst – auch bei Regimetreuen. Ob Russlands Opposition davon profitieren kann, hängt auch davon ab, wie sich die Protestbewegung organisiert. Dabei kann sie von Putin Einiges lernen.
Um Begnadigung bitten? Nein, das kommt für die Mitglieder der feministischen Punk-Gruppe Pussy Riot nicht infrage. Auch wenn das Urteil gegen die Frauen mit zwei Jahren Haft hart ausgefallen ist. Ein solcher Schritt, so ließen deren Anwälte wissen, käme einem Schuldeingeständnis gleich. Ein Bezirksgericht hatte die drei Künstlerinnen wegen ihres Anti-Putin-Gebets in der Moskauer Christ-Erlöserkirche des groben Unfugs zwecks Anstiftung zum religiösen Hass für schuldig befunden.
Die Verurteilten würden alle in Russland möglichen Rechtsmittel ausschöpfen, erklärten jetzt deren Verteidiger. Dazu gehöre eine Berufungsklage in zweiter Instanz und, falls diese keinen Erfolg bringe, beim obersten Gerichtshof. Notfalls werde man den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anrufen – jene Instanz, die seit Jahren über fast alle spektakulären Prozesse in Russland urteilt und selten ein gutes Haar am Kreml lässt.
Auch eine andere Hoffnung der Machthaber wird wohl nicht in Erfüllung gehen. Dass der leidige Fall Pussy Riot nach dem in rekordverdächtigem Tempo absolvierten Verfahren, inklusive einiger Verstöße gegen die Strafprozessordnung, vom Tisch sei. Denn die Protestbewegung hat bereits angekündigt, den Kampf für die Freilassung politischer Gefangener im Herbst zum zentralen Thema zu machen.
Mit Sympathien können die Oppositionellen inzwischen sogar bei bisher regime-loyalen Intellektuellen rechnen. Michail Fedotow, Beauftragter für Menschenrechte und Zivilgesellschaft beim Präsidenten, kritisierte den Schuldspruch ebenso heftig wie der prominente TV-Journalist Nikolai Swanidse, der beim Staatsfernsehen tätig ist. Das Urteil, so Swanidse bei Radio Echo Moskwy, bedeute das Ende von Rechtsstaatlichkeit in Russland, öffne Tür und Tor für Willkür beim Umgang mit Andersdenkenden. Die politische Führung dagegen warnte auch das Ausland vor „Hysterie“. Zugleich verbat sie sich Kritik am Prozess. „Man sollte vor dem Ende der Berufungsverhandlung keine Schlussfolgerungen ziehen“, sagte Außenminister Sergej Lawrow am Montag nach Angaben der Agentur Interfax.
Video: Kasparow wehrt sich gegen Polizei-Willkür
Die Ängste der Protestler sind indes durchaus begründet. Prominenten wie dem systemkritischen Blogger Alexei Nawalny oder Ex-Schachweltmeister Garry Kasparow drohen mehrjährige Haftstrafen. Gegen Nawalny ermittelt die Staatsanwaltschaft seit Monatsbeginn wegen angeblicher Wirtschaftsvergehen, gegen Kasparow, der bei den Tumulten nach der Urteilsverkündung im Pussy-RiotProzess einem Polizisten in die Hand gebissen haben soll, wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Mehr noch. Bei Echo Moskwy war am Sonntag von möglichen Änderungen des Mediengesetzes die Rede. Demzufolge sollen Journalisten sich künftig keine „inkompetente Meinung“ mehr über Gerichtsurteile erlauben dürften.
Der Protest gegen das „Pussy Riot“-Urteil in Russland und aller Welt:
Dennoch ist Kasparow zuversichtlich, dass die Opposition mit konkreter Unterstützung für Justizopfer mehr den Nerv der Nation treffen könnte als mit abstrakten Forderungen nach Menschenrechten und Demokratie.
Ein Selbstläufer wird das jedoch nicht. Denn während sich der Westen nahezu geschlossen über das Urteil gegen die Pussy-Frauen erregte, interessierten sich für deren Schicksal gerade mal 18 Prozent der Russen. Das ist zumindest das Ergebnis jüngster Umfragen kremlkritischer Meinungsforscher. Auch mit Flashmobs wie am Wochenende, bei denen die Teilnehmer Pussy-Riot-Masken trugen, oder mit Autorallyes von Regimegegnern lässt sich nicht jene kritische Masse herstellen, die die Herrschenden als reale Bedrohung wahrnehmen würden.
Hinzu kommt: Die Protestbewegung ist eine sehr heterogene Gruppe, die immer wieder auch mit internen Konflikten zu kämpfen hat. Kein Wunder, dass Kasparow empfiehlt: Was erfolgreiche Kommunikation und Agitation betrifft, könne die Opposition einiges von Wladimir Putin lernen.
Elke Windisch