Umstrittenes Großprojekt: Stuttgart-21-Gegner scheitern vor Gericht
Ein Viertel der Tunnel unter der baden-württembergischen Landeshauptstadt sind schon gegraben. Aber das Großprojekt kämpft gegen die Zeit und steigende Kosten. Wird aus Stuttgart 21 vielleicht Stuttgart 22?
Noch sechs Jahre bis zur geplanten Inbetriebnahme – wenn S21 denn überhaupt rechtzeitig fertig wird. Denn Planänderungen, neue Vorschriften, Abstimmungsprobleme zwischen den Behörden und eine fortschreitende technische Entwicklung verzögern und verteuern das Projekt inzwischen um rund eine halbe Milliarde Euro. Damit blieben die Kosten zwar unter den zuletzt prognostizierten 6,8 Milliarden – aber der Puffer, der noch bis zur Inbetriebnahme im Jahr 2021 mehr oder minder unvorhergesehene Risiken ausgleichen soll, ist bis auf wenige Millionen aufgebraucht.
Der Bahnvorstand hatte dem DB-Aufsichtsrat bereits in der vorvergangenen Woche eine Liste zugemailt, deren wichtigster Posten sogenannte extern induzierte Kosten sind: in Summe zusätzliche 623 Millionen Euro, an denen die Bahn keine Schuld tragen will.
Darunter ist auch so Ausgefallenes wie 44 Millionen Euro für das Eidechsenmanagement: Zehntausend der seltenen Tiere müssen umgesiedelt werden, dafür gehen im Südwesten mittlerweile die Ansiedlungsflächen aus. Und damit man einheimische von (nicht schützenswerten) eingewanderten Exemplaren unterscheiden kann, sind individuelle Gentests notwendig. Kommt hinzu: Tote, aber mit Juchtenkäfern besetzte Bäume müssen aufwendig unterfahren werden, gefällt werden dürfen sie nicht.
Die Natur bremst das Projekt - und die Behörden
Weitere 166 Millionen Euro verschlingt der „behördliche Schwergang“, wie es in der Vorlage heißt. Beispiel Flughafenbahnhof: Die für S21 und die Neubaustrecke zuständige Projektgesellschaft hatte ihre geänderten Pläne in zwei Monaten fertig, Regierungspräsidium und Eisenbahn-Bundesamt brauchten zur Prüfung dann satte eineinhalb Jahre.
Ein neues, besseres Tunnelbohrverfahren kostet 144 Millionen extra. Damit der Gips nicht aufquillt, wird zum ersten Mal ein Verfahren angewendet, bei dem Chemikalien ins Gestein gespritzt werden, um das Wasser zu stoppen. Entwickelt hat es der Geologie-Experte Martin Wittke. Dass es wirkt, zeigte sich bereits bei zwei Tunneln – aber die Methode ist langsamer und teurer. Zusätzlicher Lärmschutz um die Baustelle schlägt mit 65 Millionen, der neue Brandschutz und die Entrauchung aufgrund nachträglich veränderter Richtlinien mit 78 Millionen Euro zu Buche.
Die Bahnhofshalle ist besonders heikel, weil sie statisch umgearbeitet werden muss und damit zum größten Terminrisiko wird. Das liegt derzeit bei zwei Jahren Verzögerung. Ursprünglich sollte der Rohbau bereits Ende 2019 stehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Inbetriebnahme zumindest um ein Jahr verzögert, schätzt die Bahn auf derzeit 80 Prozent. Das kostet weitere 100 Millionen Euro, die wurden aber schon bei der letzten Neukalkulation im Jahr 2013 eingepreist. Eine zweijährige Verzögerung sei zu 40 Prozent wahrscheinlich.
Manches geht auch schneller als gedacht
Eine gute Nachricht gibt es aber auch schon: Die bislang getrennt finanzierte, 60 Kilometer lange Neubaustrecke nach Ulm, im Anschluss an S21 über die Schwäbische Alb, entsteht schneller als der Plan und ist obendrein billiger als die veranschlagten 3,5 Millionen .
Auch einige Änderungen im Bauablauf könnten mindestens ein Jahr Zeitersparnis bringen – und sei es nur der Mehrschichtbetrieb wie bereits in den Tunnels. Mehr als zwei Dutzend mal müssen die Fahrbahnen verlegt werden, weil die Stadtverwaltung darauf beharrt, rund um den Bahnhof auch während der Bauarbeiten alle Autospuren zu erhalten. Eine bislang nicht vorgesehene Behelfsbrücke würde auch diesen Aufwand ersparen – und zwölf Monate Zeit.
Auch das Bundesverwaltungsgericht steht hinter der Bahn: In dritter Instanz wiesen die Richter am Dienstag eine Klage von Stuttgarter S-21-Gegnern ab, die gefordert hatten, die Stadt solle aus der Mitfinanzierung des Bahnprojektes aussteigen. Land, Landeshauptstadt und die Region schießen insgesamt 1,5 Milliarden zu den Baukosten zu.
Gleichwohl nähren die jüngsten Kostenprognosen wieder Ausstiegsfantasien bei den Gegnern des Großprojektes. Der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann, einst selbst den Gegnern zugehörig, erklärte aber, seit der Volksabstimmung 2011 sei es die Pflicht jeder Regierung, das Vorhaben „zu begleiten und zu befördern.“