Eine Partei ringt mit sich: Stühlerücken bei den Grünen
Erzwungener Generationswechsel: Die Politiker, die vor 30 Jahren die Grünen gründeten, sitzen künftig nur noch auf den hinteren Plätzen. Sie übernehmen die Verantwortung für das schlechte Wahlergebnis. Die Jüngeren wittern ihre Chance.
Er kapituliert. Nur wenige kurze Sätze sind es, die Jürgen Trittin um 16 Uhr den wartenden Reportern zu Protokoll gibt. Die Sache sei ganz einfach, sagt der Grünen-Politiker. Für den Wahlkampf 2017 brauche die Partei eine neue Fraktionsführung. „Das muss eine neue Generation, das müssen neue Kräfte tun.“ Ein kurzer Dank noch. Dann setzt Trittin sein maliziöses Lächeln auf, das es einem so schwer macht zu sehen, wie es ihm wirklich geht. Der 59-Jährige dreht sich um und verschwindet wieder im Protokollsaal des Reichstags.
Dort treffen sich seit dem Mittag die alten und die neuen Abgeordneten, es ist die erste Zusammenkunft nach der Wahl. „Willkommen in Berlin“ steht auf dem grünen Plakat vorne im Saal, jemand hat Vasen mit Sonnenblumen aufgestellt.
Alle haben darauf gewartet, dass er sich endlich erklärt. Aber Trittin hat sie erst noch schmoren lassen. Zieht er die Konsequenzen aus der krachenden Niederlage der Grünen bei der Bundestagswahl – oder meint er wirklich, den Sturm aussitzen zu können? Die Sitzung läuft gerade eine Dreiviertelstunde, da gibt Trittin seinen Rückzug bekannt. Erst den Abgeordneten, wenig später auch über den Nachrichtendienst Twitter.
Wie kein anderer bei den Grünen steht der Niedersachse für den Wahlkampf, mit dem die Partei so heftig abgestürzt ist: Die Steuerpläne gehen auf sein Konto. Viele kreiden ihm an, dass er dabei das Kernthema der Grünen, die Energiewende, vernachlässigt habe. Trittin setzte außerdem durch, dass sich die Partei allein auf die SPD als Koalitionspartner festlegten – eine Abkehr vom Kurs der „Eigenständigkeit“, der auch eine stärkere Offenheit gegenüber anderen Parteien bedeutet hätte.
Claudia Roth begreift es als erste - und tritt zurück
Es ist ein Rückzug in allerletzter Minute. Er wird Trittin, den vor zwei Jahren schon viele als den künftigen Vizekanzler sahen, nicht leicht gefallen sein. Doch es blieb ihm nichts anderes übrig. Die Welle, die offenbar die gesamte alte Führungsriege der Grünen erwischt hat, hätte am Ende auch ihn weggespült.
Claudia Roth ist die Erste, die es begriffen hat. Da die Grünen so eindeutig ihre Wahlziele verfehlten hätten, aus gesellschaftlichen Mehrheiten für den Mindestlohn und gegen das Betreuungsgeld keine politischen Mehrheiten hätten machen können, „dann muss auch was bei mir nicht so gut gelaufen sein“, erklärt Roth dem ARD-Morgenmagazin. „Ich trete nicht mehr an“, erklärt die 58-Jährige gefasst. Elfeinhalb Jahre hat die Bayerin, die auf Parteitagen schon viele Tränen vergossen hat, die Grünen geführt. Jetzt will sie Platz machen für die nächste Generation.
Wenig später folgt Renate Künast. „Ein jegliches hat seine Zeit“, sagt die 57- Jährige, als sie die Sitzung im Reichstag für ein paar Minuten verlässt. „Und jetzt ist die Zeit für eine neue personelle Aufstellung.“ Künast hatte sich schon seit längerem mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass sie nach der Bundestagswahl nicht mehr der ersten Reihe angehören würde. Als die Grünen-Basis im Winter 2012 ihre Spitzenkandidaten in einer Urabstimmung wählte, unterlag Künast ebenso gegen die 47-jährige Katrin Göring-Eckardt aus Thüringen.
Wie hart die Grünen von ihrem verfehlten Wahlkampf gebeutelt wurden, hat Künast selber in ihrem Wahlkreis 81 erfahren, in Tempelhof-Schöneberg. Auch hier im Bezirk, im grünen Kerngebiet zwischen Winterfeldt-Markt und der alternativen Ufa-Fabrik, hatten selbst die Stammwähler ihre Partei nicht mehr verstanden. Nichts blieb im Wahlkreis übrig vom erwarteten Kopf-an-Kopf-Rennen um ein Direktmandat. Stattdessen rutschte Künast auf den dritten Platz ab, mit nur 15 Prozent der Zweitstimmen und mit noch stärkeren Verlusten, als ihre Partei im Bundesdurchschnitt einfuhr.
Der grüne Wahlkampf hat viele Wähler irritiert
Überraschend kam das nicht, die Entfremdung hat sich aufgebaut in den vergangenen Wochen, als Künast auf den Straßen unterwegs war und ihr Unverständnis entgegenschlug für das von Trittin propagierte Steuermodell. Die Zweifel daran hat sie sich nicht anmerken lassen. Im Gegenteil. „Ich freue mich, dass wir Grünen es sind, die seit Wochen die Debatte über Steuergerechtigkeit bestimmen“, hat sie noch im Spätsommer betont.
Ihr schlechtes Ergebnis im Wahlkreis 77 ist deshalb auch eine persönliche Niederlage. Selbst bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Herbst 2011, als Künast noch erfolglos als Spitzenkandidatin um das Amt des Regierenden Bürgermeisters gekämpft hatte, waren es acht Prozent mehr.
Auch damals hatte ihre Partei im sicheren Gefühl eines Triumphes einen Wahlkampf geführt, der mit Ungeschick, überzogenen Forderungen und nicht verhandelbaren Position wie der abgelehnten Verlängerung der Berliner Stadtautobahn die Wähler nachhaltig irritierte. Nur mit Mühe behauptete Künast nach der Niederlage in Berlin ihren Fraktionsvorsitz im Bundestag.
Und nun wieder eine Niederlage, noch schlimmer. Weil es eine Niederlage jener Generation ist, die die Grünen seit ihrer Gründung begleitet haben, sie dominiert haben – vom Start als Antiparteien-Partei, als man selbst der vom Wähler zugestandenen vollen Wahlperiode misstraute und die Abgeordneten nach zwei Jahren rotieren ließ. Lange vergessen.
Zwei Tage hat es gedauert, bis auch Renate Künast die Konsequenzen gezogen hat und vom Amt der Fraktionsvorsitzenden zurückgetreten ist, das sie seit 2005 innehatte. Intern gab sie ihre Rückzugsentscheidung am Montagabend bei einem Treffen des Reformerflügels bekannt. Sie betonte, sie habe diesen Schritt schon seit längerem geplant. Es gehe ihr um „Verjüngung und Erneuerung“.
Nicht das Ende, immerhin will sie sich nun als Vize-Präsidentin des Bundestags bewerben, ebenso wie Claudia Roth übrigens. Aber doch eine Zäsur auf dem weiten Weg von jener chaotischen Gründungsversammlung der früheren Alternativen Liste in der längst abgerissenen „Neuen Welt“, den die ehemalige Sozialarbeiterin und Anwältin mitgegangen ist.
Die Frau mit flottem Mundwerk und Schlagfertigkeit wurde 1989 als Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus die Gegenspielerin des Regierenden Bürgermeisters Walter Momper in der kurzlebigen rot-grünen-Koalition. Die nach dem Ende der rot-grünen Koalition im Bund, bei der sie sich als Bundesministerin für Verbraucher und Landwirtschaft eine gute Figur machte und sich unerschrocken mit der Agrarlobby anlegte, den Fraktionsvorsitz übernahm.
„Wir werden das aufarbeiten ...“, heißt der letzte Satz auf Renate-kuenast.de, nach dem knappen Dank an Wähler, an die engagierten Helfer und dem Eingeständnis, die Ablösung von Schwarz-Gelb nicht erreicht zu haben. Wer auf den Button „weiterlesen“ drückt – findet: nichts weiteres. Nur eine weiße Fläche. Als hätte die Leere und der Frust, die nach dieser desaströsen Wahl überall fühlbar sind bei den Grünen, hier in einer Sprachlosigkeit ihren Ausdruck gefunden. Auch in der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen, die künftig kleiner sein wird und nun seit gestern auch keine Vorsitzenden mehr hat.
Zwei aus der mittleren Generation kämpfen: Özdemir und Göring-Eckardt
Der Rückzug von Trittin, Roth und Künast bedeutet eine Zäsur für die Partei, er läutet den Generationswechsel ein. Diejenigen, die mit Joschka Fischer vor mehr als 30 Jahren die Grünen gegründet haben, werden künftig im Bundestag nur noch auf den hinteren Plätzen sitzen.
Es sind nicht zufällig zwei aus der mittleren Generation, die trotz des schlechten Wahlergebnisses um ihre künftige Führungsrolle kämpfen wollen: Parteichef Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt. Der Schwabe Özdemir will wieder Parteichef werden. Zwar hat auch er sein Ziel nicht erreicht, in Stuttgart ein Direktmandat zu erringen. Doch der Realo kann darauf verweisen, dass er für eine stärker Öffnung der Grünen steht. Zu Bonner Regierungszeiten gehörte er zur Pizza-Connection, einem losen Zusammenschluss von CDU- und Grünen-Politikern, die beim Italiener Gemeinsamkeiten ausloteten. Gegen ihn regt sich bisher kein nennenswerter Widerstand.
Anders ist es bei Göring-Eckardt. Selbstbewusst steht sie vor dem Protokollsaal im Reichstag, nachdem sie intern bereits ihre Ambitionen auf den Fraktionsvorsitz angemeldet hat. Warum Trittin die Verantwortung übernehme und sie den Fraktionsvorsitz, wird die Thüringerin gefragt. „Er will der Neuaufstellung nicht im Weg stehen, ich will die Neuaufstellung gestalten“, entgegnet Göring-Eckardt. Sie versucht, Zuversicht auszustrahlen. „Wir werden uns wieder herausarbeiten aus einem Loch“, sagt sie. Es klingt, als ob sie sich auch selbst Mut zusprechen will. Sie weiß, dass ihre Kandidatur nicht unumstritten ist. Von der wertkonservativen Bürgerrechtlerin hatten sich viele erhofft, dass sie bürgerliche Wähler gewinnen könne. Doch die Thüringerin setzte auf soziale Gerechtigkeit, predigte „Herz-Jesu-Sozialismus“, wie Ex-Parteichef Reinhard Bütikofer lästert.
Jetzt, am Tag zwei nach der Wahl, sagt sie, die Grünen müssten „Anschluss gewinnen an die Mitte der Gesellschaft“. Es klingt wie die Stellenbeschreibung, die sie als Spitzenkandidatin nicht erfüllt hat. Ob sie damit durchkommen wird, hängt vor allem von Kerstin Andreae ab. Die 44-jährige Bundestagsabgeordnete aus Freiburg erwägt eine Gegenkandidatur. Die studierte Volkswirtin hat sich als Wirtschaftsexpertin einen Namen gemacht, sie tritt für einen „Brückenschlag zur Wirtschaft“ ein, so wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der viel von ihr hält.
Weniger umstritten dürfte Trittins Nachfolge sein. Der 44-jährige Toni Hofreiter, ein Parteilinker, kündigte seine Kandidatur an. Trittins Unterstützung wird der promovierte Biologe haben. Gleich zu Beginn der Fraktionssitzung stellt Trittin sich demonstrativ neben ihm, legt ihm die Hand auf die Schulter. So als ob er ihm signalisieren wolle: Das wird schon.
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