Beratungen über künftigen EU-Haushalt: Studie: EU-Agrarpolitik ist widersprüchlich und veraltet
Die Gemeinsame Agrarpolitik sichert sowohl das Einkommen der Landwirte als auch die Lebensmittelsicherheit in der EU. Aber sie ist veraltet und muss radikal geändert werden, lautet das Ergebnis einer Studie von Nichtregierungsorganisationen und Europaabgeordneten.
Bei der schieren Größe der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union, die für fast 40 Prozent aller EU-Ausgaben steht, ist es nicht verwunderlich, dass sie besonders genau überprüft und kritisiert wird. Genauestens auseinanderzunehmen, welche Vorteile die GAP hat und ob sie tatsächlich einen guten Mehrwert für ihre Kosten bietet, ist eine große Aufgabe für Steuerzahler, Empfänger von Hilfsgeldern und auch für die EU-Institutionen selbst.
Die EU-Kommission veröffentlicht am kommenden Mittwoch ihre mit Spannung erwartete Berurteilung der GAP. Mit ihr sollen auch weitreichende Empfehlungen für die zukünftige Unterstützung von landwirtschaftlichen Betrieben und die ländliche Entwicklung geliefert werden. Das ist besonders wichtig, da die Verhandlungen über den mehrjährigen EU-Haushalt nach 2020 in die heiße Phase gehen.
Noch vor der Einschätzung der Kommission haben nun die Nichtregierungsorganisationen „Birdlife Europe“ und „European Environmental Bureau“ gemeinsam mit den Fraktionen der Grünen und der Sozialdemokraten im Europaparlament eine eigene Studie über die Leistungen der GAP in Auftrag gegeben.
In der Studie wird festgehalten, dass die bisherige Landwirtschaftspolitik gute Ergebnisse in der Armutsbekämpfung unter EU-Bauern und der Lebensmittelsicherheit in der EU geliefert habe. Allerdings hinterfragen die Autoren die Relevanz dieser Ziele in der heutigen Zeit.
In der derzeitigen Haushaltsperiode (2014-2020) macht die GAP 38 Prozent aller EU-Ausgaben aus. Das entspricht rund 408 Milliarden Euro. Davon gehen mehr als drei Viertel in Form von Direktzahlungen (auch die „erste Säule der GAP“ genannt) an die Landwirte. Mit diesen Direktzahlungen soll das Einkommen der Bauern gesichert werden – basierend auf der Größe ihrer landwirtschaftlich genutzten Flächen und der umweltschützenden Maßnahmen, die sie ergreifen. Darüber hinaus gibt es spezielle Unterstützung für junge Landwirte, Tierschutz-Maßnahmen und den nachhaltigen Einsatz von Rohstoffen, Düngemitteln und Material.
Die übrigen 99 Milliarden Euro in der Gemeinsamen Agarpolitik sind für die zweite Säule, die ländliche Entwicklung, vorgesehen. Unter diesen Programmen soll die Landwirtschaft genutzt werden, um weitere Vorteile für die breitere Gesellschaft in den armen ländlichen Regionen der EU zu bringen. Die Programme werden von den regionalen Behörden oder den EU-Mitgliedstaaten aufgesetzt.
Vorwurf: Die GAP widerspricht sich oft selbst
Zwar wurde die GAP in der Vergangenheit immer wieder den sich ändernden Markt- und Umweltbedingungen angepasst. Kritiker monieren jedoch, dass die Grundziele der Politik heute nicht mehr relevant seien. Die Struktur der GAP sei zu komplex und widerspreche sich oftmals selbst, lautet der Vorwurf.
Im jetzt vorgestellten Bericht werden zunächst die sozioökonomischen Vorteile durch den GAP-Fokus auf Produktivität hinterfragt: „Die fortschreitende Vergrößerung der landwirtschaftlichen Produktivität hat ihren Ursprung im Nachkriegseuropa. Dieses Ziel kann als inzwischen erreicht und in der heutigen EU als veraltet angesehen werden.“ Tatsächlich werde das aktuelle gesellschaftliche Bedürfnis nach hochqualitativen Lebensmitteln statt billiger Nahrungsprodukte in der GAP nicht reflektiert.
Während im Bericht die Errungenschaften der GAP für die Existenzsicherung der Landwirte gelobt werden, gibt es heftige Kritik an den weiteren sozioökonomischen Effekten der Landwirtschaftspolitik sowie an ihren internen und externen Widersprüchlichkeiten. „Sich widersprechende Ziele und kollidierende Instrumente schwächen die Gestaltung und Umsetzung der Agrarpolitik,” heißt es. Eine Teilschuld liege dabei bei den Nationalstaaten, die die Ziele der GAP oftmals zu flexibel interpretieren und umsetzen.
Negative Folgen für die Entwicklungszusammenarbeit
Darüber hinaus hätten die hohe Produktion und der Exportfokus der GAP zu mehr Handel mit Ländern mit hohen und mittleren Einkommen geführt – allerdings oft zum Nachteil der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Somit untergrabe die GAP teilweise die EU-Ziele in der Entwicklungszusammenarbeit.
„Verzerrte“ Unterstützung für landwirtschaftliche Betriebe
In der Studie heißt es weiter, mit Direktzahlungen würden einerseits die Einkommen der Bauern gesichert, andererseits „schaffen sie auch Abhängigkeiten, beeinflussen einige Produktions-Entscheidungen und reduzieren die Effizienz der Höfe”. Darüber führe die Tatsache, dass die Höhe der Zahlungen von der bewirtschafteten Fläche abhängt, dazu, dass Kleinbauern relativ wenig Unterstützung erhalten, während sich große Landwirtschaftskonzerne über großzügigere Subventionen freuen können.
Zwar hätten die Direktzahlungen dazu beigetragen, dass Kleinbauern wirtschaftlich überleben konnten und die Marktkonzentration entschleunigt wurde, dennoch sei die GAP „nicht ausreichend auf die Einkünfte kleinerer Höfe ausgerichtet.“
Bart Staes, Grünen-Europaabgeordneter und Mitglied des Landwirtschaftsausschusses des EU-Parlaments, erklärt: „Wir sehen, dass 32 Prozent der Subventionen an lediglich 1,5 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe gezahlt werden. Daraus können wir nur schließen, dass Kleinbauern zu kurz kommen.” „Die GAP sollte sich auf die kleinen und mittelgroßen Betriebe konzentrieren, weil diese auch besser für die lokale Wirtschaft sind,“ fügt der belgische Abgeordnete hinzu.
Schlechte Umweltbilanz
Auch beim Thema Umwelt kritisiert der Bericht die Leistungen und die Kohärenz der GAP. So würden die Direktzahlungen intensive landwirtschaftliche Methoden fördern, die im Gegensatz zu den ökologischen Zielen stehen, die die Agrarpolitik ebenfalls erreichen soll.
Beispielsweise können Bauern Extrazahlungen erhalten, wenn sie grüne Wechselwirtschaftsmethoden anwenden oder sogenannte ökologische Vorrangflächen einrichten, durch die der Gewässer- und Habitatschutz verbessert werden soll. In dieser Hinsicht widersprechen sich die Ziele der GAP also.
Außerdem werde die Effizienz der Agrarpolitik auch durch die komplexen verwaltungstechnischen Anforderungen unterminiert. Der Studie zufolge führten die komplizierten Antragstellungsmechanismen und die extensive Papierarbeit dazu, dass Landwirte lieber einfache, aber auch weniger effektive Umweltschutzmaßnahmen ergreifen. In dieser Hinsicht sei beim Erreichen von Umwelt-Mindeststandards „Regulierung grundsätzlich effektiver als Subventionen“.
Aus Sicht der NGOs und der EU-Parlamentarier, welche die Studie in Auftrag gaben, muss die EU also die grundsätzlichen Ansätze in der Agrarpolitik gründlich überdenken. Das Ziel müsse sein, eine effiziente und kohärente Politik zu schaffen, die ausreichend Unterstützung sowohl für die Landwirte als auch für die Umwelt bietet und am Ende ausreichend Mehrwert für ihre Kosten bringt.
Übersetzung: Tim Steins
Erschienen bei EurActiv.
Der Tagesspiegel und das europapolitische Onlinemagazin EurActiv kooperieren miteinander.
Samuel White