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EU-Ratschef Donald Tusk.
© imago/ZUMA Press
Update

Nach Tusk-Vorschlag: Streit um Flüchtlingsquoten kocht wieder hoch

Der Vorstoß des EU-Ratschefs Donald Tusk, dass sich die EU-Staaten von Quoten bei der Flüchtlingsaufnahme verabschieden sollen, stößt überwiegend auf Ablehnung. Luxemburgs Außenminister Asselborn fordert ein "Europa der Solidarität"

Der Vorstoß vom Gastgeber des EU-Gipfels sorgt für Ärger. EU-Ratspräsident Donald Tusk will sich von der Idee verabschieden, dass für alle Mitgliedstaaten verbindliche Quoten zur Aufnahme von Zuwanderern gelten. Tusks Absage liest sich so: „Die Frage verpflichtender Quoten hat sich als hochgradig spaltend erwiesen.“ Die Quote habe viel Wirbel entfacht, aber faktisch wenig bewirkt, schrieb Tusk weiter in einem Entwurf für die Agenda des bevorstehenden Gipfels .

Damit versucht der Pole, einen Ausweg aus dem verfahrenen Streit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten in der Zuwanderungspolitik zu finden. Vor allem Polen, Tschechien und Ungarn wehren sich erbittert dagegen, Flüchtlinge aufzunehmen. Deutschland, Italien, die Niederlande und viele andere Mitgliedstaaten pochen dagegen darauf, dass die Quoten von den EU-Mitgliedsländern mehrheitlich beschlossen und die Beschlüsse vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) bestätigt wurden. Tusk hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass er die verbindlichen Quoten für einen Fehler hält. Nun versucht er, das Konzept verbindlicher Quoten zu beerdigen.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sagte dem Tagesspiegel: „Wollen wir ein Europa von Orban oder wollen wir ein Europa der Solidarität und Verantwortung? Ich kann mir nicht vorstellen, dass nur eine Handvoll Länder den Ton angeben in einer der wichtigsten Fragen, mit denen Europa konfrontiert wird, nämlich der Migration.“

Zuvor hatte es auch aus Regierungskreisen in Berlin geheißen, dass für Deutschland ein Mechanismus zur Entlastung von Ländern wie Griechenland oder Italien und zur Verteilung von Flüchtlingen „ein essentieller Bestandteil“ der geplanten Reform des EU-Asylsystems sei.

An diesem Donnerstagabend wird beim Gipfel das Migrationsthema aufgerufen. Die 28 Staats- und Regierungschefs versuchen, einen Kompromiss auszuloten. Tusks Aufgabe besteht darin, die Diskussion zu moderieren. Es sollen zwar jetzt noch keine Beschlüsse fallen, sie sind erst für den Gipfel im Juni geplant. Doch es deutet viel darauf hin, dass Tusks Vorstoß eher noch mehr Öl ins Feuer gießt. Offenbar gab es massiven Unmut unter den EU-Botschaftern, die sich in den Tagen vor dem Gipfel treffen, um Entscheidungen der Regierungschefs vorzubereiten. Die Bundesregierung ist auch nicht begeistert hat sie doch seit Beginn der Flüchtlingskrise 2015 Solidarität in der EU eingefordert. Lediglich die Vertreter von Polen, Tschechien und Ungarn sollen Tusks Idee bei den Treffen der Unterhändler unterstützt haben.

Heftige Reaktionen erntete der Tusk-Vorstoß bereits in der EU-Kommission und im Europaparlament. EU-Zuwanderungskommissar Dimitris Avramopoulus bezeichnete das Arbeitspapier von Tusk als „anti-europäisch“ und „nicht hinnehmbar“. Der Sprecher der EU-Kommission erklärte, dass eine Rückkehr zu nationalen Alleingängen in der Flüchtlingspolitik keine Option darstelle. Die Kommission sei zudem nicht mit Tusks Einschätzung einverstanden, dass die Umverteilung der Flüchtlinge wirkungslos geblieben sei.

In EU-Diplomatenkreisen wird Mehrheitsentscheidung für möglich gehalten

Auch aus EU-Diplomatenkreisen hieß es, dass EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker die Einschätzung Tusks beim Gipfel „deutlich zurückweisen“ werde. Die EU-Mitgliedstaaten wollen sich bis zum Juni 2018 auf eine Reform des Dublin-Systems einigen, das derzeit allein Staaten wie Griechenland oder Italien bei der Aufnahme von Flüchtlingen in die Pflicht nimmt. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, ein Konzept zu beschließen, dem zufolge die verpflichtende Umverteilung in schweren Krisensituationen weiterhin zum Tragen käme. In weniger problematischen Situationen soll die Umverteilung aufgrund freiwilliger Verpflichtungen der Mitgliedstaaten erfolgen. Falls über das weitere Vorgehen keine Einigkeit bestehe, könne im kommenden Jahr im EU-Ministerrat eine Entscheidung auch per Mehrheitsbeschluss herbeigeführt werden, hieß es in Diplomatenkreisen.

Bundesregierung setzt auf einen Konsens

Auch aus den Berliner Regierungskreisen hieß es am Mittwoch: „Die Rechtsgrundlagen sind eindeutig. Sie lassen Verfahren mit qualifizierter Mehrheit zu.“ Die im Vergleich zum Höhepunkt der Krise im Jahr 2015 gesunken Flüchtlingszahlen sollten es allerdings „erleichtern, einen Konsens zu finden“, hieß es weiter.

Rund 30.000 Flüchtlinge wurden umverteilt

2015 war beschlossen worden, bis zu 160.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien auf die anderen EU-Staaten umzuverteilen. Nach heutigem Stand sind rund 30.000 Ankömmlinge umverteilt worden. Deutschland hat mit über 9700 am meisten aufgenommen und hätte bis zu 27.536 aufnehmen müssen. Österreich hätte über 1900 aufnehmen müssen, hat tatsächlich aber nur 17 aufgenommen. Luxemburg hat 512 von 545 aufgenommen. Einige Länder wie Malta haben ihre Quote sogar übererfüllt. Das Programm war auf zwei Jahre befristet und endete Ende September. Doch damit können sich die Länder nicht herausreden: Die Pflicht zur Aufnahme besteht für alle Flüchtlinge, die bis zum 26. September in Griechenland und Italien ankommen und die Kriterien des Umverteilungsprogramms erfüllen. Dass nicht mehr Flüchtlinge umverteilt wurden, liegt nicht nur an der mangelnden Kooperation vieler Mitgliedstaaten. In Griechenland und Italien sind weniger Flüchtlinge angekommen als erwartet, die die Kriterien für die Umverteilung erfüllen.

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