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Mit Tränengas versuchten die israelischen Sicherheitskräfte am Sonntag, die Kontrahenten in der Altstadt von Jerusalem auseinander zu treiben.
© Ahmad Gharabli/AFP

Jerusalem: Steine und Tränengas auf dem Tempelberg

Die Gewalt in Jerusalem hat in den vergangenen Monaten stark zugenommen. Vor dem jüdischen Neujahrsfest entlädt sich die Anspannung

Kurz vor Beginn des jüdischen Neujahrsfestes ist es am Sonntagmorgen an der Al-Aksa-Moschee in der Altstadt von Jerusalem zu Auseinandersetzungen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern gekommen. Maskierte Demonstranten hätten sich über Nacht in der Moschee verschanzt und Steine und Feuerwerkskörper auf die Beamten geworfen, teilte die Polizei am Sonntagmorgen mit. Nach Angaben von Zeugen richteten die Sicherheitskräfte Schäden an, als sie in die Moschee eindrangen, was die Polizei dementierte.

Die Spannungen auf dem Hochplateau vor der Al-Aksa-Moschee, das Juden als Tempelberg verehren, haben in den vergangenen Tagen zugenommen. Der israelische Verteidigungsminister Mosche Jaalon hatte am Mittwoch zwei als "Glaubenswächter" vor der Al-Aksa-Moschee agierende muslimische Gruppen verboten und damit die Palästinenser provoziert. Die "Verteidiger des Glaubens" genannten Gruppen schreiten auf dem Gelände gegen jüdische Besucher ein, wenn diese dort beteten.

Der Tempelberg ist der neuralgische Punkt

In Jerusalems Altstadt beginnen am Sonntag die Feierlichkeiten für das jüdische Neujahrsfest, das am Montag und Dienstag begangen wird. Laut der israelischen Polizei hatten sich junge Muslime in der Al-Aksa-Moschee verschanzt, um die erwarteten jüdischen Besucher zu stören. Am Eingang der Moschee seien Schläuche gefunden worden, die mit Sprengstoff hätten gefüllt werden können, sagte ein Sprecher. Die Moschee-Pforte sei daraufhin von den Beamten zugemacht worden.

„Der Tempelberg ist ein Katalysator der Gewalt, leider“, sagt Aviv Tatarsky von der Nichtregierungsorganisation Ir Amim, die sich für die Koexistenz in Jerusalem einsetzt. Mit dem Felsendom und der Al-Aqsa Moschee ist er einerseits der drittheiligste Ort für Muslime, andererseits für religiöse Juden der Ort, an dem der erste und der zweite jüdische Tempel standen. Auch jüdische Besucher kommen immer öfter auf den Tempelberg. Viele Muslime fühlen sich dadurch provoziert.

„Jerusalem befindet sich seit mehr als einem Jahr in einer Krise, in einem Zustand der Gewalt, die immer wieder mal ansteigt. Und die Regierung hat bisher nichts getan, um das Problem bei seiner Wurzel zu packen um die Situation zu ändern“, erklärt Aviv Tatarsky. Im Gegensatz zum Gazastreifen oder der Westbank treffen hier arabische und jüdische Israelis tagtäglich zusammen: „Genau das ist die Herausforderung Jerusalems. Hier sind die nächsten Gewaltwellen zu erwarten.“

Zunehmend Gewalt durch jüdische Jugendliche

Fakhri Abu Diab ist einer der mehr als 800.000 Einwohner von Jerusalem, er lebt im arabischen Stadtteil Silwan, wo er auch im Nachbarschaftsausschuss sitzt. Er ist einer der vielen Jerusalemer, die die wachsende Anspannung und Gewaltbereitschaft zu spüren bekommt.

„Es gibt auf beiden Seiten Menschen, die nichts Gutes im Sinn haben“, sagt er. Sowohl im arabischen Ostjerusalem als auch in der Altstadt und im Zentrum macht sich dieses Gefühl der Unsicherheit, aber auch der Wut breit. Seit des Gazakrieges, als auch in Jerusalem die Anschläge zunahmen, Terroristen mit Autos in Bushaltestellen rasten oder eine jüdisch-arabische Schule anzündeten, ist die Stadt nicht mehr richtig zur Ruhe gekommen. Dieses Gefühl von Unsicherheit – Fakhri Abu Diab wird es nicht mehr los. Es war vor einigen Wochen, als er seinen Enkelsohn im Krankenhaus besuchte, und sich am späten Abend zu Fuß auf den Heimweg durch Jerusalem machte. In der Nähe des Stadtzentrums traf er auf eine Gruppe jüdischer Jugendlicher, die plötzlich auf ihn zukamen und etwas nach ihm warfen. „Ich bin weggerannt und habe mich in ein Auto geflüchtet. Ein Fahrer hatte die Szene beobachtet, hat angehalten und mich einsteigen lassen.“

Es ist nicht nur die Altstadt, die von den ansteigenden Gewalttaten betroffen ist. Das Bauministerium zählte in den Stadtteilen Silwan, Davidstadt und auf dem Ölberg in den Monaten Juni und Juli 580 Gewaltdelikte gegen Zivilisten und Sicherheitskräfte, darunter Stein- und Brandbombenwürfe sowie Grabschändungen. Die Zahlen sind allerdings schwer einzuschätzen, nicht nur, weil Vergleichszahlen fehlen, sondern auch, weil Angriffe vonseiten jüdischer Extremisten nicht auftauchen.

Der Hass auf die arabische Bevölkerung wird geschürt

Seit vergangenem Sommer berichten beispielsweise auch immer mehr arabische Taxifahrer von Übergriffen und Beschimpfungen, weiß Roi Grufi, der sich für Ir Amim mit dem Thema Rassismus beschäftigt. „Es sind vor allem Jugendliche, die Ärger machen. Sie steigen ein, lassen sich ein Stück weit fahren und fangen dann an, den Fahrer zu attackieren.“ Auch käme es immer öfter vor, dass Israelis ausdrücklich einen nicht-arabischen Fahrer wünschen, aus Angst, Rassismus oder einer Mischung aus beidem.

Außerdem sei die radikale israelische Organisation Lehava, die sich gegen jegliche private wie berufliche Beziehung zwischen Juden und Nicht-Juden einsetzt, in den vergangenen Monaten immer präsenter geworden. „Sie treffen sich im Stadtzentrum und verbreiten dort ihre Propaganda, schüren den Hass auf die arabische Bevölkerung und die Polizei und die Politiker nehmen sich diesem Problem kaum an“, beklagt Roi Grufi.

Zwar beriet sich erst vor wenigen Tagen Premierminister Benjamin Netanjahu mit einigen Ministern über die Sicherheitslage in Jerusalem. Ihm ging es dabei aber vor allem um die Gewalt von arabischer Seite. Zwei zusätzliche Grenzpolizei-Einheiten und 400 zusätzliche Polizisten sollen deshalb in Jerusalem stationiert werden.

Roi Grufi und Aviv Tatarsky sind sich aber einig, dass es langfristig nur hilft, das Problem bei seinen Wurzeln zu packen: „ Bessere Lebensbedingungen, gerade für die jungen Menschen in Ostjerusalem zu schaffen und die Besatzung zu beenden.“ (mit AFP)

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