Naturzerstörung in Tansania: Staudamm bedroht Afrikas größtes Wildtierreservat
Große Teile des Selous-Wildtierreservat könnten durch ein Staudamm-Projekt zerstört werden. Trotz scharfer Kritik haben nun die Bauarbeiten begonnen.
Der Fluss hat sich tief ins felsige Gestein gegraben, steil ragt die Schlucht auf, und das braune Wasser schießt aufgewühlt durch die Stromschnellen des Stiegler’s Gorge. Es ist die Art von Nadelöhr, das Ingenieure lieben. Sie brauchen hier nicht viel, um den größten Fluss Tansanias mit einer Mauer von 131 Metern Höhe aufzustauen. Und genau an dieser Stelle hatte das 1907 ein Schweizer Ingenieur namens Stiegler vor. Als er von einem Elefanten getötet wurde, starben mit ihm auch seine Pläne.
Doch vergessen wurden sie nie. Wenn es stimmt, was Satellitenaufnahmen nahelagen und was Augenzeugen berichten, dann wird derzeit genau dasselbe versucht: Ein Staudamm wird am Oberlauf des Rufiji errichtet, im Herzen des Selous Game Reserve, Afrikas größtem Wildtierreservat und Unesco-Weltnaturerbe. Waldflächen werden abgeholzt, Zugangsstraßen gelegt und mit den Vorbereitungen für umfangreiche Erdarbeiten begonnen. Nach Darstellung des „Wallstreet Journal“ hat die tansanische Regierung eine erste Rate von 300 Millionen US-Dollar an das ägyptische Konsortium überwiesen, das mit dem Bau beauftragt worden ist.
Tierschutz: Wo es keine Menschen gibt
Offenbar setzt Präsident John Pombe Magufuli in die Tat um, was er lange angekündigt hat. Er will Tansanias Industrialisierung vorantreiben mit einem Projekt, das 2,1 Gigawatt und damit mehr als das Doppelte des jetzigen Stromaufkommens des Landes erzeugen soll. Das Rufiji Wasserkraftwerk wäre der viertgrößte in Afrika. Seine Wachstumssorgen wäre Tansania damit auf einen Schlag los, so die Hoffnung.
Doch der Preis für diesen Sprung ist hoch. Wie hoch genau, ist gar nicht abzusehen. Teils weil die Regierung es unterlassen hat, eine belastbare Wirtschaftlichkeitsprüfung durchzuführen, teils weil die Auswirkungen des Megaprojekts auf die Wildnis und das Menschheitserbe Selous überhaupt nicht abzuschätzen sind, darauf weisen Naturschützer seit langem hin.
Oberhalb des Damms würde ein Gebiet von 1.100 Quadratkilometern überschwemmt werden und eine Wasserfläche von der doppelten Größe des Bodensees entstehen. Unterhalb des Damms würde die Lebensader des Wildtierreservats gekappt. Nicht nur, dass der natürliche Zyklus aus Überschwemmungen und Dürre unterbrochen wäre, dem das Gebiet seine zahllosen Nebenläufe, Tümpel und Wasserstellen verdankt. Auch die als Nährstoffe wichtigen Sedimente würden hinter der Talsperre zurückgehalten. Weshalb eine der tierreichsten Regionen der Welt empfindlich gestört, Populationen ausgerottet würden. Die Folgen dürften weit über den Selous hinaus spürbar sein, warnen Experten, bis in die Mangrovenwälder des Flussdeltas am Indischen Ozean, wo hunderttausende Menschen leben. Was eine Zerstörung dieser Fauna bewirken kann, haben zuletzt Wirbelstürme in der Karibik und Mozambique gezeigt. Deren Wucht hat sich ohne den Schutz der Mangroven viel stärker auf die Küste ausgewirkt.
Die Regierung Tansanias muss befürchten, dass ihr Vorhaben eine Aberkennung des Welterbe-Status‘ durch die Unesco nach sich zieht. Sie nimmt das offenbar in Kauf. Auch dass ein Land wie Deutschland seine Zahlungen zum Schutz des Selous in Höhe von 18 Millionen Euro an diesen Status geknüpft hat, kümmert die Regierung wenig. Im Gegenteil. Strom ist ihr mehr wert als ein Gebiet, dessen kostbarstes Gut bislang der Mangel an Menschen war.
Denn dass eine Region von der Größe Bosnien-Herzegowinas den Tieren vorbehalten bleiben konnte, verdankt sich dem Umstand, dass sich Menschen schon lange vorher aus der kargen Gegend mit seinen endlosen Buschlandschaften, Hügeln, Miombowäldern und "Sandflüssen" zurückgezogen hatten. Als die ersten Europäer Mitte des 19. Jahrhunderts den Südosten Tansanias durchquerten, wunderten sie sich über die dünne Besiedelung. Nun dürfte sich das drastisch ändern.
Hunderte Arbeiter sind bereits jetzt in provisorischen Camps vorort untergebracht, bewegen schweres Gerät durch den Busch, was Mensch-Tier-Konflikte heraufbeschwört. Gerade erst schien die Wilderei als größtes Übel eingedämmt worden zu sein, wie Wildhüter berichten, da strömen unkontrolliert Fremde in das sensible Terrain. Und der Präsident träumt unverblümt davon, an den Ufern des Stausees Fischerdörfer anzusiedeln, Farmland zu erschließen und durch Straßen an die Außenwelt anzuschließen. Es wäre das endgültige Ende einer der produktivsten Lebensräume wilder Tiere, die es in Afrika gibt.
So steht das Rufiji Hydropower Project (RHP) für ein Dilemma Afrikas. Zweifellos braucht die stark wachsende Bevölkerung von derzeit 55 Millionen Tansaniern mehr Energie. Doch in dem Wunsch, sich wirtschaftlich zu entwickeln, Anschluss an Weltmärkte zu gewinnen und die eigenen Ambitionen durch Tatkraft für Investoren attraktiv zu machen, droht der Schatz zerstört zu werden, den Tansania besitzt und der ihm ebenfalls Entwicklungschancen böte – seine Natur. Weder gibt es eine für ein Vorhaben dieses Umfangs unerlässliche Studie zur Wasserversorgungssicherheit – die letzte ist mehrere Jahrzehnte alt und berücksichtigt nicht die rückläufigen Niederschlagsmengen des Klimawandels – noch liegen dem Projekt belastbare Zahlen zu Strompreisen und zu den ökologischen Folgekosten zugrunde.
Die zunehmend autokratische Magufuli-Regierung setzt sich über internationale Standards hinweg, auf deren Einhaltung potenzielle Großinvestoren schon aus eigenem Interesse bestehen müssen. Die Weltbank und ihr afrikanisches Pendant haben dem Vorhaben bereits die Unterstützung versagt. Und auch chinesische Kreditgeber scheinen sich zurückzuhalten. „Es ist genug Geld da, alles zu zerstören“, sagt ein Kenner der Materie, „aber nicht genug, um etwas aufzubauen.“
Zehn Milliarden Dollar könnte der Damm kosten
Deshalb sah es lange so aus, als würde das ambitionierte Wasserkraft-Projekt an den begrenzten Mitteln des hochverschuldeten Staates scheitern. Doch seit Unterzeichnung des Vertrages mit einem arabisch-ägyptischen Konsortium, geht es schnell. In einem Werbevideo werden für die Bauphase 36 Monate veranschlagt. Schon im Juni soll mit dem Vortrieb eines Tunnels begonnen werden, über den der Fluss umgeleitet wird. El Sewedy Electric und Arab Contractors sollen den Dammbau bis zur Einspeisung des Stroms ins Netz vorantreiben. In ein Netz, das es bislang gar nicht gibt. Die Baukosten werden von der Regierung mit 4,7 Milliarden Dollar veranschlagt.
Zu einem ganz anderen Ergebnis kommt eine Studie des Staudamm-Experten Jörg Hartmann, der unter Berücksichtigung der üblichen Kostensteigerungen auf knapp zehn Milliarden Dollar kommt. Das würde die Kilowattstunde auf das Dreifache des marktüblichen Preises steigen lassen. Nicht nur wären 40 Prozent des tansanischen Haushalts von acht Milliarden Dollar auf Jahrzehnte hinaus gebunden, am Ende würden sich daraus neue Abhängigkeiten ergeben, die tansanische Bevölkerung könnte sich den Strom nicht leisten und der Staat müsste Großabnehmer suchen, die Strom für die Erschließung von Minen und Bohrfeldern brauchen.
Doch die Einflussmöglichkeiten auf Magufuli scheinen derzeit begrenzt. Zwar bekennt sich Tansania zu seinem Naturerbe, fast ein Drittel des Staatsgebiets ist wilden Tieren vorbehalten in Form von Nationalparks und Reservaten, wobei letztere einen deutlich schwächeren Schutzstatus besitzen. Beide müssen sich wirtschaftlich selbst tragen. Wo das mangels Tieren nicht der Fall ist, lässt Magufuli die ausgedünnten Gebiete umwidmen. Denn die stark wachsende Bevölkerung Tansanias verlangt nach mehr Ackerbauflächen und Weideland.
Großer Damm bedeutet große Macht
Wie angespannt die Lage vorort ist, musste Anfang des Jahres der CDU-Bundestagsabgeordnete Volkmar Klein erleben, dem der Zutritt zum Selous verwehrt wurde. Weitgehend machtlos beobachtet die Bundesregierung die Entwicklung, befürchtet aber, durch eine Kürzung der Mittel zum Erhalt des Selous auch Einflussmöglichkeiten auf die tansanische Regierung zu verlieren.
Umweltschützer weisen darauf hin, dass es ökologische Alternativen zu dem Damm am Stiegler’s Gorge gibt. Sonnenenergie und Windkraft böten sich an. Die FDP machte sich im Bundestag für die Finanzierung von Erdgaskraftwerken in Tansania stark. Doch fesseln Staudämme und Wasserkraft die Fantasien afrikanischer Politiker schon lange. Denn sie verlangen nach einer zentralen Steuerung. Unter vergleichbaren Großprojekten waren die wenigsten jedoch jemals rentabel, wie die World Commission on Dams in ihrem Abschlussbericht im Jahr 2000 festgestellt hat. Trotzdem ist der Traum ungebrochen, die großen "verdammten" Flüsse Afrikas als Energiequelle zu nutzen.
An einem Zulauf des Rufiji befindet sich denn auch bereits ein Wasserkraftwerk. Doch dessen Kapazität lässt so sehr zu wünschen übrig, dass nach Ansicht von Experten vor allem technische Probleme die Hauptursache für die ineffiziente Wassernutzung sind. Auch für den Rufiji-Damm gehen die wirtschaftlichen Prognosen viel zu optimistisch mit der Ressource Wasser um, die Gefahr der Verdunstung ist kaum miteinberechnet. Und dann ist da noch die Frage, wie verlockend ein Land für Investoren sein kann, dessen einzige größere Stromquelle aus einem Fluss mit extrem schwankenden Pegelständen besteht.
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