Gesellschaft: Status Single – ein letztes Tabu?
Warum sind einige Menschen Dauer-Singles? Stimmt mit denen etwas nicht? Falsche Frage! Was Partnerschaft ist - und was sie nicht sein sollte. Eine Kolumne.
Das letzte Tabu sei, alleinstehend zu sein. Das hat Mark Rutte, der alte und vermutlich neue Ministerpräsident der Niederlande, über sein Land gesagt, und er hat es auf sich selbst bezogen. Er ist fast 50 und seine letzte Beziehung datiert aus Studentenzeiten. Das wirft Fragen auf und sorgt für schräge Blicke, Getuschel: Was ist los mit dem Mann? Wieso hat der keine Frau? Ist doch seltsam!
Was Rutte für sein Land gesagt hat, gilt auch anderswo. Es gilt auch in Deutschland und in der Single-Hauptstadt Berlin. Die Statusinformation Dauer-Single ist ab einem gewissen Alter keine x-beliebige Information mehr. Sie provoziert Betretenheit, ist eine kleine Peinlichkeit nach dem Motto „Verzeihen Sie die Frage, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten“. Single sein wird verbunden mit Unfreiwilligkeit. Man ist unfreiwillig allein, langweilt sich, schaut zu viel Fernsehen, ernährt sich schlecht und wird im schlimmsten Fall erst Wochen nach dem Ableben auf dem heimischen Sofa entdeckt. Andererseits muss man sagen: Es langweilen sich auch Menschen, die in Zweierbeziehungen stecken, und auch die sitzen abends mit Chips und Pizza vorm Fernseher. Und allein der Umstand, dass ihr Ableben kaum längere Zeit unbemerkt bleiben wird, kann nicht der Grund sein, warum Partnerschaft ein viel besseres Image hat als Singlesein. Worin besteht das Problem, worin das Tabu?
Single sein, allein vor sich hinleben ist die Abweichung von der gesellschaftlichen Norm. Es gilt als etwas Defizitäres. Dem Single fehlt etwas. Und es glaubt ihm keiner, dass das nicht so wäre. Ich bin glücklich allein? Ach, Unfug. Wenn man allein glücklich sein könnte, würden ja nicht so viele Menschen in unglücklichen Beziehungen bleiben. Motto: Lieber den oder die als gar keinen. Nicht ohne Befriedigung konstatieren Partnermenschen, wenn Partnerlose sich irgendwann ein Haustier kaufen. Es gibt ihnen recht in dem Punkt, dass etwas fehlt ohne ein lebendiges Gegenüber – und sei es halt ein Hund.
Film, Buch, Werbung: Überall geht es um "irgendwas mit Liebe"
Für diese Ansicht spricht auch die Allgegenwart des Themas Beziehung. Kaum ein Film, ein Buch, ein Werbeclip, ein Kneipenabend kommt ohne „irgendwas mit Liebe“ aus. Die Liebe suchen, verlieren, an ihr verzweifeln, herumdoktern, sie zerstören, sie pflegen oder therapieren. Die Botschaft lautet: Singlesein ist ein Zustand, den es zu überwinden gilt. Wie kann man sich dem entziehen?
Mark Rutte sagte: Er sei der Richtigen halt noch nicht begegnet. Das klingt angenehm zurückgelehnt und bescheiden. Heißt auch: Der sucht nicht mal. Der wartet einfach ab. Und das ist vielleicht die größte Überraschung. Keinen Partner haben – okay, Pech, aber da kommt bestimmt noch jemand Passendes! Aber keinen Partner suchen? Äh, und wieso denn nicht? Das widerspricht dem grassierenden Machbarkeitswahn, der einem bei allen Gelegenheiten zuraunt, dass Glück keinen zufälligerweise treffe, sondern dass man dem sehr wohl auf die Sprünge helfen könne – und am besten macht man das gleich selbst, dann ist es wenigstens das richtige.
Den Druck zum Aktivwerden haben im Segment Partnerschaft die Onlinebörsen erheblich erhöht. Sie haben den passenden Partner zu einer Art Internetartikel und die Suche nach ihm zu einer Smartphone-Zusatzleistung gemacht. Im Minutentakt werden Partner gesucht und gefunden. Man muss dazu kaum mehr machen, als ein paar Mal auf Felder zu tippen, den Rest erledigen Algorithmen weitgehend und zuverlässig für einen. Wer nur will, lautet der Schlachtruf aus der Ecke, der findet auch jemanden. Wenn man also nicht allein sein muss, dann ist doch umso weniger einzusehen, warum einer alleinstehend bleibt. Es wird irgendwann ein bisschen verdächtig. Haben die Dauer-Singles vielleicht einen verborgenen Defekt, dass sie niemanden finden, der gern mit ihnen zusammen ist? Oder sind sie selbst so hochnäsig, dass ihnen niemand gut genug ist?
Solches Denken macht Beziehung zu dem, was sie nicht sein soll, nämlich zu einer Sache, die man hat oder nicht. Aber sogar dann gilt: Man soll Menschen nicht nach ihrem Besitz bewerten.
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